Von Kommune 1 zum Öko-Dorf
2. Januar 2017Sieben in Verhaftungspose an die Wand gelehnte Erwachsene und ein Kind - alle splitterfasernackt. Dieses Bild hat sich in das kollektive Gedächtnis eingebrannt, sinnbildlich für die deutsche Studentenbewegung (Jugendrevolte). Ihre Wohngemeinschaft, die Kommune 1, stand für politische und gesellschaftliche Veränderung, Drogen und freie Liebe.
Die vielen Leben der Kommune 1
In Sachen Popkultur ist kein Vorbeikommen an der Kommune 1. Dafür sorgte schon die Anwesenheit des spärlich bekleideten Fotomodells Uschi Obermaier: Ihre Beziehung zum krauslockigen Rainer Langhans versüßte die hundert Tage der Kommune mit der nötigen Prise Sexiness. Dabei war die Kommune 1 eine Bande von Polit-Provokateuren, die sich des Momentums 1967 durchaus bewusst waren. Die simulierte Planung des Pudding-Attentats auf den US-Vizepräsidenten Hubert Humphrey am 6. April und die Flugblätter zum Brüsseler Kaufhausbrand am 22. Mai waren Ausdruck dieses Sendungsbewusstseins: Dieter Kunzelmann, Fritz Teufel und Rainer Langhans bildeten das mediale Kern-Trio der Kommune.
Der Spaß endete mit der Erschießung des Studenten Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 in Berlin. Die Studentenrevolte kippte um in Gewalt - auf beiden Seiten. Was als grenzwertige Provokation begann wurde nun blutiger Ernst. Bis heute gilt die Kommune 1 einigen Historikern, darunter Wolfgang Kraushaar auch als "Durchgangsstation zum linken Terror der RAF": Andreas Baader war genauso Gast in der Kommune wie das RAF-Gründungsmitglied Horst Mahler, später Neonazi und 2009 wegen Volksverhetzung rechtskräftig verurteilt.
Kommune 2, Kinderläden und Pädophilie-Debatte
Während vor allem die Kommune 1 nach ihrer Auflösung medial weiter rezipiert und reproduziert wurde, gilt die parallel laufende Kommune 2 als die eigentliche "Politkommune": Weniger Popstarfaktor, dafür ununterbrochen Selbst-Exegese und -versuche: Im August 1957 zogen sieben Erwachsene und zwei Kinder in eine Berliner Wohnung, führten eine gemeinsame Kasse und gemeinschaftliche Kindererziehung ein. Die Kommunenbewohner kamen größtenteils aus dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS), in den 1960ern Sammelbecken der neuen Linken und Vorreiter der Studentenbewegung. Aus diesem Milieu heraus entstand auch die Kinderladen-Bewegung, ein nachhaltiger Effekt der Zeit, neben der zweiten deutschen Frauenbewegung. Die Bewegung verstand sich als gesamtgesellschaftliche Protestbewegung: In den Kinderläden sollte der Nachwuchs antiautoritär erzogen werden, in kleinen Gruppen betreut, mit hohem Betreuungsschlüssel. Eine Errungenschaft die bis heute in Form der Elterninitiativen weiter existiert. Gleichzeitig ist die Bewegung verbunden mit einem der dunkelsten Kapitel der linken Nachkriegsgeschichte.
Die Kommune 2 scheiterte im Sommer 1968, weil die gemeinsame politische Arbeit nach dem Attentat auf Rudi Dutschke im April 1968 schleppend verlief. Was blieb waren ausführliche Protokolle über ihre experimentelle Lebensführung, die 1968 als Buch herauskamen. Im Kursbuch des Jahres 1969 (Nr. 17, "Frau - Familie - Gesellschaft", Herausgeber war Hans Magnus Enzensberger) berichteten Mitglieder der Kommune 2 auch über ihre repressionsfreie Kindererziehung. Darin beschreibt der damals 26-jährige Hans-Eberhard Schultz seitenlang Streichelspiele mit der 4-jährigen Tochter seines Genossen Dieter Kunzelmann. Ergänzt von Nacktfotos des Mädchens und des damals 5-jährigen Kommunardensohnes Nessim, die heute der Kinderpornographie zugerechnet würden.
