VW: Der Phaeton geht, die Krise bleibt
10. März 2016Die durchsichtigen Hallen der Gläsernen Manufaktur von VW in Dresden wirken dieser Tage wie im Wartemodus. Im gläsernen Auto-Turm, in dem die Luxuskarossen für ihre Besitzer bereitstehen, sind viele Stellplätze bereits leer. Die Zeichen der Zukunft werfen ihre Schatten voraus. Statt reger Betriebsamkeit bereitet sich das einstige Vorzeigewerk von Europas größtem Autobauer Volkswagen auf das Ende einer nicht mal 15-jährigen Ära vor.
Denn die Tage des Luxus-Vehikels Phaetons sind gezählt. Mitten in der Abgas-Krise mit unabsehbaren Folgen hat die Konzernspitze um VW-Chef Matthias Müller die Reißleine gezogen. Statt immer größer, schneller und weiter lautet bei Volkswagen die Parole "Sparen auf Sicht". Im Aufsichtsrat fällt der Phaeton unter die Kategorie "Enttäuschungen". Volkswagen und der Phaeton - in der Wolfsburger VW-Konzernzentrale wird die Liaison hinter den Kulissen schon lange als großes Missverständnis abgetan.
Namensgebung problematisch
Schon die Namensgebung wirkt rückblickend zumindest schief. Nach der Überlieferung des Dichters Ovid war Phaeton einer der ersten Unfallfahrer der Geschichte. Für einen Tag lenkte der menschliche Sohn des griechischen Sonnenkönigs Helios den kostbaren Sonnenwagen seines Vaters, doch er verlor die Kontrolle über das Fahrzeug und stürzte in die Tiefe des Alls.
Aber zurück in die Dresdner Realität: Im Inneren der Manufaktur rollt zwar noch gelegentlich das Fließband, doch Arbeiter und Karossen genießen eher Seltenheitswert. "Wer bei einer Führung noch Autos sehen will, sollte sich beeilen", sagt ein Mitarbeiter am Empfangstresen. Tatsächlich werden die Führungen durch die Manufaktur auch nach dem Phaeton-Zeitalter angeboten. Auf diese in 14 Sprachen übersetzte Dienstleistung - von einigen im Konzern nur "Show-Case" genannt - war VW in Dresden immer besonders stolz.
Party für die Mitarbeiter
Der Termin für den letzten Phaeton steht offiziell noch nicht fest - angeblich soll es der 18. März sein. Klarheit gibt es aber zumindest über den letzten Kunden. Der kommt nach Angaben von Manufaktur-Sprecher Carsten Krebs aus China und wird sein Auto nicht persönlich abholen. Ganz anders als die glamouröse Eröffnung 2001 mit dem damaligen Vorstandschef Ferdinand Piëch und Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) soll der Abgesang des Luxuswagens leise über die Bühne gehen. Eine Art Party ist für die Mitarbeiter wohl geplant. Details will das Unternehmen nicht verraten.
Zum Feiern ist niemandem zumute. Denn die Mitarbeiter sind einmal mehr die Verlierer. Gerade einmal rund 100 der knapp 500 Mitarbeiter sollen noch in Dresden bleiben. "Keiner der Kollegen wird seinen Arbeitsplatz verlieren", heißt es aus der Konzernzentrale. Statt stempeln ist dann pendeln angesagt - zunächst ins 115 Kilometer entfernte VW-Werk Zwickau.
Eine dauerhafte Lösung gibt es für die Männer und Frauen noch nicht. Sie hoffen auf eine Rückkehr, um dann den E-Phaeton montieren zu können. Doch ob der wirklich kommt, ist Zukunftsmusik. Kaum war die Vision im Oktober in den Schlagzeilen, hieß es aus dem Konzern, sie sei schon wieder gestrichen. Oder zumindest auf unbekannt verschoben. Solange greift ein Übergangskonzept.
Autostadt im Kleinen
Die Verbliebenen sollen die Manufaktur zu einer Art Erlebniswelt umfunktionieren, sozusagen eine Art Autostadt im Kleinen. Kultur, Konzerte, Lesungen sollen dann in dem Glas-Ambiente stattfinden. Und wenn möglich, wäre auch eine Ausstellungswelt zum Zukunftsthema E-Mobilität wünschenswert. Über die Finanzierung soll nach Angaben aus Konzernkreisen Anfang April entschieden werden.
Offiziell klingt das so: "Wir stehen in engem Kontakt zu den Kollegen in Dresden. Gemeinsam besprechen wir mit dem Markenvorstand das Übergangskonzept und die endgültige Lösung für die Gläserne Manufaktur", sagt Betriebsratschef Bernd Osterloh. Spätestens zum Jahresende wolle der Vorstand das neue Konzept präsentieren. "Klar ist: Die Gläserne Manufaktur im Herzen Dresdens ist ein absoluter Besuchermagnet und eine Perle für Volkswagen. Wir werden hier sicherlich auch künftig innovative Produkte fertigen und zeigen."
Entwicklung überrascht nicht
Die Ankündigung vom Auslaufen der Produktion sei wie eine Traueranzeige formuliert gewesen, sagt ein Beschäftigter. Für die meisten kommt die Entwicklung freilich nicht überraschend. Zu deutlich war der Abwärtstrend in den vergangenen Jahren. 2011 rollten in Dresden noch 11.166 Phaeton vom Band, das aus edlem kanadischem Ahorn gefertigt ist und nie den Anschein einer normalen Fabrikhalle vermittelte. 2014 lag die Produktion nur noch bei rund 4000 Wagen.
Ohne den Verkaufserfolg im fernen China wäre das Aus des Phaetons wohl schon früher gekommen, heißt es aus der Konzernzentrale. Doch für ein "Weiter so" reicht die Nachfrage solventer Kunden aus dem Reich der Mitte eben auch nicht. Ohnehin hat VW mit dem Phideon längst eine Alternative im chinesischen Portfolio. Gerüchte, wonach das Auto irgendwann auch in Europa zu kaufen sein soll, werden aber vehement bestritten. Also auch kein Grund zur Hoffnung in Dresden.
Thematische Neuausrichtung
"Wir arbeiten ferner mit Hochdruck an den Vorbereitungen zu einer thematischen Neuausrichtung der Gläsernen Manufaktur, die wir im April der Öffentlichkeit vorstellen werden", sagt Manufaktur-Sprecher Krebs. Von April an solle das Gebäude umgebaut und auf die "Flexibilisierung der Manufakturfertigung" vorbereitet werden. Für Besucher, Veranstaltungen sowie die Fahrzeugauslieferung und -aufbereitung bleibe sie weiterhin geöffnet.
Aus Konzernkreisen ist zu vernehmen, dass man nach einem 18-monatigem Umbau in Dresden und bis zum möglichen Start eines E-Phaetons in der Gläsernen Manufaktur auch wieder Autos bauen möchte. Welche genau, sei noch im Fluss. Im vergangenen Dezember hatte VW-Markenchef Herbert Diess den Beschäftigten Top-Modelle der Marken Porsche, Bentley und Audi genannt.
Standort anscheinend nicht gefährdet
"Der Dresdner Standort ist und bleibt fester Bestandteil der Volkswagen-Familie", betont Krebs. Auch am Sponsoring der Manufaktur für die Semperoper und die Sächsische Staatskapelle Dresden soll sich nichts ändern. Zumindest hier dürften die Phaetons auch weiterhin das Stadtbild prägen, wenn sie VIPs der Semperoper oder der Musikfestspiele durch die Stadt chauffieren.