"Nicht nur an den Symptomen herumdoktern"
15. August 2018Deutsche Welle: Herr Hochfeld, die Bundesregierung will in fünf Modellstädten den Nahverkehr attraktiver machen und so die Luftverschmutzung dort mindern. Bonn, Essen, Mannheim, Reutlingen und Herrenberg sollen bis zu 130 Millionen Euro in den nächsten drei Jahren bekommen. Wie bewerten Sie die geplanten Maßnahmen?
Das Ganze geschieht im Rahmen des Sofortprogramms für saubere Luft. Und wenn Sie das Wort sofort aus dem Titel streichen, würde ich sagen, es ist ein richtiger Schritt in die richtige Richtung, denn schnelle Erfolge sind nicht zu erwarten.
Wichtig ist, nicht nur an den Symptomen herumzudoktern, an den Emissionen des Verkehrs, den Stickstoffoxiden, sondern das Problem an der Wurzel zu packen. Der Diesel-Skandal verstellt den Blick auf die größere Aufgabe, nämlich unser Verkehrssystem umzubauen um den Klimawandel zu begrenzen. Das geht nur, wenn die jetzt modellartig untersuchten Ansätze auch in die Breite getragen werden.
In den Modellstädten geht es um die Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs, um bessere Angebote, günstigere Fahrpreise, Ausbau von Fahrradstraßen und auch einen klimafreundlicheren Lieferverkehr. Ist das der richtige Weg?
Ja. Als Alternative zur privaten Pkw-Nutzung brauchen wir attraktive Angebote. Und das geht nur mit einer besseren Taktung von Bus und Bahn. Das verbessert die Qualität des öffentlichen Verkehrs. Dafür sind Investitionen notwendig.
Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Notwendig ist auch, dass der Individualverkehr in der Stadt einen fairen Preis bezahlt. Das heißt, dass er für die Umweltwirkung und für die Inanspruchnahme des öffentlichen Raums in der Stadt stärker bezahlt. Denn man wird neue Dinge nur in die Welt bekommen, wenn man alte Dinge aus der Welt schafft.
Autofahrer sollen für die Luftverschmutzung, Straßen und Parkraum entsprechend zahlen?
Das sind die sogenannten externen Kosten des Verkehrs, die das Auto verursacht. Die Emissionen, die Inanspruchnahme von Platz müssen in Zukunft ein Preisschild bekommen. Bisher trägt der Autofahrer diese Kosten nicht oder nur unzureichend, sondern die Allgemeinheit. Das führt zu enormen Verlusten bei der Wohlfahrt.
Die Förderung von Modellstädten reicht also allein nicht aus, zur Verbesserung der Luftqualität, für den Gesundheits- und Klimaschutz?
Diese Förderung ist nur ein Baustein und wird nicht ausreichend sein. Wir brauchen gesamtheitliche Konzepte, um die notwendigen Wirkungen zu erzielen.
Der Öffentlichkeit wird jetzt durch diese Modellversuche in fünf Städten ein bisschen Sand in die Augen gestreut. Der effektivere und schnellere Weg zur Luftreinhaltung wäre ein Sofortprogramm zur Nachrüstung von Diesel-Pkw. Ohne diese Nachrüstung werden wir die notwendigen Emissionsminderungen zur Einhaltung der Grenzwerte nicht erreichen.
Die Bundesregierung verpflichtet die Hersteller aber nicht zur Nachrüstung der Diesel-PKW. Also werden Fahrverbote zur Luftreinhaltung in immer mehr Städten unumgänglich?
Fahrverbote für Diesel-Pkw in Städten werden nur vom Tisch kommen, wenn schmutzige Diesel mit Hardware nachgerüstet werden. Diese Nachrüstung ist grundsätzlich zeitnah umsetzbar und finanzierbar. Vergangene Woche wies eine Initiative von einigen Unternehmen, des ADAC und von Umweltverbänden am Beispiel von Fahrzeugen des VW-Konzerns nach, dass die Hardware-Lösung rund 2000 Euro kostet und damit die Emissionen wirksam vermindert werden können.
Sie waren lange Zeit als Verkehrsexperte in China und sind dort auch noch weiterhin im Beirat für Elektromobilität. Ist China beim Verkehr schon ein Vorbild?
Ja. Der Problemdruck zur Verbesserung der Luftqualität hat dort in den letzten drei Jahren zu weitreichenden Innovationen geführt. China wird deshalb mit vielen Initiativen im Bereich Verkehr und Gestaltung des Verkehrs von morgen ein Vorbild.
Man hat in China den rechtlichen und den politischen Rahmen angepasst sowie sehr gezielt Unternehmen im Bereich der klima- und umweltfreundlichen Mobilität gefördert. China zeigt, wie man die Umweltsituation verbessert und zugleich den Industriestandort sichert.
Welche Empfehlung geben Sie der deutschen Politik?
Sie sollte sich für eine anspruchsvolle Klima- und Umweltpolitik im Verkehr stark machen und nicht dagegen.
Im Moment sehen wir allerdings wieder bei der Diskussion um die neuen EU-Grenzwerte für CO2 bei PKW, dass Deutschland auf die Bremse tritt.
Aus unserer Perspektive ist das nicht nur für den Klimaschutz, sondern auch industrie- und wirtschaftspolitisch der falsche Weg. Das heißt: Insbesondere in der Bundespolitik muss man als erstes im Kopf nachrüsten. Eine anspruchsvolle Klima- und Umweltregulierung des Verkehrs, zahlt sich am Ende des Tages auch wirtschaftspolitisch aus.
Christian Hochfeld ist Geschäftsführer von Agora Verkehrswende und Mitglied des Internationalen Beirats der chinesischen Plattform Elektromobilität (China EV100). Bis 2015 leitete er bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) das Programm für nachhaltigen Verkehr in China. Von 2004 bis 2010 war er Mitglied der Geschäftsführung des Öko-Instituts. Hochfeld ist Ingenieur für Umweltschutz.
Das Interview führte Gero Rueter