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KonflikteIsrael

Verzweifelt: Angehörige der Hamas-Geiseln in Brüssel

26. Oktober 2023

Tante und Onkel sind Geiseln der Terrororganisation Hamas in Gaza. Der Neffe macht in Brüssel auf ihr Schicksal aufmerksam. Er bitte um die Hilfe der EU - irgendwie. Bernd Riegert berichtet.

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An einem Tisch sitzen eine Frau und zwei Männer, ein dritte Mann (verdeckt) hält eine Tafel hoch mit dem Bild von zwei Menschen und der Überschrift "Kidnapped", an der Wand hinter ihnen eine Projektion vieler Gesichter mit der Forderung "Bring them home now!"
Entführt von Terroristen der Hamas: Shoval Abend Plotzki macht in Brüssel auf das Leid seiner Verwandten aufmerksamBild: Bernd Riegert/DW

Shoval Abend Plotzki studiert eigentlich Medizin in Italien. Seit drei Wochen jedoch ist die Welt des 27 Jahre alten Israeli völlig aus den Fugen geraten. Er reist mit anderen Angehörigen von Verschleppten oder Ermordeten durch Europa, spricht mit Politikern, Abgeordneten und Journalisten. Immer wieder berichtet er vom grausigen Überfall der Hamas-Terroristen auf den Kibbutz Be'eri am 7. Oktober. Er hat in den Tagen nach dem Angriff, als er im niedergebrannten Kibbuz zu Besuch war, Unvorstellbares gesehen, sagt er der DW. Tote Babys, verkohlte, verstümmelte Leichen, Zerstörung, unendliches Leid. Er erzählt mit ruhiger, ab und an stockender Stimme.

Unendliche Ungewissheit

Seine Tante Raz und sein Onkel Ohad überlebten den Überfall, aber sie wurden in den Gazastreifen verschleppt. Die Hamas ist eine militant-islamistische Organisation und wurde 2006 zur stärksten Kraft im palästinensischen Parlament gewählt. Seit 2007 regiert sie ohne weitere demokratische Mandate den Gazastreifen. Viele, insbesondere westliche Staaten stufen die Hamas als Terrororganisation ein.

Eine Bildprojektion / Ein Plakat zeigt etliche Gesichter / Porträtaufnahmen und in der Mitte Weiß und Rot auf Schwarz die Forderung "Bring them home now"
"Bring them home now" - Angehörige fordern die Freilassung der GeiselnBild: Bernd Riegert/DW

Von dem 54-jährigen Onkel von Shoval Abend Plotzki tauchte noch am Morgen des 7. Oktober ein Foto in einem Telegram-Kanal auf, das ihn in der Gewalt der Hamas im Gazastreifen zeigt. Dass seine 57 Jahre alte Tante ebenfalls entführt und misshandelt wurde, zeigte einige Tage später ein Video, das man bei einem getöteten Hamas-Mitglied in der Bodycam fand. In der Aufnahme stolperte seine Tante barfuß und halbnackt, wie Shoval Abend Plotzki erzählt, getrieben von Bewaffneten, eine Straße entlang.

"Wir haben keine Informationen, wie es Ihnen geht", sagt der Neffe am Tag 20 nach der brutalen Entführung. "Ob sie leben oder tot sind? Wir wissen es nicht. Wir wissen es einfach nicht." Zusammen mit Familien und Freunden der über 220 Geiseln hat sich Shoval Abend Plotzki in einem Forum organisiert, das unter dem Hashtag "Bring them home now" die Freilassung der Verschleppten fordert. Die Europäische Union sollte dabei helfen, meint Shoval Abend Plotzki, denn schließlich haben Dutzende Geiseln eine doppelte Staatsbürgerschaft. Rund 60 Geiseln sind deutsche Staatsbürger. Auch Raz und Ohad Ben-Ami haben neben ihrem israelischen auch einen deutschen Pass. Um die Hilfe für seine Tante und seinen Onkel anzumahnen, ist Shoval Abend Plotzki auf Einladung der European Jewish Association am Tag des EU-Gipfels nach Brüssel gekommen.

Vier Männer und eine Frau sitzen an einem langen Tisch mit weißer Decke vor Mikrophonen, hinter ihnen steht ein weitere Mann, an der Wand hinter ihnen eine Projektion vieler Gesichter mit der Forderung "Bring them home now!"
Öffentlich über das Schicksal ihrer Familien zu sprechen, ist für viele Angehörige schwerBild: Bernd Riegert/DW

"Jedes Leben zählt"

"Jeder, der in einer Machtposition ist, aber auch jede Mutter und jeder Vater, sollte sich fragen: 'Was wäre, wenn dies mein Kind, mein Bruder, meine Schwester wäre?'" Die Staaten und Politiker müssten sich zusammenschließen, um Israel zu helfen, meint Shoval Abend Plotzki. "Ich denke, jedes Leben zählt, egal, was man zuvor getan hat. Die Israelis, die gestorben sind, und die Zivilisten im Gazastreifen sind alle unschuldig. Man muss die Menschen von der Terrororganisation trennen. Man muss die Komplexität dieses Konfliktes verstehen, der wohl der schwierigste in der ganzen Region ist."

"Humanitäre Hilfe brauchen auch die Geiseln"

Konkret fordert Shoval Abend Plotzki, nicht nur den Palästinensern im Gazastreifen humanitäre Hilfe zu leisten, sondern auch den Geiseln. Das Rote Kreuz oder andere Hilfsorganisationen, die zum großen Teil von der EU finanziert werden, sollten seiner Tante die Medikamente bringen, die sie so dringend braucht. Raz Ben-Ami hat eine schwere Autoimmunkrankheit und braucht 16 Medikamente. "Bringt ihr ihre Medizin. Wenn sie sie nicht bekommt, wird sie bald nicht mehr sein. Sie wird sterben."

Menschen stehen auf einer breiten Straße mit Bäumen, zwei Frauen halten ein Transparent mit der Forderung "Bring them home now!"
Demonstration in Berlin: 60 Geiseln haben einen deutschen PassBild: Bernd Elmenthaler/IMAGO

Am Freitag fliegt Shoval Abend Plotzki von Brüssel wieder nach Israel. Weiter hoffen und warten. "Raz ist eine Künstlerin, eine wirklich friedfertige Person. Sie engagierte sich in der Friedensbewegung und für Menschenrechte. Ohad ist Buchhalter im Kibbuz. Die beiden haben niemals irgendjemandem Gewalt angetan. Niemals", erzählt der junge Mann aus Israel. Sie seien völlig unschuldig.

Umso unverständlicher, dass die Hamas-Terroristen gerade in ihren Kibbuz gekommen seien, um wahllos Menschen abzuschlachten oder zu verschleppen. "Die Mehrheit der Menschen in Israel kann die Bilder aus dem Gazastreifen nicht ertragen. Es müsste einen anderen Weg geben, die Terroristen zu schlagen und sie von ihren Helfern zu trennen, ohne die anderen Menschen zu töten." Zuhause in Israel wird Shoval Abend Plotzki die drei erwachsenen Töchter der Entführten treffen, seine Cousinen. "Sie wissen nicht, wie es ihren Eltern geht. Sie wissen nicht, ob sie sie jemals wiedersehen werden."

Redaktionelles Update: Raz Ben-Ami, eine der in diesem Artikel erwähnten Hamas-Geiseln, wurde am 29.11. freigelassen. 

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union