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Corona-Demo: Verbot nur als letztes Mittel

31. August 2020

Demonstrieren in Corona-Zeiten? Grundsätzlich ja, aber es gibt Einschränkungen. Die müssen jedoch gut begründet sein. Der Angriff auf das Reichstagsgebäude in Berlin am Wochenende könnte dabei noch eine Rolle spielen.

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Deutschland Berlin Protest gegen Corona-Maßnahmen
Bild: picture-alliance/dpa/L. Dubro

Die Bilder vom "Sturm" auf das Berliner Reichstagsgebäude, in dem der Bundestag residiert, lösten über die Grenzen Deutschlands hinaus Entsetzen aus.

Doch soll man, darf man, deshalb Demonstrationen wie die der Corona-Gegner am vergangenen Wochenende verbieten? An dieser Frage scheiden sich immer wieder die Geister, wenn offiziell genehmigte Proteste aus dem Ruder laufen und schlimmstenfalls in Gewalt münden. Wer deshalb für ein generelles Verbot von Anti-Corona-Demos plädiert, verkennt allerdings die Bedeutung der Versammlungsfreiheit.

Sie ist neben freien Wahlen eines der wichtigsten Grundrechte der Demokratie. Wo es weder das eine noch das andere gibt, herrschen autokratische oder sogar willkürliche Zustände. In Deutschland schreckt man auch vor dem Hintergrund der eigenen Diktatur-Erfahrung vor allzu schnellen und weitgehenden Einschränkungen des Versammlungsrechts zurück. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes, der deutschen Verfassung, waren sich nach der nationalsozialistischen Herrschaft ihrer besonderen Verantwortung bei diesem sensiblen Thema bewusst. In Artikel 8 des Grundgesetzes heißt es deswegen:

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Deutschland Berlin Protest gegen Corona-Maßnahmen am 28.8.2020
Erlaubt: Ein Corona-Gegner demonstriert mit der schwarz-weiß-roten Reichsflagge Bild: Reuters/C. Mang

Kurz und prägnant ist der Grundgesetz-Artikel zur Versammlungsfreiheit formuliert. Für das konkrete Versammlungsgesetz gilt, zumindest mit Blick auf seinen Umfang, das Gegenteil: Es umfasst 33 Paragrafen. Ganz am Anfang steht Allgemeines. So gilt das Recht der Versammlungsfreiheit nicht für Parteien, die vom Verfassungsgericht verboten worden sind. Wäre also der Verbotsantrag der Bundesländer gegen die rechtsextreme NPD (Nationaldemokratische Partei Deutschlands) 2017 erfolgreich gewesen, hätte sie am vergangenen Samstag in Berlin nicht mitmarschieren dürfen.

Eine Uniform ist verboten, die Reichskriegsflagge nicht

Verboten ist es, auf Versammlungen Uniformen zur tragen oder auch nur Teile davon und gleichartige Kleidungsstücke "als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung". Rechtsextreme umschiffen dieses Verbot, indem sie auf andere Symbole zurückgreifen. Besonders beliebt ist die schwarz-weiß-rote Reichs- oder gleich die Reichskriegsflagge mit Adler und Kreuz. Beides ist erlaubt; verboten ist nur die Version mit dem Hakenkreuz der Nationalsozialisten.

Wenn ein Streitfall vor Gericht landet, wie im Fall der Anti-Corona-Demonstrationen, spielt meistens Paragraf 15 eine wichtige Rolle. Demnach sind Auflagen oder als letztes Mittel Verbote möglich, "wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist". Darauf berief sich die Berliner Polizeipräsidentin, als sie die geplante Anti-Corona-Demo zunächst untersagte.

Warum die Gerichte das Corona-Verbot kippten

Als abschreckendes Beispiel diente ihr die erste große Corona-Demo in der deutschen Hauptstadt Anfang August, als die meisten ohne Maskenschutz und oft dicht gedrängt unterwegs waren. Darin sah sie eine allgemeine Gefahr für die Gesundheit und schlussfolgerte: "Das Recht auf Leben und die körperliche Unversehrtheit überwiegt in der gebotenen Rechtsgüterabwägung das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit."

