Viel Licht und lange Schatten
22. August 201644 Medaillen hatte der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) als Ziel für Rio ausgegeben. Das war die Ausbeute bei den Spielen vor 2012 Jahren in London. Herausgekommen sind diesmal derer 42, davon 17 goldene. Man könnte also sagen, es sei alles in Butter. Allerdings: So schön die Erfolge sind, so sehr fehlt die Qualität in den olympischen Kernsportarten. "50 Prozent mehr Goldmedaillen - das ist nicht so schlecht. Mit diesem Schicksal würden viele gerne tauschen", sagte DOSB-Präsident Alfons Hörmann, in dessen Gesicht sich jedoch auch deutliche Sorgenfalten abzeichneten. "Wir haben in manchen Bereichen Probleme, das weltweit steigende Niveau im Spitzensport mitzugehen", meinte der Funktionär mit ernstem Blick. In einigen Fachverbänden habe das deutsche Team die Ziele "schlichtweg nicht ansatzweise erreicht".
Die Strahlemänner und -frauen
Positiv und mitreißend waren die Erfolge von Turner Fabian Hambüchen am Reck und dem Beachvolleyball-Duo Laura Ludwik/Kira Walkenhorst. Hambüchen krönte seine Karriere zum Abschied an seinem Lieblingsgerät, ihm flogen die Herzen der (deutschen) Zuschauer und der Respekt der Konkurrenten ebenso zu wie den Beachvolleyballerinnen, die das Kunststück fertigbrachten, in der Höhle des Löwen beide brasilianische Doppel auszuschalten.
Stark präsentierten sich wieder einmal die deutschen Reiter. Fünf Medaillen - damit liegen sie durchaus im Soll oder sogar darüber. Vielseitigkeitsreiter Michael Jung war es, der den Bann brach und das erste Gold für das DOSB-Aufgebot holte. Danach folgten die traditionell starken Dressur-Spezialisten mit Mannschaftsgold sowie Silber und Bronze im Einzel, im Springen ist einzig Bronze im Team eine eher durchschnittliche Ausbeute.
Madaillenbänke auf der Regattabahn
Überdurchschnittlich schlugen sich wieder die Ruderer mit zweimal Gold und einmal Silber: "Wir sind auf Platz zwei der Nationenwertung hinter Großbritannien. Das hatten wir schon seit Jahren nicht mehr", lobte Cheftrainer Marcus Schwarzrock. Das Prestigeboot, der Deutschland-Achter, musste sich allerdings erwartungsgemäß mit Platz zwei hinter Großbritannien zufrieden geben.
Als große Gewinner und Retter der Bilanz dürfen sich die Rennkanuten feiern lassen. Sie sahnten gleich sieben Medaillen ab, vier davon aus Gold. Die harte Arbeit hat Früchte getragen, die Sportler, die nur alle vier Jahre im Rampenlicht stehen, haben wieder mal ihre Chance genutzt. "Wir arbeiten fleißig und haben anscheinend das richtige Konzept, um immer wieder erfolgreich zu sein", freute sich Doppel-Olympiasieger und Abschlussfeier-Fahnenträger Sebastian Brendel.
Schützen überragend, Radsportler schwach
Das hat offenbar auch Bogenschützin Lisa Unruh. Mit scheinbar stoischer Ruhe sicherte sich die Berlinerin knapp geschlagen Silber und machte es damit nur ein wenig schlechter als die Schützen mit Pistole und Gewehr. Die kamen auf insgesamt vier Medaillen, Barbara Engleder und Henri Junghänel mit dem Kleinkalibergewehr sowie Christian Reitz mit der Schnellfeuerpistole dürfen sich sogar Olympiasieger nennen.
Gerade noch mal gut gegangen ist der Auftritt in Rio für die Radsportler. Auf der Straße enttäuschte vor allem Tony Martin im Einzelzeitfahren, im Straßenrennen hatten die BDR-Fahrer ebenfalls nichts mit der Medaillenvergabe zu tun. Einzig Kristina Vogel auf der Bahn rettete die Equipe vor dem Totalversagen, sicherte sich Gold im Sprint und Bronze mit Miriam Welte im Teamsprint.
