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Hans Magnus Enzensberger wird 85

Heike Mund10. November 2014

Als politischer Poet wurde er in den 60er Jahren bekannt. Aber der Lyriker Hans Magnus Enzensberger ist ein intellektueller Tausendsassa: Er ist Schriftsteller, Kulturkritiker, Übersetzer und Verleger feiner Bücher.

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Hans Magnus Enzensberger
Bild: picture-alliance/dpa

Hans Magnus Enzensberger ist leidenschaftlicher Raucher. Das hat er mit Ex-Kanzler Helmut Schmidt gemeinsam. Vor allem aber ist er einer der wichtigsten Intellektuellen in Deutschland: Seit über 60 Jahren versorgt er die internationale Literaturwelt mit Nachdenklichem und poetischen Spitzfindigkeiten aus deutschen Landen.

In der fränkischen Stadt Nürnberg wächst er auf. Geboren ist er am 11. November 1929, als Sohn eines erfindungsreichen Fernmeldetechnikers. Schon als Junge versucht er sich an literarischen Fingerübungen. Das macht ihm mehr Spaß als der militärische Drill der Hitlerjugend, aus der er rausfliegt. Als Fünfzehnjähriger wird er 1944 zum Volkssturm eingezogen, kann aber kurz vor Kriegsende desertieren. "Ich hatte Glück mit meinen Eltern. Die waren zwar keine Widerstandskämpfer, aber eben auch keine Nazis. Damit hatte ich von Anfang an einen anderen Blick auf die sogenannte NS-Volksgemeinschaft", erzählt er rückblickend.

1949 stürzt sich Hans Magnus Enzensberger mit Feuereifer ins Studium der Literatur-Wissenschaften, büffelt Sprachen und promoviert 1955 zum Doktor der Philosophie. Nebenbei veröffentlicht er erste Texte und wird kurz darauf als Mitglied in die "Gruppe 47" aufgenommen. Die Teilnehmer des legendären Schriftsteller-Treffens kamen zwanzig Jahre lang ab 1947 zusammen, um die deutsche Literatur zu erneuern.

Hans Magnus Enzensberger, Günter Grass und Peter Rühmkorf, Foto: dpa
Veteranen der berühmten "Gruppe 47": Hans Magnus Enzensberger (l.), Günter Grass und Peter Rühmkorf (r.)Bild: picture-alliance/dpa

Literarischer Weltenbummler

Aber das Nachkriegs-Deutschland ist Enzensberger bald zu eng. Seine Sturm- und Drangjahre treiben ihn in die Welt. Ausgiebige Reisen in die USA, nach Mexiko, Norwegen und Italien verschaffen ihm die Internationalität, die ihm Zeit seines Lebens wichtig ist. 1960 wird er Lektor beim renommierten Suhrkamp-Verlag. Und veröffentlicht seine ersten vielbeachteten Lyrikbände. 1965 gründet er das "Kursbuch" - Pflichtlektüre und Meinungsforum für intellektuelle Kreise und revolutionäre Studenten in der wilden 1968er Zeit. Enzensberger mischt sich wortstark und meinungsbildend in die politischen Debatten dieser Zeit ein. Die Freude an virtuosen Wort-Gefechten hat er sich bis heute bewahrt.

Gedichte aus dieser Zeit lesen sich wie Stationen deutscher Kultur-Geschichte. Sein erster Lyrikband ("Verteidigung der Wölfe gegen die Lämmer") erregt 1957 großes Aufsehen. Wie viele der politisch engagierten Schriftsteller der frühen Bundesrepublik, ist der junge Enzensberger angetreten, die Schwere der existenziellen Nachkriegs-Lyrik zu zerschlagen. Seine Antwort: leichte ironische Poesie und pointierte Titel wie: "Rabattmarken", "Musterland/Mördergrube" oder "Es geht aufwärts, aber nicht vorwärts".

