Musik zur Trauerfeier für Helmut Kohl
1. Juli 2017Betont europäisch ist die Auswahl der Musiken, die am 1. Juli während der Trauerfeier für den Altkanzler im Dom zu Speyer aufgeführt werden. Autorisiert wurde die Auswahl von seiner Witwe Maike Kohl-Richter. Neben bekannten Kirchenliedern wie "Wir sind nur Gast auf Erden" und "Mit Freud fahr' ich von dannen" reicht sie vom gregorianischen Gesang bis hin zu einem Werk, das der Komponist extra zu diesem Anlass neu arrangiert hat. Darunter sind Werke mit hoher Symbolkraft - und andere, die für Kohl eine besondere Bedeutung hatten, auch wenn er nicht als ausgesprochener Freund klassischer Musik galt. Hier die Werke in der Reihenfolge, in der die geladenen Trauergäste und Fernsehzuschauer sie hören.
Johann Sebastian Bach: "Toccata und Fuge d-Moll"
Johann Sebastian Bachs "Toccata und Fuge d-Moll" gehörte zu den Lieblingsstücken des Altkanzlers. Auf seinen Wunsch hin wurde es bei seinen öffentlichen und privaten Besuchen im Speyerer Dom gespielt. Nicht nur bei Helmut Kohl war die Toccata und Fuge beliebt: Es ist das bekannteste Orgelwerk der Klassik schlechthin. Der majestätische Klang, hohes Drama, schnell auf- und absteigende Tonfolgen, treibende Rhythmen und gewaltige Akkorde lassen verschiedenste Klangbilder im Kopf entstehen: Zum Beispiel das eines Sturmes, auch wenn Bach selbst dazu kein Wort gesagt oder geschrieben hat. Ohnehin wurde das Werk erst im Jahr 1840, 90 Jahre nach Bachs Tod, einigermaßen bekannt - als es von Felix Mendelssohn Bartholdy in Leipzig gespielt wurde. Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts galt es dann als Inbegriff von Bachs Komponierkunst. In den 1980er Jahren wurde seine Autorenschaft sogar angezweifelt. Zu leidenschaftlich sei das Stück, als dass es ein echter Bach sein könne, meinten die Einen. Im Gegenteil, ein solcher Geniestreich könne überhaupt nur von ihm stammen, sagten die Anderen.
Bachs Toccata erklingt in zahlreichen Filmen, angefangen mit "Dr. Jekyll and Mr. Hyde" aus dem Jahr 1931, oft in Verbindung mit Bosheit oder Gedanken an das Böse. Legendär ist die Verwendung der "Toccata" im Disney-Zeichentrick-Film "Fantasia" aus dem Jahr 1940: Die an mächtige Trompetenklänge erinnernden Anfangsakkorde eröffnen den Film. Übrigens: das Wort Toccata stammt aus dem italienischen "toccare" und bedeutet "berühren" - so, wie ein Organist Tasten und Pedale seines Instruments berührt.
Gregorianischer Gesang: "Requiem aeternam"
"Requiem aeternam" als Gregorianischer Gesang: Die ersten Generationen der Christen haben ihre Gebete gesungen. Zwischen dem 5. und dem 7. Jahrhundert stellten Päpste Gesangsmelodien aus dem heutigen Italien und Frankreich zusammen und ordneten sie verschiedenen kirchliche Feiern im liturgischen Jahr zu. Gregor der Große (Papst von 590 bis 604) war hier besonders aktiv; daher stammt der Name "Gregorianischer Gesang". In der Kirchentradition wurde er jahrhundertelang von Mönchen für ein Zielpublikum intoniert, das aus nur einem einzigen Wesen bestand: Gott selbst. Wie dieser Gesang, der als Grundlage aller abendländischen Musik gilt, ursprünglich geklungen haben mag, weiß heute niemand. Interessant ist jedoch, dass diese Melodien, die die Jahrhunderte überdauert haben und die meist im sanften Duktus von männlichen Stimmen in Kirchenräumen mit starkem Nachhall gesungen werden, immer wieder in den Popcharts auftauchen. Das wird oft als Sehnsucht nach unvergänglichen Werten in unserer schnelllebigen Zeit gedeutet.
Maurice Duruflé: "Kyrie" und "Agnus Dei"
"Kyrie" und "Agnus Dei" aus dem Requiem von Maurice Duruflé: Das Requiem, so der Komponist, "basiert gänzlich auf Themen der gregorianischen Totenmesse". Die alten Melodien werden in ein Werk eingebunden, das 1941, inmitten des Zweiten Weltkriegs, vom französischen Staat beauftragt und erst sechs Jahre später uraufgeführt wurde. Der überaus selbstkritische Komponist, der nicht allzu viele Werke hinterließ, schuf hier ein Werk, das zu den 50 meist gesungenen Chorwerken überhaupt zählt. Duruflé komponierte sein Requiem im Andenken an seinen Vater. Liebevoll, intim und friedlich kommt es daher, zelebriert mit satten Harmonien und üppiger Orchestrierung sowohl den Tod als auch das Leben. Nicht Trauer und Leid erklingen daraus sondern Dank, Hoffnung und Trost.
