Volkswagen versucht Rückkehr zur Normalität
5. Mai 2015Ein Schlingerkurs ist nie gut. Für ein fahrendes Auto nicht, und für einen riesigen Autokonzern erst recht nicht. Aber Volkswagen, Europas größter Autobauer und die Nummer Zwei in der Welt, war in den vergangenen Wochen mächtig ins Schlingern geraten. Nicht etwa wegen millionenteurer Rückrufaktionen, nicht wegen wegbrechender Märkte wie in Russland oder Brasilien, auch war der Umsatz nicht eingebrochen oder der Aktienkurs.
Nein, es war etwas sehr Männliches: Es war ein Machtkampf zweier Alphatiere. Ferdinand Piëch versus Martin Winterkorn, Chefaufseher gegen Vorstandschef, Du oder ich. Es war aber auch ein neues Kapital der ewigen Familiensaga Porsche gegen Piëch. Ausgetragen vor einer staunenden Öffentlichkeit, und einer genauso erstaunten Belegschaft - immerhin 600.000 Leute rund um den Globus.
Das Ende ist bekannt: Ferdinand Piëch, der Volkwagen lange Jahre höchst erfolgreich geführt und später als Aufsichtsratschef kontrolliert hatte, musste seinen Hut nehmen. Der Sieger heißt Martin Winterkorn. Der Vorstandschef bekam das uneingeschränkte Vertrauen des engsten Führungszirkels ausgesprochen und kann weitermachen.
Showdown in Hannover
Und nun der Showdown: die Hauptversammlung, das Treffen der Aktionäre an diesem Dienstag in Hannover. Seit Jahren erstmals ohne Ferdinand Piëch und ohne seine Frau Ursula, auch sie hatte ihr Aufsichtsratsmandat niedergelegt. Ein Amtsgericht hatte Ende der vergangenen Woche auf Vorschlag des VW-Vorstandes noch schnell zwei neue Mitglieder bestellt, Louise Kiesling und Julia Kuhn-Piëch, beide nahmen die beiden frei gewordenen Plätze der Familie Piëch auf dem Podium ein. Wer allerdings das Kontrollgremium künftig führen soll, das ist nach wie vor ungeklärt.
Martin Winterkorn jedenfalls wirkte extrem gut gelaunt, als er auf dem Messegelände von Hannover eintraf. Dort hatte der Konzern gleich zwei der riesigen, tristen Hallen gemietet und aufgepeppt: Eine für die Hauptversammlung und eine, um den Aktionären die Autos und LKW der zwölf Marken des Konzerns zu präsentieren. Winterkorn tat, was er am liebsten tut: Er strich mit der Hand über die Autos, nahm darin Platz, plauschte mit seinen Begleitern Wolfgang Porsche (Artikelbild, Mitte) und Hans Michel Piëch, traf die Chefs der verschiedenen Konzernmarken. Wenn das alles gespielt war, dann war es mindestens Oscar-verdächtig.
Piëch: Nicht da und doch allgegenwärtig
Dann um Punkt 10:00 Uhr der Beginn des Treffens der Aktionäre. Über 3000 hatten sich auf den Weg nach Hannover gemacht. Die Leitung der Versammlung hatte man Berthold Huber übertragen, er leitet den Aufsichtsrat kommissarisch. Huber (65) war lange Jahre Chef der mächtigen Industriegewerkschaft Metall, die bis heute im VW-Konzern ein gewichtiges Wort mitzureden hat. Oder anders: Ohne die Gewerkschaft geht nichts im Konzern. Huber sagte, er habe das Amt übernommen, damit man "in Ruhe nach einem Nachfolger suchen kann." Er würdigte die "außerordentlichen Verdienste" von Ferdinand Piëch um Volkswagen und die gesamte Autoindustrie.
Das tat auch Martin Winterkorn gleich zu Beginn seiner Rede. Piëch habe die Autoindustrie in den vergangenen fünf Jahrzehnten geprägt "wie kein Zweiter, als Unternehmer, als Ingenieur, als mutiger Visionär." Davor habe er, Winterkorn, großen Respekt. Das gab Beifall der Aktionäre. Der Vorstandschef sprach von "bewegten Wochen", die hinter ihm und dem Konzern lägen. Jetzt aber sei wieder Ruhe eingekehrt und die Mannschaft könne sich wieder auf das Geschäft konzentrieren. Man wolle nach wie vor die Nummer Eins in der Welt werden, und "dafür brauchen wir die volle Konzentration." Kaum noch Beifall.
Kritische Fragen von Analysten und Aktionären
Denn muss es unbedingt die Nummer Eins sein? So mancher Redner auf der Versammlung bezweifelt das. Auch Frank Schwope, Analyst bei der NordLB sieht das anders: Er schätzt zwar, dass VW in diesem Jahr 10,4 Millionen Autos verkaufen und damit Toyota überholen könnte, aber "wichtig ist nicht das, sondern wichtig ist es, Geld zu verdienen," so Schwope gegenüber der DW. Zudem erwartet er, dass Ferdinand Piëch nicht wirklich Ruhe geben werde. "Das ist sein gutes Recht, er besitzt schließlich ein großes Aktienpaket. Der hat noch Pfeile im Köcher."
Schärfer noch die Kritik von Ulrich Hocker, Präsident der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. Er ergriff als erster Redner das Wort und attackierte die VW-Führung scharf. Ein solch unprofessionelles Verhalten wie zuletzt sei eines Konzerns wie Volkswagen "unwürdig." Seine Frage aber nach den Hintergründen des Machtkampfes blieb unbeantwortet.
Intrige gegen Piëch?
Weiter noch ging Martin Weimann, Anleger-Anwalt aus Berlin und Vorstand der Verbraucherzentrale für Kapitalanleger. Er erhob schwere Vorwürfe gegen Wolfgang Porsche. Dieser habe mit Hilfe "dubioser Berater" eine Intrige gegen Ferdinand Piëch inszeniert "um ihn zu killen." Er sprach Wolfgang Porsche wie auch Martin Winterkorn das Recht ab, jemals den Aufsichtsrat führen zu können. Wolfgang Porsche (71) ist ein Cousin von Ferdinand Piëch und gilt als dessen Gegenspieler. Jetzt ist Porsche einer der engsten Kandidaten für den Chefposten des Aufsichtsrates. Er nahm die Vorwürfe gelassen, äußerlich jedenfalls.
So blieb er aus, der große Showdown. Schon die Tagesordnung ließ nicht auf irgendwelche Überraschungen schließen. Vier dürftige Gegenanträge, die unter anderem die massiven Sponsorengelder aufs Korn nahmen, die VW in die Fußball-Bundesliga pumpt. Ansonsten die üblichen Fragen, manch wundersamer Redner und dann doch immer wieder Lobgesänge auf Ferdinand Piëch. Von einem "turbulenten" Aktionärstreffen, wie mancher im Vorfeld vermutet hatte, war die Hauptversammlung jedenfalls weit entfernt.