Hans Magnus Enzensberger Kongress Notstand der Demokratie
"Notstand der Demokratie" - auf einem Studentenkongress 1966in Frankfurt hält Enzensberger (re) eine politische RedeBild: picture-alliance/dpa

Die "Andere Bibliothek"

Als Schriftsteller geht er generell kulturkritisch an seine Themenfelder ran - mit "skeptischer Souveränität", wie er mal selbstverliebt formuliert hat. 1963 bekommt er - auch für diese Haltung - den Georg-Büchner-Preis. Es folgen weitere renommierte Auszeichnungen: Heinrich-Böll-Preis, Deutscher Kritikerpreis, Ludwig-Börne-Preis. Nach Veröffentlichung seines einzigen Romans ("Der kurze Sommer der Anarchie") lässt sich Enzensberger 1979 als freier Schriftsteller in München nieder. 1980 stürzt er sich zusammen mit seinem Freund, dem chilenischen Schriftsteller Gaston Salvatore, in ein verlegerisches Abenteuer. Die ambitionierte Literatur-Zeitschrift "Trans Atlantic" überlebt aber nur zwei Jahre.

Mit dem Buch-Künstler Franz Greno gründet Enzensberger 1985 im linken Eichborn-Verlag die Buchreihe "Die Andere Bibliothek" - seine Lieblingstitel der Weltliteratur. Heute zählen diese Bände zu den bibliophilen Kostbarkeiten. Mit verlegerischem Spürsinn für Talente bringt er erstmals literarische Reportagen auf den deutschen Buchmarkt. Der polnische Autor und Journalist Richard Kapuscinski gehört zu seinen Entdeckungen. Aber auch die Karrieren von renommierten Schriftstellern und Lyrikern wie Raoul Schrott, Irene Dische, Christoph Ransmayer und W.G. Sebald gehen auf sein Konto.

Buchcover: Enzensberger - Die Geschichte der Wolken
Buchtitel einer seiner liebsten Gedichtsammlungen

Wasserzeichen der Poesie

Nach längerer Produktionspause meldet sich Enzensberger 1991 als Lyriker zurück - mit dem Gedichtband "Zukunftsmusik". Ab und zu veröffentlicht er auch schon Mal unter Pseudonym: als Linda Quilt zum Beispiel ("Schreckens Männer. Versuch über den radikalen Verlierer") oder als Serenus M. Brezengang. Liebend gern mischt er sich in aktuelle Debatten ein, nimmt Stellung zum Irakkrieg, zu Genforschung oder umstrittenen Intelligenztests. Sein Essay "Im Irrgarten der Intelligenz. Ein Idioten-Führer" hat 2007 einen öffentlichen Diskurs quer durch alle Feuilletons zur Folge. 2008 kehrt er zu seinen Wurzeln zurück: mit federleichten Liebesgedichten. "Das Wasserzeichen der Poesie" wird selbst zu einem Klassiker der Weltliteratur. Am liebsten schreibe er "Geschichten mit Wolken", merkt der Dichter dazu an.

Hans Magnus Enzensberger auf der Redekanzel, Foto: AP
Enzensberger auf der Redekanzel: 2010 erhält er in Dänemark den Sonnig-PreisBild: APImages

Mit "Tumult" veröffentlicht er dann 2014 dann seinen ersten Text mit leicht autobiographischen Zügen, wie er in einem Interview mit dem Spiegel anmerkt. "Bekenntnisse sind nicht meine starke Seite. Es liegt mir fern, meine Seelenlandschaft vor der Öffentlichkeit auszubreiten."

Schreiben als Passion

Auf Literaturfestivals ist Hans Magnus Enzensberger nach wie vor ein gern gesehener Gast,. Er garantiert volle Zuschauerränge und beste literarische Unterhaltung. Und er erfindet sich immer noch neu: "Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern" heißt eines seiner letzten Bücher, aus dem er dann vorliest. Sein intellektuelle Schlagfertigkeit, seine blitzenden, auf die Welt nach wie vor neugierigen Augen und sein pointierter Wortwitz lassen nicht vermuten, dass er schon seinen 85. Geburtstag feiern kann. Wir gratulieren dazu!