1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Von Wilson zu Trump

Michael Knigge
3. November 2018

Als die USA ihre Neutralität aufgaben, war der Erste Weltkrieg entschieden. Präsident Wilson legte vor hundert Jahren den Grundstein für die liberale Weltordnung unter US-Führung. Trump ist nun dabei, sie zu zerstören.

https://p.dw.com/p/37YUr
Der 28. US-Präsident Woodrow Wilson
US-Präsident Wilson präsentierte in seinem 14-Punkte-Plan die Umrisse einer neuen WeltordnungBild: Getty Images

Anfang Januar 1918 trat US-Präsident Woodrow Wilson vor beide Kammern des US-Kongresses und stellte seinen 14-Punkte-Plan vor. Die berühmt gewordenen Thesen benannten die Kriegsziele der USA in Europa und im Nahen Osten. Vor allem die Neuordnung der Staatenwelt wurde skizziert. Dabei sollte das Selbstbestimmungsrecht der Völker die Richtschnur bilden. Doch Wilsons 14 Punkte gingen weiter: Der US-Präsident forderte Freihandel, das Ende der Geheimdiplomatie und die Schaffung eines Völkerbundes.

Damit war in Umrissen schon 1918 jene liberale Weltordnung zu erkennen, die dann nach dem Zweiten Weltkrieg unter US-Führung aufgebaut wurde. Eine Weltordnung, die sich durchsetzte, weil immer mehr Länder sich anschlossen. Und die erst jetzt bedroht erscheint – und zwar erneut von einem US-Präsidenten.

Der 45. US-Präsident Donald Trump
"America first": US-Präsident Donald Trump stellt liberale Weltordnung in FrageBild: picture-alliance/abaca/O. Douliery

Abkehr von den Grundpfeilern der US-Außenpolitik?

Donald Trump ist ein Solitär. In den vergangenen einhundert Jahren gab es keinen amerikanischen Staatschef, der die Grundpfeiler amerikanischer Außenpolitik derart grundlegend in Frage gestellt hätte wie der 45. Präsident der Vereinigten Staaten.

Natürlich gab es in den USA schon immer isolationistisch geprägte Kräfte. Auch Wilson scheiterte innenpolitisch mit seinem Konzept einer internationalen Friedensordnung. Doch die Ablehnung seines 14-Punkte-Programms ging von einem isolationistisch geprägten Kongress aus – und eben nicht vom Weißen Haus. Deshalb gilt Wilson noch immer als Wegbereiter des amerikanischen Internationalismus. Bis zum umstrittenen Eintritt in den Ersten Weltkrieg hatten die Vereinigten Staaten traditionell versucht, sich aus internationalen Konflikten, besonders in Europa, herauszuhalten.

Wilson: kooperative Außenpolitik

Wilson zog aus den Schrecken des Krieges den Schluss, dass die USA eine multilaterale und von Kooperation geprägte Außenpolitik anstreben sollten. Dies wird auch in seiner vielzitierten Kriegsansprache aus dem Jahr 1917 deutlich. Dort betonte Wilson, dass die Welt sicher für die Demokratie gemacht werden müsse.

Häufig wird Wilson falsch zitiert, nämlich mit dem Diktum, dass die USA die Welt sicher für die Demokratie machen sollten. Ein kleiner, aber bedeutender Unterschied. Denn Wilson glaubte nicht, dass die USA alleine in der Lage wären dies zu leisten, sondern dass dies nur gemeinsam, unter amerikanischer Führung, gelingen könnte. Ein "Völkerbund" sollte dabei den Rahmen abgeben für diese kooperative internationale Politik. Wilson wollte eine Organisation schaffen, in der nur mit Zustimmung aller gehandelt werden konnte, in der also praktisch jede Nation ein Vetorecht hätte. Wie kontrovers Wilsons Idee schon damals war, zeigt die Tatsache, dass die "League of Nations" nur weniger als drei Jahrzehnte Bestand hatte – und dass die Vereinigten Staaten selbst ihr nie beitraten.

Pariser Friedenskonferenz 1919, von links nach rechts: David Lloyd George, Vittorio Orlando, Georges Clemenceau und Woodrow Wilson
Neuordnung der Welt nach dem Ersten Weltkrieg: US-Präsident Woodrow Wilson (r.) traf sich 1919 mit den anderen Staats- und Regierungschefs der Siegermächte in ParisBild: picture-alliance/AP Photo

Trump: unilaterale Entscheidungen

In Trumps Präsidentschaft sind die USA bereits aus zahlreichen von den Vereinten Nationen sanktionierten Verträgen ausgestiegen und haben sich aus mehreren UN-Organisationen zurückgezogen. Er kann deshalb aufgrund seiner nationalistisch geprägten Haltung zu Recht als Antipode zu Wilson verstanden werden, sagt John Cooper, emeritierter Professor an der University of Wisconsin. Er hat mehrere Bücher über Wilson geschrieben. "Er will völlig alleine handeln in der Welt, den starken Mann markieren und unilaterale Entscheidungen nach Lust und Laune treffen", so Cooper über Trump.

Nicht nur in ihrer Haltung zur internationalen Rolle der USA sind Trump und Wilson Gegenpole. Auch ihre Einstellung zur Einwanderung - einem damals wie heute heftig umstrittenen Thema - könnte nicht unterschiedlicher sein. Wilson bezog klar Position gegen die Fremdenfeindlichkeit, die in den USA während des Ersten Weltkriegs gegenüber Einwanderern aufkam, vor allem gegenüber möglichen Kriegsflüchtlingen aus Europa. Als der US-Kongress 1917 ein Gesetz zur Begrenzung der Einwanderung verabschiedete, legte Wilson sein Veto ein. Der Kongress überstimmte das Veto jedoch mit Zwei-Drittel-Mehrheit – ein Zeichen, wie ausgeprägt die Ressentiments gegen Einwanderer damals waren.

Saal der UN-Generalversammlung in New York
Die Vereinten Nationen sind Nachfolger des Völkerbundes, für dessen Gründung sich Wilson einsetzteBild: picture alliance/dpa/D. Kalker

"Wilson hasste Demagogen"

Die Parallelen zur Gegenwart sind auch hier unübersehbar. Mit dem Unterschied, dass mit Trump heute ein US-Präsident im Amt ist, der einer grassierenden Fremdenfeindlichkeit nicht entgegentritt, sondern sie seit dem ersten Tag seiner Präsidentschaftskandidatur befeuert. Mehr noch: Trump geht nicht nur verbal, sondern auch mit der Macht seines Amtes hart gegen Einwanderer ohne Pässe vor, indem er Familien trennen und abschieben lässt. Zudem will er auch die legale Einwanderung in die USA beschränken und die Zahl der aufzunehmenden Flüchtlinge auf ein historisch niedriges Niveau senken.

Noch ist es zu früh zu beurteilen, wie Trumps Konfrontationskurs zur Politik des Internationalismus enden wird. Zwei Jahre seiner Präsidentschaft sind für Cooper jedoch ausreichend, um beurteilen zu können, was Woodrow Wilson von seinem Nachfolger im Amt halten würde: "Er würde Trump mit Beängstigung und Horror betrachten." Denn, so der Wilson-Experte: "Trump will immer nur aufwiegeln - und Wilson hasste Demagogen." Auch das ist ein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Präsidenten, die das amerikanische Jahrhundert zwischen 1918 und 2018 markieren.