Griechenland: Journalisten ausgespäht?
21. Dezember 2021Am 13. November 2021 stöberte der 29-jährige Investigativjournalist Stavros Malichudis auf Facebook und trank dabei wie gewohnt seinen Morgenkaffee. Dann stolperte er über einen Hinweis auf einen Bericht der griechischen Zeitung "Efsyn". Der Titel: "Griechische Behörden spionieren Bürger aus". Malichudis rannte sofort zum nächsten Kiosk und kaufte das Blatt. Was er dann las, bestätigte seinen Verdacht: Der Artikel handelte von ihm und seinem Arbeitgeber Solomon, einem in Athen ansässigen investigativen Medienunternehmen.
Malichudis hatte über einen 12-jährigen Flüchtling auf der Insel Kos berichtet, dessen Zeichnungen in der französischen Zeitung "Le Monde" veröffentlicht worden waren. Nun tauchte der Name des Journalisten in E-Mails auf, die aus Griechenlands Nationalem Sicherheitsdienst (EYP) durchgesickert waren - und zeigten, dass die Behörden ihn beobachteten.
Laut Malichudis kommt es in Griechenland immer öfter zu Einschüchterungen von Journalistinnen und Journalisten. Er glaubt, dass er nicht der Einzige ist, der überwacht wird. "Die Regierung ist allgemein nicht glücklich über Medienschaffende, die über Migration berichten, insbesondere über den Umgang der griechischen Regierung damit", sagt er.
Führende Politiker des Landes arbeiten sehr aktiv an einer positiven Erzählung, laut der Griechenland die von der EU zur Versorgung der Migranten im Land erhaltenen 3,3 Milliarden Euro korrekt und im Sinne des Geldgebers verwendet, so Malichudis weiter. Zahlreiche Berichte jedoch lassen Zweifel an der Richtigkeit dieser Migrationsagenda aufkommen. Internationale Medien, darunter "Der Spiegel", "The New York Times" und die Deutsche Welle, haben Beweise dafür vorgelegt, dass griechische Behörden regelmäßig Asylsuchende illegal in die Türkei abschieben.
Niederländische Journalistin provoziert Skandal
Die meisten griechischen Medien ignorieren derartige Berichte über illegale Aktivitäten und stellen der Regierung keine unbequemen Fragen. Die langjährige niederländische Korrespondentin Ingeborg Beugel dagegen sorgte genau damit für einen Skandal.
Am 9. November 2021 fragte Beugel den griechischen Premierminister Kyriakos Mitsotakis während einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem niederländischen Amtskollegen Mark Rutte: "Wann hören Sie endlich auf, über Pushbacks und Flüchtlinge in Griechenland zu lügen?" Anschließend kritisierte sie sowohl die EU als auch die Niederlande dafür, Athens gewaltsame Migrationspolitik zu tolerieren und de facto keine weiteren Asylsuchenden mehr ins Land zu lassen.
Verärgerte Antwort
Der griechische Ministerpräsident antwortete zunächst, er wisse, "dass man in den Niederlanden eine Kultur pflegt, Politikern direkte Fragen zu stellen, was ich respektiere". Dann aber verlor er die Fassung und beschuldigte die Journalistin, ihn und Griechenland zu beleidigen. Der Vorfall führte zu einer medialen Schlammschlacht gegen Beugel, im Zuge derer sie als türkische Agentin diffamiert wurde. Sie erhielt Morddrohungen und wurde körperlich angegriffen.
Internationale Hilfsorganisationen wie Human Rights Watch und Reporter ohne Grenzen machen sich zunehmend Sorgen um die Medienfreiheit in Griechenland. Ein neues Gesetz vom 11. November 2021, das die Verbreitung von Fake News strafbar macht, schürt ihre Besorgnis. Demnach kann jeder verurteilt werden, der "falsche Nachrichten verbreitet, die Unruhe stiften oder das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Volkswirtschaft, die Verteidigungsfähigkeit des Landes oder die öffentliche Gesundheit untergraben". Dies kann mit einer "Gefängnisstrafe von mindestens sechs Monaten und einer Geldstrafe" geahndet werden.
Klagen gegen Journalisten
"Das ist außerordentlich vage", sagt Pavlos Eleftheriadis, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Oxford. Er weist darauf hin, wie das neue Gesetz gegen Medienschaffende verwendet werden könnte. Seine Hauptsorge aber gilt der Justiz des Landes: "Das griechische Gerichtssystem hat sich beim Schutz der Menschenrechte als unzuverlässig erwiesen." Laut Eleftheriadis hätte die griechische Justiz schon vor Jahren reformiert werden müssen, es sei jedoch nichts unternommen worden. Deshalb sieht er das neue Gesetz als "Gefährdung der Meinungsfreiheit".
2010 gründete Stavroula Poulimeni gemeinsam mit einer Gruppe von Journalist*innen in Thessaloniki die Nachrichten-Website Alterthess. Seitdem berichtet sie über die sozialen und ökologischen Folgen von Goldabbau im nordgriechischen Halkidiki. Im Oktober 2020 veröffentlichte sie einen Artikel über zwei leitende Angestellte der Firma Hellas Gold, die wegen der Verschmutzung von Gewässern und des Verursachens weiterer Umweltschäden verurteilt worden waren. Ein Berufungsgericht bestätigte das Urteil ein Jahr später. Poulimeni bekam eine Klageschrift im Namen von Efstathios Lialios, einem der verurteilten Führungskräfte. Er fordert 100.000 Euro Entschädigung für die illegale Verarbeitung personenbezogener Daten.
Unabhängige Reporter mundtot machen
"Das ist ein klarer Versuch, uns dazu zu bringen, nicht mehr über die Umweltkriminalität in Halkidiki zu berichten", sagte Poulimeni der DW. Die Klage sei eine "SLAPP" (englisch: Strategic Lawsuit Against Public Participation, deutsch: Strategische Klage gegen öffentliche Beteiligung). SLAPPs haben das Ziel, Kritiker einzuschüchtern und Menschen zum Schweigen zu bringen, die versuchen, über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse zu berichten. In der EU scheint diese Taktik zuzunehmen.
Poulimeni räumt ein, dass solche Klagen viel Zeit in Anspruch nähmen und auch eine psychische Belastung seien. Trotzdem habe sie keine Angst: "Das Unternehmen versucht uns einzuschüchtern - aber sie erreichen das Gegenteil: Ihr Verhalten motiviert uns, uns noch mehr mit ihnen zu beschäftigen." Alterthess ist eines der wenigen Medien, das die Aktivitäten von Hellas Gold beobachtet. "In Halkidiki herrscht eine seltsame Stille um die Goldmine, die von den Mainstream-Medien aufgezwungen wurde", erklärt Poulimeni und fügt hinzu, dass viele Medien das Unternehmen unterstützen, da es Werbeaufträge vergebe.
Die Art und Weise, wie Medien in Griechenland sich finanzieren, bedrohe die Pressefreiheit, erklärt Nikos Panagiotou, Professor am Institut für Journalismus der Aristoteles-Universität Thessaloniki: "Wenn Medien finanziell nicht unabhängig sind, wird ihre Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit allgemein untergraben. Die Medien müssen sich andere Finanzierungsmöglichkeiten suchen." Die Medienvielfalt in Griechenland sieht er zudem durch einen weiteren Faktor beschränkt: "Eine kleine Anzahl von Leuten besitzt einen großen Anteil der Medien", sagt Panagiotou der DW.