Olympische Spiele: Verschiebung sorgt für Herkulesaufgabe
25. März 2020Ursprünglich wollte Premierminister Shinzo Abe am Donnerstag auf einem Sportplatz in Fukushima persönlich zuschauen, wie Marathon-Olympiasiegerin Mizuki Noguchi als erste Läuferin die Stafette mit der olympischen Fackel durch alle 47 Präfekturen begonnen hätte. Nach 121 Tagen hätte der letzte von 10.000 Läufern das Olympiastadion in Tokio erreicht und die olympische Flamme entzündet. Je mehr sich jedoch eine Verschiebung des weltgrößten Sportereignisses abzeichnete, desto mehr schrumpfte das Ereignis zusammen. Am Ende sollte die Flamme nur noch im Auto und ohne Zuschauer durch Japan rollen.
Doch am Mittwochmorgen blieb die Countdown-Uhr vor dem Hauptbahnhof von Tokio, die die Tage bis zur Eröffnungsfeier herunterzählte, stehen. Wegen der "alarmierend angestiegenen Zahl von Infektionen" mit Sars-CoV-2 werden die Spiele erstmals verschoben, erklärte Thomas Bach, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). Darauf sagte das Organisationskomitee den Fackellauf ab. Die Flamme bleibe in Japan, hieß es, die bereits ausgewählten Läufer würden bei der Neuaufstellung bevorzugt berücksichtigt.
Rechtliche und ökonomische Verwerfungen
Das Beispiel zeigt, welche Herkulesaufgabe auf die japanischen Veranstalter wartet. Die Entscheidung für eine "um bis zu ein Jahr" spätere Austragung wird erhebliche Verwerfungen verursachen. Das IOC, Japans Hauptstadt, die Regierung und viele Sponsoren müssen ihre Budgets neu kalkulieren. Für Übertragungsrechte, Eintrittskarten und Werbung sind schon gewaltige Summen geflossen. Inoffiziellen Zahlen zufolge hat das IOC die Fernsehrechte für sechs Milliarden Dollar verkauft und das Geld teilweise schon erhalten. Die Veranstalter in Japan haben Tickets für 800 Millionen Dollar abgesetzt. Die Käufer haben wohl keinen Anspruch auf Erstattung. Ob die Karten weiter gültig bleiben, ist ebenfalls unklar. Sportmanager gehen davon aus, dass das IOC eine Versicherung gegen den Ausfall der Spiele abgeschlossen hat. Aber möglicherweise greift die Police bei einer Verschiebung nur begrenzt oder gar nicht.
Betroffen sind auch die 47 japanischen Großunternehmen, die als nationale Sponsoren die Rekordsumme von drei Milliarden Euro in die japanische Olympiakasse eingezahlt haben. Ihnen kommt die Regierung indirekt entgegen: Die Spiele heißen weiter „Tokio 2020", auch das Logo bleibt. Damit können die Unternehmen es weiter nutzen, Werbung und Waren können so bleiben, wie sie sind. Doch wahrscheinlich müssen bestimmte Einnahmen erstattet, Schadenersatz geleistet und Versicherungen in Anspruch genommen werden. Das Dickicht aus Wirtschaftsinteressen war vermutlich der Hauptgrund dafür, warum IOC-Präsident Bach die Entscheidung über eine Verschiebung lange hinausgezögert hat.
Investitionen längst getätigt
Kurzfristig betrachtet zählt Japans Wirtschaft zu den Verlierern. Eine pünktliche Austragung der Spiele hätte die Konjunktur belebt und die erwartete Corona-Rezession vorzeitig beendet. Nun drückt der Olympia-Verzicht in diesem Jahr laut der Investmentbank J.P. Morgan die Wachstumsrate um 0,2 Punkte. Deswegen drohen bis zum Herbst vier Quartale mit sinkendem Bruttoinlandsprodukt in Folge, da die Wirtschaft durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer bereits seit Oktober nicht mehr wächst. Aber der erwartete Privatkonsum durch ausländische Besucher und einheimische Sportfans von 4,6 Milliarden Euro, so schätzt die Investmentbank Goldman Sachs, würde bei der Austragung der Spiele im nächsten Jahr zumindest nachgeholt.
Die echten Kosten einer Verschiebung auf den Sommer 2021 bezifferte der emeritierte Ökonomieprofessor Katsuhiro Miyamoto von der Universität Kansai mit 3,6 Milliarden Euro. Neben dem Erhalt der Sportstätten schlagen in seiner Rechnung vor allem die Personal- und Logistikkosten für die Terminverschiebung zu Buche. Der Großteil des ökonomischen Nutzens von Olympia ist Japans Wirtschaft nämlich längst zugute gekommen. Die Organisatoren gaben die Gesamtkosten im Dezember mit 11,5 Milliarden Euro an. Davon finanzierte man unter anderem acht neue Sportstätten. Allein das Olympiastadion mit seinem Holzdach verschlang 1,3 Milliarden Euro.
Olympisches Dorf kostet eine Milliarde Euro
Der Nationale Rechnungshof kam auf insgesamt 20,2 Milliarden Euro an olympiabezogenen Ausgaben. Die meisten Projekte sind jedoch bereits umgesetzt, bezahlt und weitgehend abgeschlossen. "Die Investitionseffekte sind schon realisiert, so dass die Verschiebung nicht dramatisch ist", meinte der Ökonom Franz Waldenberger, Direktor am Deutschen Institut für Japanstudien in Tokio.
Die Bauherren des Olympischen Dorfes mit Kosten von einer Milliarde Euro, darunter alle Immobilienentwickler von Rang und Namen, dürften die Verschiebung ebenfalls verkraften. Die Stadt Tokio hat den Entwicklern das Bauland auf der künstlichen Insel Harumi zu einem Sechstel des Marktwertes überlassen und dadurch die Finanzierung stark erleichtert. Der Rabatt dient als Ausgleich dafür, dass die Wohnungen zuerst bei den Spielen genutzt und danach zwei Jahre lang für den Verkauf aufwendig umgebaut werden müssen.
"Durch die Verschiebung kommt es lediglich zu einem Liquiditätsverlust für die Entwickler, weil das Geld ein Jahr später hereinkommt", erläuterte ein ausländischer Immobilienexperte. Zwar wurden 940 der 4145 Wohnungen im Olympiadorf schon vorab an private Anleger vergeben. Aber abgesehen von der geleisteten Anzahlung und ihrem verspäteten Einzug brauchen sie ja nun den Kaufpreis für ihre Olympiawohnung erst ein Jahr später zu bezahlen.