Verloren im Transitland Niger
3. Mai 2016Wenn die Außenminister Deutschlands und Frankreichs nach Afrika fahren, geht es um - Europa. In Niamey, der Hauptstadt Nigers, der letzten Station ihrer gemeinsamen Reise, handeln Jean-Marc Ayrault und Frank-Walter Steinmeier sogar explizit als Europäer – sie sind unterwegs im Auftrag der Außenbeauftragten der EU, Federica Mogherini. Gemeinsam mit ihrem nigrischen Amtskollegen, Ibrahim Yacoubou, geben sie eine offizielle Erklärung von Niger und EU heraus - in der Nachfolge des EU-Afrika-Gipfels in Malta im November vergangenen Jahres.
Transitland Niger: 90 Prozent der afrikanischen Flüchtlinge, die über Libyen illegal nach Europa einreisen wollen, nehmen den Weg über den Niger, die meisten über Agadez ganz im Norden des Landes. Anfang April waren es 5.000 pro Woche, mittlerweile sind es wegen der besseren Witterungsbedingungen rund 11.000 Menschen.
Die Rückkehr gilt als Schande
Nicht alle kommen nach Norden durch, viele bleiben irgendwo unterwegs hängen. Zurückgehen nach Hause geht nicht: zu viel haben die Familien dort investiert, zu schwer wiegt die "Schande", dieser Investition nicht gerecht geworden zu sein.
An diesem Punkt will die europäische Hilfe ansetzen. In Agadez nimmt eine EU-Anlaufstelle ihre Arbeit auf, die Chancen für Rückkehrer eröffnen soll. Ganz ähnliche Programme verfolgen die Zentren der IOM, der Internationalen Organisation für Migration. Das IOM in Agadez berichtet von bislang 400 Menschen, die diese Unterstützung zur Rückkehr und Reintegration angenommen haben.
Amedé Bassenga von der Elfenbeinküste ist in Niamey hängen geblieben: "Zuhause habe ich Leute gesehen, die aus Italien zurückgekommen sind und Häuser gebaut haben. Das wollte ich auch. Ich bin bis Niamey gekommen, dann war mein Geld weg.“
Transitland Niger
Bassenga findet Unterkunft und Beratung im örtlichen IOM-Betreuungszentrum – und Schicksalsgenossen, die Erfahrungen mit ihm teilen. Im Gespräch mit den beiden Außenministern schildern sie das immer gleiche Muster: Die falsche Erwartung eines leichten Weges, das Scheitern in Libyen und Algerien, Ausbeutung, Gefängnisaufenthalte, Lösegelderpressung.
Niger profitiert von seinem Status als Transitland, zehntausende Menschen auf der Durchreise sind durchaus ein Wirtschaftsfaktor in diesem extrem armen Land. Inzwischen aber wächst auch hier die Sorge vor kriminellen Strukturen, vor Menschenschmugglern, vor Gewalt - aus dem völlig destabiliserten Libyen im Norden, und von Boko-Haram-Terroristen aus Nigeria im Südosten. Deshalb geht ein weiterer Teil der EU-Hilfe in die Verbesserung des Sicherheitsmanagements, denn die fehlende Sicherheit treibt mehr Leute in die Flucht als wirtschaftliche Not.
Fluchtursachen bekämpfen – das ist klassische Außenpolitik. In Mali, der ersten Station der Reise "im Namen der EU", wie es Ayrault in der Hauptstadt Bamako formuliert, hat es ganz handfest mit Friedenssicherung zu tun. Im Norden des Landes sind 1000 Soldaten aus 15 europäischen Staaten in der UN-Mission MINUSMA stationiert. Sie sollen die Einhaltung des Abkommens zwischen verschiedenen Rebellengruppen und der Regierung in Bamako überwachen.
"Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft"
Eng verknüpft damit ist der 3000 Mann starke Anti-Terroreinsatz "Barkhane" der Franzosen, der Islamisten in der gesamten Region bekämpft. MINUSMA gilt als der derzeit gefährlichste UN-Blauhelmeinsatz. Soldaten vor Ort ziehen durchaus Vergleiche zu anderen Einsätzen: "Ich war dreimal in Afghanistan", sagt zum Beispiel Martin Egge, als Bootsmaat spezialisiert auf Nachrichtentechnik, "ich bewerte das hier auf einem ähnlichen Niveau." Noch ist der Frieden fern, und das liegt nicht nur an der komplizierten Gemengelage durch verschiedene Tuareggruppen, Milizen – regierungstreue und andere – und Islamisten.
Entscheidend sei der politische Prozess, sagt der deutsche Außenminister, "deshalb machen wir Druck auf die politisch Verantwortlichen in diesem Land, den Weg des Friedensprozesses weiterzugehen und an der Umsetzung so energisch wie möglich zu arbeiten." Solange im Norden kein Frieden einkehrt, fliehen die Malier weiter aus ihrem Land.
Der französische Außenminister wendet sich in Niamey direkt an seine Landsleute, aber auch an alle anderen Europäer, denen Afrika und Migranten demonstrativ fremd bleiben: "Meine Botschaft: Wir haben eine Verpflichtung zur Solidarität", sagt er, "genauso wie wir auch eigene Interessen verfolgen." Jean-Marc Ayrault ist noch nicht lange in seinem Amt, und anders als der diplomatisch abwägende Frank-Walter Steinmeier hat er keine Scheu vor Pathos: "Der afrikanische Kontinent und Europa sind miteinander verbunden, sie sind eine Schicksalsgemeinschaft."