Viele Verletzte bei neuer Gewalt am Jerusalem-Tag
10. Mai 2021Auf dem Tempelberg kam es zu neuen Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und israelischen Sicherheitskräften. Im Internet übertragene Bilder zeigten, wie Polizisten vor der Al-Aksa-Moschee Blendgranaten, Tränengas und Gummigeschosse gegen Steine werfende Palästinenser einsetzten.Nach Angaben des Palästinensischen Roten Halbmondes wurden 305 Menschen verletzt, sieben davon lebensgefährlich. Knapp 290 Menschen seien in Krankenhäusern behandelt worden. Ein Sprecher der Polizei in Jerusalem sagte, es seien 21 Polizisten verletzt worden.
Nach den gewaltsamen Auseinandersetzungen am Wochenende war eine erneute Eskalation der Gewalt am Jerusalem-Tag befürchtet worden. In Israel wird am 10. Mai die Eroberung Ost-Jerusalems im Sechs-Tage-Krieg 1967 gefeiert. Die Annexion wird international nicht anerkannt.
Bereits am Vorabend hatten überwiegend junge Palästinenser an verschieden Orten in Ost-Jerusalem demonstriert. Dabei kam es immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften, unter anderem am Damaskus-Tor, vor der Al-Aksa-Moschee und im Viertel Scheich Dscharrah. Dort hatten die jüngsten Proteste zu Beginn des Wochenendes ihren Ausgang genommen. Auslöser waren drohende Zwangsräumungen von Wohnungen, die von jüdischen Israelis beansprucht werden.
Mehr als 300 Verletzte
Ein für diesen Montag geplanter Gerichtstermin zu den Zwangsräumungen wurde nach Angaben des israelischen Generalstaatsanwalts Avichai Mandelblit verschoben. Eine neue Sitzung soll innerhalb von 30 Tagen angesetzt werden.
Über das Wochenende hat sich die Lage zugespitzt. Bei den schwersten Zusammenstößen zwischen Palästinensern und israelischen Sicherheitskräften seit Jahren wurden mehr als 300 Menschen verletzt. Auch aus mehreren anderen Städten wurden Proteste gemeldet, etwa aus der israelischen Hafenstadt Haifa, wo es Festnahmen gab, nachdem Demonstranten versuchten, eine Polizeisperre zu durchbrechen.
Sitzung des UN-Sicherheitsrats angesetzt
Angesichts der wachsenden Spannungen will sich der UN-Sicherheitsrat an diesem Montag in einer nicht-öffentlichen Sitzung mit der Gewalt in Jerusalem befassen. UN-Generalsekretär Antonio Guterres sagte, er sei tief besorgt über die gewalttätigen Zusammenstöße in Israel und die mögliche Vertreibung palästinensischer Familien aus ihren Häusern. Er forderte Israel auf, weitere Zwangsräumungen einzustellen.
Auch die USA zeigten sich beunruhigt. Der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, habe in einem Telefonat mit seinem israelischen Amtskollegen Meir Ben-Shabbat betont, die USA bemühten sich um eine Deeskalation, teilte das Weiße Haus mit. Die USA seien besorgt über möglichen Räumungen palästinensischer Familien im Stadtteil Scheich Dscharrah.
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu verteidigte unterdessen das Vorgehen der Sicherheitskräfte und versicherte, Israel werde entschlossen vorgehen, um "Recht und Ordnung" durchzusetzen. Alle sechs arabischen Länder, die diplomatische Beziehungen zu Israel unterhalten - Ägypten, Jordanien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, Marokko und Sudan - verurteilten aber das israelische Vorgehen. Jordanien und Ägypten bestellten die Gesandten Israels ein, um gegen das israelische Vorgehen an der Al-Aksa-Moschee zu protestieren.
Unruhen breiten sich aus
Die Unruhen in Jerusalem breiteten sich inzwischen auch auf die Palästinensergebiete im Westjordanland und im Gaza-Streifen aus. Die radikal-islamische Hamas, die den Gaza-Streifen kontrolliert, unterstützt ebenso wie Palästinenserpräsident Mahmud Abbas die Demonstranten in Jerusalem. Aus dem Gaza-Streifen wurden am Sonntag nach Angaben der israelischen Armee mindestens drei Raketen auf Israel abgefeuert, auch Brandballons wurden demnach losgeschickt. An der Grenze zum Gaza-Streifen versammelten sich am Sonntagabend hunderte Palästinenser zum Protest.
Trotz der internationalen Aufrufe zur Deeskalation ist keine Entspannung in Sicht: Am Montagnachmittag ist ein Marsch von Juden zur Erinnerung an die israelische Besetzung von Ost-Jerusalem 1967 geplant. Aus Sorge vor neuer Gewalt zwischen beiden Seiten verbot die israelische Polizei allerdings Juden, bei Flaggenmärschen durch die Altstadt auch den Tempelberg zu betreten.
ww/sti (dpa, afp, rtr)