Es ist heute mit einigem Unbehagen festzustellen, dass das antifaschistische Projekt der sexuellen Befreiung mit eklatanten Grenzüberschreitungen im Verhältnis von Erwachsenen und Kindern einherging, was sich in verschiedenen Kinderladen-Experimenten auf unheilvolle Weise zeigte. Da wurde munter die Thematisierung kindlicher Sexualität mit erwachsener Sexualität vermischt und verwechselt, von dem eigentlichen Akt zwischen Erwachsenem und Kind ganz zu schweigen. Das zeigt auch die Debatte um die Äußerungen und das 1957 erschienene Buch "Der große Basar" des Grünen-Politikers und ehemaligen Kinderladen-Erziehers Daniel Cohn-Bendit zur Erotik mit Kindern. Ein Puzzlestein der Pädophilie-Debatte, die ab 2013 insbesondere bei den Grünen (Bündnis 90/Die Grünen) geführt wurde.
Der Weg zur Studenten-WG
Während das Zusammenleben in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren politisch motiviert war, entwickelte sich mit den Jahren eine Zweckmäßigkeit. Der Sex, Drugs und Rock'n'Roll-Faktor spielte zwar nach wie vor eine Rolle, aber Studenten wollten mit ihren Wohngemeinschaften nicht mehr die Welt verändern. In den Städten war Wohnraum teuer, Studentenwohnheime mit wenig Flair ausgestattet. Deswegen entschieden sich schon damals viele Studenten für eine WG - sei es ein Zweck-WG oder eine Gruppe von Menschen, mit denen man auch die Freizeit verbringen möchte. Der links motivierte, politische und öffentlichkeitswirksame Hintergrund ist weggefallen, studentische Wohngemeinschaften sind wieder im Bürgertum angekommen.
Wo sind die revolutionären Ideen geblieben?
Die politischen Kommunen im Stile der 1960er und 1970er Jahre sind nicht verschwunden. Aber die Maxime der gesellschaftlichen Umwälzung und freien Liebe ist dem Prinzip der Nachhaltigkeit gewichen. Kommunen, das sind heute meist sogenannte Öko-Dörfer. Die Vernetzungsplattform "Kommuja" weist 2016 36 politische Kommunen in Deutschland aus, das Netzwerk der Ökodorfer, PEN Germany, zeigt eine noch höhere Zahl. Ein Beispiel ist das Zentrum für Experimentelle Gesellschaftsgestaltung, kurz ZEGG, im brandenburgischen Bad Belzig. Hier werden sogar noch Varianten der freien Liebe praktiziert, wie zum Beispiel Polyamorie. Das ZEGG versteht sich als Forschungszentrum für ein besseres und glücklicheres Leben. Aus der linken Szene wurden der Gemeinschaft lange patriarchalische, hierarchische und sexistische Strukturen vorgeworfen, unter anderem wegen der starken Führungsrolle des Initiators Dieter Duhm. Heute leben hier hundert Menschen zusammen, es gibt ein eigenes Bildungszentrum und eine Liebesakademie.
Als sozialliberale moderne Variante der Kommune kann man Cohousing-Projekte verstehen: Es gibt eine geplante Gemeinschaft, aber die Wohnungen oder Häuser sind im Privatbesitz, die durch großzügige Gemeinschaftseinrichtungen ergänzt sind. Die Gemeinschaftlichkeit basiert auf Freiwilligkeit, wird aber durch die Strukturen und die kollektive Planung und Bewirtschaftung gefördert. Herzstück solcher Umsetzungen: Große Küchen und Speisezimmer.
Die Form entstand ursprünglich im Dänemark der 1960er Jahre und ist mittlerweile in Skandinavien, den USA und Kanada weit verbreitet. In Nordamerika gibt es mehr als 150 funktionierende Cohousing-Projekte. Auch in Deutschland sind mittlerweile mehrere in Planung. Sie wenden sich vor allem an Städter, die der Anonymität der Großstadt entfliehen wollen und sind besonders bei jungen Familien und Alleinerziehenden beliebt. Die freie Liebe ist dabei freilich auf der Strecke geblieben, die Utopien tragen heute ein pragmatisches Gewand. Das sieht vielleicht weniger sexy aus, ist aber wahrscheinlich ökologisch und sozial verträglicher als die hundert Tage der Kommune 1.