Deutschland Berlin Protest gegen Corona-Maßnahmen am 28.8.2020
Für viele geschmacklos: Protest ist aber erlaubt, solang nicht gegen Gesetze verstoßen wirdBild: Reuters/A. Schmidt

Die Gerichte kamen in zwei Instanzen zu einer ganz anderen Einschätzung und erlaubten die neuerlichen Proteste. Erforderlich sei im konkreten Fall eine auf "Tatsachen, Sachverhalten und sonstigen Einzelheiten" beruhende Gefahrenprognose. Ein "bloßer Verdacht oder Vermutungen" seien nicht ausreichend. Außerdem verwiesen die Richter auf die Infektionsschutzverordnung des Landes Berlin.  Darin gibt es keine Beschränkung der Teilnehmerzahl und eine Nase-Mund-Bedeckung ist nur "erforderlichenfalls" vorgeschrieben. Mit anderen Worten: Wenn der Mindestabstand nicht eingehalten werden kann.

Gerichte entscheiden sich im Zweifelsfall für die Meinungsfreiheit

Theoretisch hätte der von den Demonstranten in den weitläufigen Straßen und auf den großen Plätzen Berlins problemlos eingehalten werden können. Es kam aber anders. Deshalb löste die Polizei den ersten Demonstrationszug auch auf. Eine Maßnahme, die in den aktuellen Gerichtsentscheidungen von Anfang an mitbedacht wurde. Wegen der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit dürften keine "zu geringen Anforderungen" an die Gefahrenprognose gestellt werden. Zumal "noch die Möglichkeit einer späteren Auflösung verbleibt", wenn sich Demonstranten nicht an die Regeln halten. Genau das ist am Wochenende in Berlin erneut geschehen.

Deutschland Berlin Protest gegen Corona-Maßnahmen am 28.8.2020
Die Polizei löst einen Demonstrationszug in Berlin am Samstag aufBild: Reuters/A. Schmidt

Auch in einem anderen Punkt widersprachen die Gerichte der Argumentation der Berliner Polizei. Die hatte ihr Verbot zusätzlich damit begründet, bei früheren Anti-Corona-Demos habe die Zusammensetzung von "bürgerlichen Klientel bis hin zu Angehörigen rechtsextremer Gruppierungen" gereicht. In Deutschland gilt aber Meinungsfreiheit, sie ist in Artikel 5 des Grundgesetzes garantiert. Darauf nahmen die Gerichte indirekt Bezug: "Solange keine konkreten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich die Äußerungen der Teilnehmer im strafrechtlich relevanten Bereich bewegen, steht dies der Durchführung einer solchen Versammlung nicht entgegen."

Der Angriff auf das Reichstagsgebäude könnte nachwirken

Ob vor dem Hintergrund der Ereignisse vom Wochenende eine dritte Großdemonstration gegen Corona-Maßnahmen in Berlin erlaubt werden wird, ist jedoch keineswegs sicher. Denn die Veranstalter konnten trotz eigener Ordner und Deeskalationsteams zum zweiten Mal nicht verhindern, dass massiv gegen gerichtliche Vorgaben verstoßen wurde. Vor allem der Angriff auf das Gebäude des Bundestages könnte als folgenschwere Grenzüberschreitung bewertet werden und künftige Entscheidungen über Versammlungsverbote beeinflussen.

Schon jetzt ist gesetzlich geregelt, dass vor dem Parlament (Bundestag) und der Länderkammer (Bundesrat) nur in sitzungsfreien Wochen demonstriert werden darf. Das war am Wochenende der Fall, als das Reichstagsgebäude nur von wenigen Polizisten geschützt wurde. Deshalb hatten die gewalttätigen Störer anfangs auch leichtes Spiel. Solche Bilder sollen kein zweites Mal um die Welt gehen.

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland