Vircoulon: "Regierung ist unbeliebt"
14. September 2013Deutsche Welle: Bei neuen Kämpfen in der Zentralafrikanischen Republik sind Anfang September mindestens sechzig Menschen ums Leben gekommen. Unterstützer des ehemaligen Präsidenten Francois Bozizé sollen einige Dörfer in dessen Heimatregion um Bossangoa im Nordwesten von den neuen Machthabern zurückerobert haben - ihr erster sichtbarer Erfolg gegen die Seleka-Allianz des amtierenden Präsidenten Michel Djotodia, die Bozizé im März gestürzt hatte. Was hat es mit diesen Kämpfen auf sich?
Thierry Vircoulon: Die Kämpfer der Seleka-Allianz sind sehr unbeliebt - besonders in Bozizés Heimatregion im Nordwesten des Landes. So kommt es, dass die Bevölkerung dort Bürgermilizen bildet, die immer wieder mit den Rebellen aneinandergeraten. Dazu kommt, dass es im Westen der Zentralafrikanischen Republik seit dem Putsch viele "verlorene Soldaten" [Anm. d. Red.: ehemalige Soldaten aus Bozizés Armee] gibt, die sich der Bevölkerung angeschlossen haben könnten.
Das Ziel der Operation sei es, dem gestürzten Präsidenten Bozizé wieder zur Macht zu verhelfen, sagte Bozizés Sprecher Levy Yakete der Nachrichtenagentur Agence France Presse (AFP). Wie viel Einfluss hat der abgesetzte Präsident Bozizé noch?
Ich glaube nicht, dass sein Einfluss so weit reicht, dass er die Gewalt ausgelöst haben könnte. Ich denke, die Gewalt lässt sich zum Teil durch die große Unterdrückung durch die Seleka-Kämpfer erklären. Vielen Zentralafrikanern ist die Herrschaft der Rebellen sehr zuwider. Seit dem Putsch ist die komplette staatliche Infrastruktur zusammengebrochen. Auch Nichtregierungsorganisationen haben nur begrenzten Zugang zu den ländlichen Gegenden. Es gibt dort also keine medizinische Versorgung und keine Schulen mehr - und das gilt in ähnlicher Weise auch für die Städte. Daher die große Abneigung gegenüber der neuen Regierung.
Wie stark ist das Militär des neuen Präsidenten Michel Djotodia? Werden seine Truppen in der Lage sein, eine Stabilität im Nordwesten zu schaffen?
Das ist sehr unwahrscheinlich. Die neue Macht in der Hauptstadt Bangui schickt nun zwar Truppen zur Verstärkung in diese Region, aber es wird ihnen äußerst schwerfallen, Frieden und Sicherheit wiederherzustellen. Einerseits, weil sie so unbeliebt sind, und andererseits, weil sie versuchen werden, das Problem mit Waffengewalt zu lösen. Wenn sie nun ihre ganze militärische Stärke im Nordwesten konzentrieren, müssen wir uns auf weitere Fälle von Gewalt gegen die Bevölkerung gefasst machen. Diese Region liegt überdies an der Grenze zu Kamerun. Es könnte also auch Verbindungen zwischen zentralafrikanischen und kamerunischen Milizen geben.
In Bangui ist es bereits vor einigen Wochen zu Kämpfen gekommen, die Sicherheitslage ist dort seit Monaten schlecht. Warum erweist es sich für Präsident Djotodia als so schwierig, seine Machtbasis auszubauen?
Zunächst liegt das daran, dass die Seleka von Anfang an ein sehr loses Bündnis war. Es handelt sich ja um einen Zusammenschluss von bewaffneten Gruppen, die sich zuvor jahrelang gegenseitig bekämpft hatten. Zweitens haben sich auch einige ausländische Milizionäre der Seleka angeschlossen. Von Anfang an gab es keine richtige Einheit. Das Einzige, was die Kämpfer verband, war der Wunsch, die Hauptstadt einzunehmen. Als das Bündnis dann Bangui eroberte, zerfiel der ganze staatliche Sicherheitsapparat. Armee und Polizei waren ohnehin schon geschwächt von den zehn Jahren unter dem früheren Machthaber Bozizé. Ohne funktionierende Sicherheitskräfte hat die Seleka aber enorme Probleme, ihre eigenen Kämpfer im Zaum zu halten.
Wie könnte eine langfristige Lösung aussehen?
Die dringendste Aufgabe ist es, die Sicherheit zunächst in der Hauptstadt und dann in den größeren Städten wiederherzustellen. Es liegt auf der Hand, dass hierfür der Einsatz internationaler Truppen vonnöten ist. Es gibt ja in der Zentralafrikanischen Republik schon französische Soldaten und auch eine afrikanische Friedensmission. Und wenn eine internationale Einsatztruppe entsandt ist, brauchen wir Programme zur Entwaffnung und Wiedereingliederung von Seleka-Kämpfern in die Gesellschaft. Und natürlich müssen auch Armee und Polizei wiederaufgebaut werden. Nur so kann eine friedliche Übergangszeit von anderthalb Jahren garantiert werden. Die nächste Herausforderung wäre dann, den Staat komplett neu aufzubauen. Das wird natürlich viel länger dauern.
Thierry Vircoulon ist Projektleiter für das Zentrale Afrika bei der Nichtregierungsorganisation "International Crisis Group", die sich der Lösung und Vorbeugung tödlicher Konflikte verschrieben hat.