Verhaftungswelle in Ägypten zeigt Wirkung
23. August 2013Erneut haben in Ägypten Tausende Anhänger des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi gegen die Armee demonstriert. In der Hauptstadt Kairo kam es am "Freitag der Märtyrer" (23.08.2013), wie die Islamisten den Protest tauften, vor 28 Moscheen zu Kundgebungen. Diese verliefen weitgehend friedlich. Die Demonstranten skandierten Parolen gegen die Armeeführung und hielten Plakate mit dem Symbol ihrer Protestbewegung in die Höhe: Eine schwarze Hand mit vier ausgestreckten Fingern auf gelbem Hintergrund. Das Emblem soll an die Tötung Hunderter Demonstranten durch die Armee vor der Moschee Rabija al-Adawija vor zehn Tagen erinnern. Rabija heisst auf Arabisch "vierte".
Gewaltsame Zusammenstösse wurden aus dem Nildelta gemeldet. Dort kam in der Stadt Tanta mindestens ein Mursi-Anhänger ums Leben, als ein Mob eine Kundgebung angriff. In mehreren anderen Städten des Deltas griffen Unbekannte Häuser von Islamisten an.
"Werden nicht zu den Waffen greifen"
Vor der Moschee Amr Ibn al-As südlich der Innenstadt Kairos demonstrierten nach Ende des Freitagsgebetes Dutzende Anhänger der Muslimbruderschaft gegen das Militär. Der Ort, den sie sich für ihren Protest ausgesucht hatten, ist historisch sehr bedeutsam. Hier soll der muslimische Eroberer Ägyptens, nach dem das Gebetshaus benannt ist, während der Belagerung Kairos sein Zelt aufgeschlagen haben.
Der Kampf um die Islamisierung des Landes dauert aus Sicht der Muslimbruderschaft bis heute an. "Was in Ägypten geschieht, ist kein Konflikt zwischen Armee und einer politischen Partei. Es ist ein Kampf zwischen den Anhängern des Islam und denen, die Ägypten eine westliche Identität überstülpen wollen", sagt Ali Riad, ein langjähriges Mitglied der Muslimbruderschaft.
Der Mittvierziger Riad ist mit seiner Frau und den zwei Töchtern zur Kundgebung gekommen. Die Journalisten vor Ort fordert er auf, ihn nach Waffen abzutasten. Auf diese Weise will er seine friedlichen Absichten unter Beweis stellen: "Wir werden nicht zu Gewalt greifen, egal, wie viele Demonstranten das Militär ermordet."
Grosse Polizeipräsenz bei Demonstrationen
Ursprünglich wollten die Demonstranten in Sternmärschen Richtung Tahrirplatz marschieren. Doch die Sicherheitskräfte riegelten das Zentrum der Hauptstadt bereits am Morgen weiträumig ab. Der Verkehr am Tahrir wurde umgeleitet, auch die Metro legte dort keinen Halt ein. Vor mehreren Ministerien fuhren Panzer auf. Auch rund um die Moschee Amr Ibn al-As errichteten Sicherheitskräfte Barrikaden aus Sandsäcken und Stacheldraht. Dahinter hielten sich Bereitschaftspolizisten bereit, das Gewehr im Anschlag.
Doch der Protest rund um die historische Moschee blieb wie die meisten Demonstrationen an diesem Tag überschaubar. Anders als von den Muslimbrüdern erhofft, schlossen sich der Kundgebung keine Bewohner der angrenzenden Stadtviertel an. "Wir wollen kein weiteres Blutvergießen", sagt ein älterer Anwohner. Das Land müsse nun zur Ruhe kommen. Danach könne man wieder Politik betreiben.
Auch die Bewegung 6. April, deren Anhänger gegen die Haftentlassung des früheren Diktators Husni Mubarak auf die Strasse ziehen wollten, sagte ihre Demonstration kurzfristig ab. Man wolle nicht in die Nähe der Islamisten gerückt werden, hieß es zur Begründung.
Die Basis der Muslimbrüder ist auf sich gestellt
Viele Ägypter sehnen außerdem ein Ende der abendlichen Ausgangssperre herbei, die das öffentliche Leben massiv beeinträchtigt. Einige Muslimbrüder glauben, dass die Armee diese Maßnahme nur verhängt hat, um die öffentliche Meinung gegen die Islamisten aufzubringen. Andere Protestteilnehmer räumen ein, dass auch die Massenverhaftungen der vergangenen Wochen ihre Organisation geschwächt haben.
Etwa ein Drittel der Führungskader sitzt mittlerweile hinter Gittern. Landesweit hat die Regierung Hunderte Anhänger des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi festnehmen lassen. Die Befehlskette der Organisation ist durchbrochen, die Basis auf sich allein gestellt.
Vor der Moschee Amr Ibn al-As streiten die Islamisten am frühen Freitagnachmittag, ob sie sich Richtung Innenstadt in Bewegung setzen sollen. Eine Mehrheit spricht sich schließlich dafür aus, den Protest wegen Sicherheitsbedenken aufzulösen. "Die Entscheidung ist ein weiterer Beweis für unsere demokratische Ausrichtung", versucht ein sichtlich enttäuschter Ali Riad, der Situation etwas Positives abzugewinnen. Aufgeben will er nicht. "Gott ist auf unserer Seite", sagt er.