Johann Sebastian Bach: "Fantasie c-Moll"
Johann Sebastian Bachs "Fantasie c-Moll" wird nach der Predigt bei der Totenmesse für Helmut Kohl gespielt und erinnert daran, dass Kohl immer wieder Bachs Orgel- und Chorwerke im Dom gehört hat. Bachs Musik wird oft als "universell" beschrieben, weil sie über den deutschen Kulturkreis weit hinausreicht. Bei den Trauerfeiern im Europäischen Parlament in Straßburg und im Dom zu Speyer wird des Altkanzlers nicht in erster Linie als Deutschem, sondern als Europäer und Weltbürger gedacht.
Im Choral "Christus, der ist mein Leben" aus der gleichnamigen Kantate BWV 95 von Johann Sebastian Bach heißt es: "Sterben ist mein Gewinn; ihm will ich mich ergeben, mit Fried fahr' ich dahin." Thema des Liedes ist also nicht nur der Tod, sondern auch und vor allem die Auferstehung.
John Rutters: "Requiem"
Aus dem neu arrangierten Requiem von John Rutter erklingt der "Sanctus" in einer Fassung, die der englische Komponist eigens für Kohls Trauerfeier erstellt und ihm gewidmet hat. Geschrieben hat Rutter, Jahrgang 1945, sein Requiem nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1984. Wie auch bei Duruflés Requiem ist die Stimmung hier insgesamt friedlich und tröstlich, und im Begleitheft zur Trauerfeier wird der Sanctus als "ein musikalisches Abbild der musizierenden himmlischen Heerscharen" beschrieben. Mit seinem Requiem schuf Rutter, der heute in den USA lebt, ein weltweit beliebtes Werk, das auch bei vielen Gottesdiensten in Andenken an die Opfer der Terroranschläge am 11. September 2001 aufgeführt wurde. Darauf folgt "Lamm Gottes" aus dem bereits vorgestellten Requiem von Maurice Duruflé.
Wolfgang Amadeus Mozart: "Ave Verum Corpus"
Mozarts "Ave Verum Corpus" wird beim Trauergottesdienst in Speyer zur Kommunion gesungen. Kaum ein Schul- oder Laienchor, der dieses Werk nicht kennt. Es entstand 1791, im Todesjahr des Komponisten, zusammen mit seinem Requiem, das unvollendet blieb. Während das Requiem apokalyptisch daherkommt, ist das kurze Chorstück ruhig, schlicht, getragen - und vollendet. Das heutige Mozart-Bild ist das eines Lebemannes und Casanovas - was auch stimmen mag. Was gemeinhin nicht so bekannt ist: Der Komponist war auch von einem unerschütterlichen Glauben geprägt. Dazu schrieb der Mozart-Biograph Alfred Einstein: "Wenn es je einen katholischen Komponisten gegeben hätte, dann war es Mozart."
Der in Paris aktive Komponist César Franck schuf mit "Prélude Fugue et Variation" ein Werk, das auf einer deutschen Musikform (Präludium und Fuge) fußt. Wegen seines romantischen Stils und des Tiefgangs seiner Musik wird Franck als "französischer Brahms" beschrieben. Nicht ganz korrekt: Er war deutsch-belgischer Abstammung. Ein richtiger Europäer also.
Sergei Rachmaninow: "Ave Maria"
Sergei Rachmaninows "Ave Maria" erklingt dann nach dem Schlussgebet. Das Stück aus Rachmaninows "Ganznächtlichem Vigil" ist 1915 entstanden und basiert auf der russisch-orthodoxen Kirchenmusik-Tradition. In jenem nächtlichen Ritus erklang das "Ave Maria" um Mitternacht; so sind im Stück auch zwölf Glockenschläge zu hören. Die Wahl des Werkes mag den östlichen Teil des "europäischen Hauses" symbolisieren, dessen Bau Helmut Kohl als Lebensaufgabe verstand - und an dem noch weiter gearbeitet werden muss.
Vor der Verabschiedung hören die Trauergäste dann "Lobe den Herren, meine Seele" von Heinrich Schütz, einem deutschen Komponisten - oder war er wirklich deutsch? Zumindest wurde er von seinem zweijährigen Studium in Italien ab 1607 musikalisch geprägt. Und zweimal verließ er Deutschland, um in Kopenhagen zu wirken. Auch ein Europäer also, wie die meisten großen Komponisten.
Mit dem Gregorianischen Gesang: "In paradisum deducant te angeli" (Ins Paradies mögen die Engel dich geleiten) endet der Trauergottesdienst für Helmut Kohl.