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Vertrauensfrage trotz stabiler Mehrheit?

Daniel Wortmann27. Mai 2005

Bevor Gerhard Schröder im Bundestag die Vertrauensfrage stellt, muss er sich auf eine verfassungsrechtliche Diskussion einlassen: Darf ein Bundeskanzler Neuwahlen erzwingen oder missbraucht er so das Grundgesetz?

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Kanzler Schröder: Neuanfang geplantBild: AP

Auf der Suche nach der "klaren Unterstützung der Mehrheit der Deutschen" hat sich Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) noch am Tag der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen für eine vorgezogene Bundestagswahl ausgesprochen. Jetzt allerdings steht er vor einem Umsetzungsproblem. Experten streiten darüber, ob Schröder mit den Instrumenten des Grundgesetzes das Parlament tatsächlich auflösen kann.

Auflösung durch Vertrauensfrage

Unterzeichnung Grundgesetz 1949
Unterzeichnung des Grundgesetzes 1949: Entsprechen die bevorstehenden Neuwahlen dem Geist der Verfassung?Bild: AP

Im Zentrum der Debatte steht Artikel 68 des Grundgesetzes, nach welchem sich der Kanzler durch den Bundestag das Vertrauen aussprechen lassen kann. Erhält er bei dieser Abstimmung keine Unterstützung, so darf der Bundespräsident den Bundestag auflösen. Dieser Artikel war von den Vätern des Grundgesetzes als Waffe "gegenüber einer obstruierenden destruktiven Parlamentsmehrheit" geschaffen worden.

Nicht zum ersten Mal wird nun über die Bedeutung des Verfassungsartikels diskutiert. Erst kurz nach seiner Wahl zum Bundeskanzler hatte Helmut Kohl im Januar 1983 die "Vertrauensfrage" genutzt, um den Bundestag neu wählen zu lassen.

Verfassungsgericht fordert "politische Instabilität"

Einige Bundestagsabgeordnete hatten daraufhin vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Auflösung geklagt. Sie argumentierten, dass sich Kohl nicht um das Vertrauen seiner Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP sorgen musste. Vielmehr habe er sich eine verfassungswidrige "Legitimation durch den Wähler" verschaffen wollen.

In einer umstrittenen Entscheidung wies das Gericht die Klage ab. Zugleich stellte es aber detailgenaue Regeln auf, nach denen sich die Zulässigkeit der Parlamentsauflösung durch die Vertrauensfrage bestimmen soll.

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Bundespräsident Horst Köhler (l.) muss die "politische Leitentscheidung" treffen.Bild: AP

Zunächst fordern die Richter, dass die im Gesetzestext beschriebenen Anforderungen erfüllt sind. Allerdings gehe die Bedeutung des Artikels darüber hinaus. Als "ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal" müsse eine "politische Lage der Instabilität" vorliegen - und dies nicht generell, sondern zwischen Regierung und Parlament

Verfassungsrechtler: Grundgesetz "kein Knetgummi"

An diesem Kriterium entzündet sich die aktuelle Diskussion. Das Grundgesetz sei "kein Knetgummi, das von den Politikern beliebig geformt werden kann", gibt der Bonner Verfassungsrechtler Josef Isensee zu bedenken. Die Vorschrift beziehe sich auf die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag, an denen sich durch die Landtagswahl nichts geändert habe.

Die Karlsruher Richter werden in ihrem Urteil noch konkreter. Weder rechtfertigten "besondere Schwierigkeiten in der laufenden Wahlperiode" eine Auflösung, noch sei es ausschlaggebend, dass sich alle Bundestagsparteien auf Neuwahlen geeinigt hätten.

Politische Einschätzung hat Vorrang

Doch auch für die Gegenseite liefert die mehr als zwanzig Jahre alte Entscheidung gute Argumente. Der Kölner Staatsrechtslehrer Wolfram Höfling erinnert daran, dass das Verfassungsgericht den Beteiligten viel Raum für eigene Bewertungen und Entscheidungen gelassen hat. "Der Bundeskanzler muss sich seiner stetigen parlamentarischen Mehrheit sicher sein - seine Einschätzung der Situation hat dabei Vorrang", gibt Höfling zu bedenken.

Tatsächlich haben die Richter hervorgehoben, dass bei der Vertrauensfrage immerhin drei "oberste Verfassungsorgane" zusammenwirken: Bundestag, Bundeskanzler und Bundespräsident. Gegenseitige politische Kontrolle und politischer Ausgleich stünden daher im Vordergrund. Die gerichtliche Überprüfung habe der Gesetzgeber absichtlich "zurückgenommen".

Kritiker fordern Verfassungsänderung

Die Gegner einer Vertrauensfrage fordern indes Klarheit. Verfassungsrechtler Isensee schlägt vor, das Grundgesetz zu ändern und ein Selbstauflösungsrecht des Bundestages einzuführen.

Verwiesen wird dabei auch auf andere Länder Europas, in denen die Parlamentsauflösung weitaus einfacher ist als in Deutschland. So kann in Frankreich und in Italien jeweils der Staatspräsident die Volksvertretung auflösen. In Polen reicht sogar ein Beschluss des Repräsentantenhauses, damit Neuwahlen stattfinden können.

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Bald wohl nur noch "lahme Enten": Die Mitglieder des Bundestages.Bild: AP

Klar ist bislang nur, dass Kanzler Schröder spätestens am 1. Juli im Bundestag die Vertrauensfrage stellen will. Dieses Votum soll an einigen SPD-Abgeordneten scheitern, die gegen Schröder stimmen oder sich der Stimme enthalten werden. Bittet der Bundeskanzler dann um eine Auflösung des Parlaments, liegt die Entscheidung beim Bundespräsidenten. Doch Horst Köhler hüllt sich noch in Schweigen: "Zu dieser Frage werde ich mich äußern, wenn die Zeit gekommen ist.