Wolfgang Rihm wird 65
13. März 2017Am 11. Januar 2017 war beim Klassik-Event des Jahres, der feierlichen Eröffnung der Hamburger Elbphilharmonie, eine Komposition zu hören, die speziell für diesen Anlass komponiert wurde: "Reminiszenz - Triptychon und Spruch in memoriam Hans Henny Jahnn", so der Titel des neuesten Werks des deutschen Komponisten Wolfgang Rihm.
Warum beauftragten die Veranstalter gerade diesen Komponisten? "Meine Arbeit ist völlig subjektiv, wie könnte sie zu Repräsentationszwecken taugen?", fragte Rihm rhetorisch in der Wochenzeitung "Die Zeit". Und fügte selbstbewusst hinzu: "Vielleicht sieht man in mir einen, der nur der künstlerischen Freiheit verpflichtet ist und erkennt darin einen präsentationswerten Zug."
Das dürfte zutreffen. Der Satz enthält nämlich zwei Dinge, die man über Wolfgang Rihm wissen sollte. Erstens: Seine Werke sind keiner Stilrichtung oder Schule zuzuordnen. Und zweitens: Seine Aussagen sind scharfsinnig und treffsicher - auch die über sich selbst. Als Künstler stapelt er weder hoch noch tief.
Komponierender Freidenker
Das Interview, das wenige Wochen vor der Elbphilharmonie-Eröffnung geführt wurde, fand - wie viele andere mit Wolfgang Rihm - durch die Anwendung einer nicht gerade modernen Kommunikations-Technik statt: Die Journalistin schickte ihm schriftlich per Fax einzelne Fragen zu, er faxte die handgeschriebenen Antworten einzeln zurück. Das Ergebnis liest sich wie eine kurzweilige, äußerst schlagfertige Unterhaltung. Auf die Frage "Ist Geist Macht?" kommt per Fax zurück: "Wer Macht will, hat meist keinen Geist. Einem mächtigen Geist aber ist auf die Dauer keine Macht gewachsen. Frage ist nur, ob sie's merkt."
Als Musikjournalist hatte ich sogar zweimal die Ehre, Wolfgang Rihm von Angesicht zu Angesicht persönlich zu sprechen: 2013 in Stuttgart anlässlich der Uraufführung seines Werks "Stille Feste" und dann wieder 2015 in Dresden, als sein Doppelkonzert für Violine, Violoncello und Orchester anlässlich der Zehn-Jahres-Feier der Wiedereröffnung der Dresdener Frauenkirche uraufgeführt wurde. Nach dem ersten, ungemein tiefsinnigen, aber trotzdem lockeren Gespräch bat ich ihn um seine E-Mail-Adresse, damit ich ihm den Link zum Artikel schicken konnte. "Ich habe keinen Computer", war seine Antwort, die mir fast den Atem verschlug. Zwei Jahre später war der Komponist dann mit einem Smartphone unterwegs. Auf diese Weise bestätigte sich das, was ich schon aus seiner Musik wusste: Der Mann lernt ständig dazu.
Meisterschüler bei Stockhausen
Wolfgang Rihm ist seit 1985 Professor für Komposition an der Universität Karlsruhe. Zu seinen Studenten gehörte der überaus erfolgreiche Tonsetzer Jörg Widmann. Rihm selbst hatte einige große Lehrer: die Komponisten Klaus Huber, Wolfgang Fortner - und am prägendsten Karlheinz Stockhausen, bei dem er in Köln studiert hat. Von Letzterem erhielt er einmal einen Zettel, der jahrzehntelang über seinem Schreibtisch hing. Auf ihm stand die Botschaft: "Lieber Wolfgang Rihm, bitte folgen Sie ganz Ihrer eigenen Stimme. Ihr Karlheinz Stockhausen."
Das hat der angehende Komponist Rihm auch getan. Geboren am 13. März 1952 in Karlsruhe, schrieb der junge Wolfgang bereits mit elf Jahren Musik. Als Gymnasiast besuchte er gleichzeitig die Musikhochschule und im gleichen Jahr - 1972 - machte er sowohl das Abitur als auch den Staatsexamen in Komposition und Musiktheorie. Im Sommer zog er dann nach Köln, um bei Stockhausen zu studieren.
Bereits 1974 kam sein Durchbruch bei den Donaueschinger Musiktagen. 1978 wurde er Dozent bei den Darmstädter Ferienkursen. Donaueschingen und Darmstadt - zwei der wichtigsten Zentren der Neuen Musik in Deutschland - hielt er jahrzehntelang die Treue.
Wolfgang Rihm blieb immer skeptisch gegenüber dem Begriff "Musikzentrum", er verglich ihn mit einem "Ghetto". Sein eigenes Schaffen war dagegen stets undogmatisch. Bereits Mitte der 1970er Jahre durchbrach er das Systemdenken der meisten Nachkriegskomponisten und schrieb Musik, die direkt und emotional war - oder eben "subjektiv", um Rihm selbst zu zitieren.
Die ungewöhnlichen Namen vieler seiner Werke, etwa "Jagden und Formen", "Der Chiffre-Zyklus" oder "Pol - Kolchis - Nucleus" deuten zudem auf eine Beschäftigung mit außermusikalischen Inhalten hin, vor allem mit Literatur. "Schreibmusiker und Musikschreiber" nannte ihn die Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz, als sie ihm 2014 den Robert-Schumann-Preis verlieh - nur eine der vielen Auszeichnungen, die diesem Komponisten zuteil wurden.
Jede freie Minute fürs Komponieren
Als 25-Jähriger komponierte Rihm die Kammeroper "Jakob Lenz", die bis heute einen festen Platz im Repertoire hat, und seine Opern "Die Eroberung von Mexico", "Die Hamletmaschine", "Das Gehege" und "Dionysos" waren und sind auf den Spielplänen mehrerer Häuser zu finden. Ähnlich wie seine Konzerte für diverse Soloinstrumente und Orchester, Lieder und Streichquartette die Spielpläne der Konzerthäuser nachhaltig bereichern.
Wolfgang Rihm ist auch Autor mehrerer Bücher und Mitglied in verschiedenen Gremien; seit 1989 auch im Aufsichtsrat der GEMA. Es sei nicht nur ein Segen, so stark beschäftigt zu sein, sagte er 2015 im DW-Interview: "Mittlerweile kämpfe ich um jede freie Minute, arbeiten zu können. Dinge, die nicht zentral wichtig sind, nehmen mir die Kraft, und die brauche ich zum Arbeiten."
Der Komponist lebt in Karlsruhe und Berlin. Was das konkret heißt, erläuterte Rihm 2015 im Interview mit der "Berliner Morgenpost". Die Antwort kam mit dem für ihn typischen entwaffnenden Humor: "Ich habe in Karlsruhe meinen Lebensmittelpunkt und in Charlottenburg eine Wohnung gemietet. Wenn gerade viel von mir gespielt wird, bin ich oft hier (in Berlin, Anm. d. Red.). Sorgen Sie dafür, dass ich viel gespielt werde, dann gehöre ich auch zum Berliner Stadtbild."
Dafür muss man nicht extra sorgen. Dass Kompositionen von Wolfgang Rihm heutzutage viel gespielt werden, läuft ganz von alleine. Am heutigen Montag (13.03.2017) kann er zufrieden seinen 65. Geburtstag feiern.