Versagt Deutschland gegen IS-Terrormiliz ?
24. September 2014"Die deutsche Politik hinkt den Entwicklungen hinterher", lautet das Urteil von Markus Kaim, der in der angesehenen Stiftung Wissenschaft und Politik die Lage in der Krisenregion verfolgt und für die Politikberatung in Berlin aufbereitet. Seine Befürchtung ist, dass die von der Bundesregierung zugesagten Waffenlieferungen und Ausbildungen für die kurdischen Kämpfer gegen den Terror des Islamischen Staats (IS) zu spät kommen werden. "Das alles wird sich ja noch Wochen hinziehen". Seine Schlussfolgerung ist unbequem: "Wenn sich Deutschland – wie in den letzten Jahren immer wieder betont worden ist – als Ordnungsmacht zusammen mit den europäischen Partnern in der europäischen Nachbarschaft begreift und dazu auch der Nahe Osten gehört, dann ist es kaum akzeptabel, beiseite zu sehen."
Die Mehrheit der von der Deutschen Welle befragten politischen Thinktanks sehen es ähnlich. Allein die Waffenlieferung an die Kurden reichten angesichts der jüngsten Entwicklungen nicht mehr aus. Insofern wird von den sicherheitspolitischen Beratern das Umdenken der Bundesregierung in ihrer Außenpolitik gelobt. Lange lehnte es Deutschland ab, Waffen in eine Krisenregion zu senden. Aufgrund der Notsituation im Nordirak und Syrien entschloss sich die Bundesregierung unlängst zu einem Umdenken. Mehrheitlich wird von den politischen Forschungsinstituten befürwortet, dass sich die Bundesregierung um ein Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen bemüht, um sich in einer Allianz stärker engagieren zu können und dafür die völkerrechtliche Legitimation zu erhalten.
Markus Kaim dazu: "Um ein stärkeres militärischen Engagement wird kein Weg vorbei führen." Die Chancen für ein solches UN-Mandat sieht der Politikberater Kaim durchaus positiv. "Es hat einige Resolutionen gegeben, die das Vorgehen der IS als Verbrechen gegen die Menschlichkeit sahen". Zudem habe es keine öffentliche Kritik aus Moskau oder Peking gegen die derzeit laufenden amerikanischen Militärschläge gegeben. Dieser stille Konsens sei der richtige Zeitpunkt für Deutschland, in drei Schritten mehr Handlungsspielraum zu gewinnen: über ein Mandat des UN-Sicherheitsrates, über einen Handlungsrahmen von EU oder Nato und über ein entsprechendes Mandat des Bundestags. Mehr Engagement sei angesagt.
Zuerst die Terrormiliz stoppen
"Die Situation ist derart eskaliert, dass man auch den Einsatz von Bodentruppen tatsächlich diskutieren sollte", sagt Jana Puglierin von der Deutschen Gesellschaft für auswärtige Politik. "Erst einmal zählt die Nothilfe, die IS-Kämpfer aufzuhalten und zurückzudrängen." Das benötige neben Waffen auch Personal, das deren Einsatz unter Kontrolle habe. Natürlich seien Bodentruppen und militärisches Eingreifen nicht die alleinige Lösung, räumt die wissenschaftliche Mitarbeiterin sofort ein. Die Problemlage, da ist sich Puglierin mit allen Sicherheitspolitischen Beratern einig, ist viel zu komplex.
Es gehe um Syrien, um den Konflikt im Irak, um die Kurdenfrage und die Sicherheit der Türkei. Derzeit fehle ein diplomatisches Gesamtkonzept. "Ein schnelles Rein-Raus wird es bei der IS-Problematik nicht geben", ist sich Puglierin sicher. In einem politischen Prozess müsse sich Deutschland vor allem nachhaltiger einbringen. "Deutschland könnte mehr machen. Zum Beispiel mehr Flüchtlinge aufnehmen." Das würde von der Bundesregierung Druck nehmen, militärisch mehr zu tun.
Verständnis für Zurückhaltung
Dem Vorwurf, Deutschland würde sich immer noch viel zu sehr zurückhalten, tritt Puglierin entgegen. Mit dem Ausruf eines Kalifats, einem Staat im Staate und der IS Miliz habe niemand rechnen können. "Ich beobachte totale Hilflosigkeit auf allen Seiten". Die Zögerlichkeit einer Bundesregierung erkläre sich auch vor dem Hintergrund, dass beinahe alle Aktionen in Krisenregionen nicht wirklich etwas bewirkt hätten. Aktuell müsse entschieden werden, wie man mit einem Diktatoren wie Assad umgeht. Die Frage sei, ob man ihn – trotz all seiner Taten – als Verbündeten gegen die IS dulden könne. Wenn darauf nicht einmal die internationale Gemeinschaft eine Antwort habe, dann könne man nicht die Bundesregierung für ihr vorsichtiges Vorgehen anklagen.
Keine weitere militärische Einmischung
Noch defensiver als die Gesellschaft für auswärtige Politik gibt sich das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Dessen Experte Hans-Georg Ehrhart sieht bereits die Waffenlieferung sehr kritisch und bemängelt, dass niemand kontrollieren könne, wo diese Waffen letztlich verbleiben. Von einem stärkeren militärischen Engagements Deutschlands oder der Entsendung von Militärberatern rät Ehrhart komplett ab: "Auf keinen Fall! Wir würden uns immer weiter in den Konflikt hineindrehen".
Außerdem würde Deutschland die Gefahr vergrößern, in noch größerem Maße Ziel von Vergeltungsaktionen wie Entführungen und Bombenanschlägen zu werden. Ehrhart verweist darauf, nicht zu vergessen, dass der humanitäre und diplomatische Einsatz der Bundesregierung schon umfangreich sei. Die vielen zusammenhängenden Probleme könnten nur in einer Konzertierten Aktion angegangen werden. "Damit wäre allein die Bundesregierung überfordert". Aber sie könne auf die Partner einwirken, auf die sie besonderen Zugang habe. Zum Beispiel die Türkei oder Israel. Deutschland könne weitere Länder in Verhandlungen einbeziehen, die ihre Einflussmöglichkeiten gelten machen könnten.
An einen Tisch gehörten jetzt alle Betroffenen. Darunter Vertreter der Länder: Türkei, Syrien, Saudi Arabien, Katar und Iran. Leider habe die USA verhindert, dass in der vergangenen Woche Iran an den Beratungen in Paris teilnahm. So etwas solle Deutschland künftig entgegen wirken. "Ohne eine konzertierte Aktion aber wird es nicht gehen". Deutschland könne davon nur ein Teil sein. Eine Arbeitsteilung in einer internationalen Koalition gegen die IS-Miliz sei sinnvoll. Deutschland könne sich nicht mit einer traditionell interventionistischen Macht wie Frankreich vergleichen.