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Von Raum, Zeit und der Elbphilharmonie

Rick Fulker
12. Januar 2017

Musik ist die vergänglichste aller Künste: Kaum ist ein Ton gespielt, ist er schon verklungen. Die Klänge von der Eröffnung der Elbphilharmonie bleiben im Gedächtnis. Von Rick Fulker, Hamburg.

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Elbphilharmonie in Hamburg (Foto: picture-alliance/R. Goldmann)
Bild: picture-alliance/R. Goldmann

Mein Sitzplatz: hoch oben, im Rang einige Etagen über der Bühne. Atemberaubend ist erst einmal die vertikale Höhe im Saal. Die Sitzreihen, die im Weinbergstil angeordnet sind, steigen so steil an, dass mein Knie höher positioniert ist, als der Kopf des Mannes in der Reihe vor mir. Unter mir die Bühne - ganz weit unten. Trotz der Entfernung wirkt es, als ob ich mitten in der Musik sitzen würde. Der Klang des Elbphilharmonie Orchesters des Norddeutschen Rundfunks (NDR), das zur Eröffnung spielt, ist extrem klar. Ohne Mühe kann ich meine Aufmerksamkeit auf die einzelnen Orchesterstimmen und Instrumentengruppen richten. Die Soloinstrumente sind voll präsent.

Geht es aber auch mal ganz leise?

"Zum Raum wird hier die Zeit", heißt es in der Oper "Parsifal", ein Satz, den Richard Wagner Jahrzehnte vor Einsteins Relativitätstheorie schrieb. Das war auch das Motto des Eröffnungskonzerts der Elbphilharmonie an diesem Mittwochabend. Auf dem Programm: Werke der Klassiker Richard Wagner, Ludwig van Beethoven und Felix Mendelssohn-Bartholdy - aber auch etwa des Altmeisters Michael Praetorius und der modernen Komponisten Olivier Messiaen, Bernd Alois Zimmermann und Wolfgang Rihm. Geboten wurden fünf Jahrhunderte abendländischer Kunstmusik, und der nagelneue Konzertsaal spielte stets mit, wie ein riesiges Instrument. Solisten oder kleine Ensembles spielten oder sangen von den hohen Rängen - und egal, ob sie fünf oder fünfzig Meter vom Ohr entfernt waren, kamen sie genau so deutlich an wie das Orchester dort unten auf der Bühne.

Joachim Gauck in der Elbphilharmonie
Eröffnungsredner Gauck: "Schmuckstück der Kulturnation Deutschland"Bild: Getty Images/M. MacMatzen

Die Ouvertüre zu Wagners "Parsifal" ist für mich wirklich kein unbekanntes Werk, doch hörte ich in der Aufführung am Abend Neues darin. Andere Strukturen, andere motivische Verläufe traten hervor. Grund war zum einen die Interpretation des NDR Elbphilharmonie Orchesters, zum anderen aber auch die Unmittelbarkeit des Klangs im Großen Saal der Elbphilharmonie. Nur, ganz, ganz leise war es nie, was gerade bei "Parsifal" wichtig ist. Schuld daran ist nicht allein der Saal mit seiner enormen Akustik; der Dirigent muss hier ganz klar gegensteuern. Das ist der einzige kleine Tadel, den ich habe, doch auch für Maestro Thomas Hengelbrock war es der erste Abend im Konzertbetrieb in der Elbphilharmonie, und er muss noch Erfahrungen an diesem Ort sammeln.

Die Sitznachbarin singt mit

Laut wird es in der Elbphilharmonie allemal, wenn das Orchester voll aufdreht, doch das klingt nie unangenehm, nie verzerrt. Die gefürchteten Echoeffekte, die manchem neugebauten Konzertsaal zum Verhängnis wurden, kommen schlicht und einfach nicht vor. Architekten und Akustiker haben ihre Hausaufgaben gemacht. Die Tuttis sind mitreißend. Meine Sitznachbarin unterhielt sich während des Konzerts einmal munter mit ihrem Begleiter und sang sogar beim Schlusschor "An die Freude" aus Beethovens Neunter Sinfonie mit. Das störte nicht, weil der Rest, der ans Ohr drang, so mitreißend war.

Lichtshow an der Elbphilharmonie
Elbphilharmonie im Hamburger Hafen: Lichtshow im Takt der MusikBild: Reuters/F. Bimmer

Während sich alte und neue Werke im Saal nahtlos abwechselten, wurde das Gebäude mit seiner Glasfassade, in der sich Himmel und Hafen spiegeln, zur Open-Air-Bühne für eine Lichtshow im Takt zur Musik, die nach draußen übertragen wurde. Der Konzertmarathon dauerte fast drei Stunden, vorangestellt war ein einstündiger Festakt mit Ansprachen und musikalischen Einlagen.

0,5 Prozent der Kartenwünsche gingen in Erfüllung

Die Elbphilharmonie habe "als Traum und als Albtraum, als Weltstar und als Witz, als Blamage und als Wunder" hergehalten, sagte Joachim Gauck in seiner Festrede. Der Bundespräsident spielte damit auf die Konflikte und die Kostenexplosion an, die die Elbphilharmonie zum Sinnbild für Bauskandale gemacht haben. Mittlerweile sprechen die Hamburger kaum noch von den 789 Millionen Euro, die das neue Wahrzeichen den Steuerzahler gekostet hat. Jetzt ist nur noch vom Nutzen für die Stadt die Rede - und für die Nation. Der Bau, so Gauck, der "starke, auch ambivalente Gefühle ausgelöst" habe, "bevor überhaupt der erste Ton erklingen konnte", sei jetzt ein "Schmuckstück der Kulturnation Deutschland". Dieses "Amphitheater der Tonkunst" sei "ein Bau, der unserer offenen Gesellschaft entspricht."

Hamburg Eröffnung Elbphilharmonie
Schlussapplaus: Stehende Ovationen für die Musiker, den Saal und seine SchöpferBild: picture-alliance/dpa/C. Charisius

220.000 Menschen aus aller Welt nahmen an der Verlosung der Karten zum Eröffnungskonzert teil, gut 1000 von ihnen durften dann am Mittwochabend Platz neben den geladenen Gästen nehmen, zu denen Kanzlerin Angela Merkel und andere Repräsentanten der Bundesrepublik gehörten, aber auch Künstler, wie der Regisseur Fatih Akin, die Modedesignerin Jil Sander und der Schauspieler Armin Mueller-Stahl. Am Schluss dann stehende Ovationen für die Musiker, sicher aber auch für den Saal und seine Schöpfer.