Ballsportler stark wie nie
Zu den positiven Überraschungen gehören die Ballsportarten: Historisches Gold für die Fußball-Frauen im Maracana, eine knappe Final-Niederlage für die Männer gegen die Gastgeber, dazu Bronze der Handballer und für beide Hockeyteams. Die Mannschaften - bei den vergangenen Spielen, abgesehen vom Hockey - häufig nicht einmal qualifiziert, spielten sich mit begeisternden Auftritten in die Herzen der Zuschauer und ließen erahnen, dass Olympia selbst für hartgesottene und gut verdienende Fußballprofis noch etwas Besonderes ist.
Diesen Eindruck konnte man von den Golfern bei ihrem Olympia-Comeback nicht erhalten. Martin Kaymer muss sich an seinen eigenen Vorgaben messen lassen, in Abwesenheit eines Großteils der Weltspitze Gold gewinnen zu wollen - heraus kam ein Platz im geschlagenen Feld, wie auch bei Alex Cejka.
Dunkle Wolken über den Kernsportarten
Noch mehr enttäuscht haben freilich die Schwimmer: keine einzige Medaille bei den Beckenwettbewerben - das hat es seit 1932 nicht mehr gegeben. Und weil nach dem Rücktritt von Thomas Lurz auch im Freiwasser die Klasse fehlt, bleibt dem DSV nur Bronze für Wasserspringer Patrick Hausding. Eine Katastrophe in einer olympischen Kernsportart. Siegaspiranten gab es ohnehin nur wenige, und die, namentlich Weltmeister Marco Koch und Paul Biedermann, waren nicht auf den Punkt fit, positive Überraschungen blieben aus.
Hiervon gab es bei den Leichtathleten, der anderen Kernsportart, wenigstens einige wenige. Der Sieg für Diskuswerfer Christoph Harting ist da zu nennen, der für seinen angeschlagenen Bruder Robert in die Bresche sprang, aber sofort an seiner eigenen Demontage arbeitete, indem er sich bei der Siegerehrung und bei der Pressekonferenz flegelhaft verhielt. Vielleicht war der plötzliche Ruhm einfach zu viel für ihn. Souveräner ging Thomas Röhler mit seinem Gold im Speerwurf um. Den insgesamt schwachen Gesamteindruck der Leichtathleten konnte er aber nur etwas aufpolieren.
"Das ist eindeutig, ähnlich wie bei den Schwimmern, ein besorgniserregender Zustand", stellte DOSB-Präsident Hörmann fest. Leichtathletik-Verbandschef Clemens Prokop sah nicht ganz so schwarz: "Es gab viele Ergebnisse junger Athleten, die mich auch ohne Medaille sehr optimistisch für die kommenden Herausforderungen stimmen", sagte er und meinte damit wohl Platz sechs durch Hindernisläuferin Gesa Felicitas Krause in deutscher Rekord-Zeit oder den Auftritt von Gina Lückenkemper, die beim Olympia-Debüt über 200 Meter ins Halbfinale rannte. Dass es in Zukunft für diese beiden zu Medaillen reichen wird, scheint trotzdem fraglich.
Tendenz sinkend
Besorgniserregend ist die erweiterte Wertung, in die nicht nur die Medaillen, sondern auch die Finalplätze vier bis acht eingehen. Hier hatte der DOSB in London noch 125 Resultate gesammelt, in Rio waren es nur noch 99. Das ist der niedrigste Wert seit der deutschen Wiedervereinigung. In der Breite hapert es also, ganz besonders in der Leichtathletik, im Schwimmen und bei den Fechtern, die an der Copacabana ganz leer ausgingen. Auch Thomas de Maizière wurde deshalb nachdenklich. "Das Bundesinnenministerium teilt mit uns die Sorge darüber, dass wir erkennbar über die vergangenen Jahre und Jahrzehnte tendenziell eher verlieren", sagte Hörmann in einem ARD-Interview am Sonntag. "Der Weltsport entwickelt sich weiter. Wenn wir stehenbleiben, dann wird in Tokio 2020 und fortfolgend auch nicht mehr das Ergebnis kommen, das wir uns vorstellen", warnte er.