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Saudi-Arabien misstraut Muslimbrüdern

Kersten Knipp26. August 2013

Das Königshaus in Saudi-Arabien ist wegen des Widerstands der Muslimbrüder gegen die Armee in Ägypten beunruhigt. Die arabischen Herrscher fürchten die Botschaft, dass Religion und Revolution kein Widerspruch mehr sind.

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Der saudische König Abdullah im gespräch mit dem gestürzten ägyptischen Präsident Mohammed Mursi, 14.8. 12 (Foto: REUTERS/)
Bild: Reuters

Religion hat ein wildes, anarchisches Element. Dass es dieses zu bezähmen gilt, dämmerte dem saudischen Königshaus spätestens 1979. Im November jenes Jahres stürmte eine Gruppe bewaffneter Islamisten die Große Moschee in Mekka, das zentrale Heiligtum des Islam. Dort nahmen sie mehrere Tausend Pilger als Geiseln. Die meisten wurden bald wieder frei gelassen. Aber an ihren Überzeugungen hielten die Geiselnehmer fest: Das Ende der Welt sei gekommen. Und damit die Zeit, Buße zu tun, verkündete ihr Anführer, der ehemalige Nationalgardist Dschuhaiman al-Utaibi. Die prophezeite Ankunft der letzten Tage der Menschheit hinderte ihn freilich nicht, den Sturz des Königshauses und die Herrschaft islamischer Rechtsordnungen in der arabischen Welt zu fordern.

Das saudische Königshaus reagierte umgehend. Noch am selben Tag ließ es die Moschee umstellen. Zwei Wochen dauerten die Kämpfe mit den Geiselnehmern, rund 330 Menschen starben. Schließlich entschlossen sich Utaibis Männer zur Aufgabe. Einige Wochen später ließ das Regime knapp 70 von ihnen hinrichten, darunter auch Dschuhaiman al-Utaibi.

Religion und Revolution

Gefahren - wenn auch nicht ganz so große - sieht das saudische Königshaus auch im Treiben der ägyptischen Muslimbrüder. Denn auch sie pflegen die aus seiner Sicht gefährliche Mischung religiöser und politischer Motive. Auch sie streben neben dem religiösen auch gesellschaftliches Heil an. Und wie damals die Kämpfer al-Utaibis greifen auch sie zu den Waffen, wenn sie sich bedrängt sehen. Eben das macht das saudische Königshaus nervös. Dass die Muslimbrüder zuvor ihrerseits gestürzt worden sind, spielt im Kalkül der Saudis keine Rolle. Sie fürchten vor allem, dass das Beispiel der Muslimbrüder auch in Saudi-Arabien Schule machen könnte. Darum kündigten sie an, die ägyptische Militärherrschaft mit Miliardensummen zu unterstützen, sollten die westliche Staaten ihre derzeitigen Zuwendungen beenden.

Dschuhaiman al-Utaibi, der Führer der Aufständischen, die 1979 die Große Moschee in Mekka besetzten. Foto aus dem Jahre 1979. (Foto: AFP/Getty Images)
Ein Urvater islamistischer Aufständischer: Dschuhaiman al-UtaibiBild: AFP/Getty Images

Die Muslimbruderschaft wurde 1928 als Widerstandsbewegung gegen als unmoralisch empfundene Strömungen aus dem Westen gegründet, erläutert der Erlanger Politikwissenschaftler Christian Wolff im Gespräch mit der DW. Die Bewegung habe sich aber auch gegen viele theologische Positionen innerhalb des Islams gerichtet. "Bewusst hat sie sich von den Lehren der traditionellen Ulama abgegrenzt, die sich immer den herrschenden Regimen angepasst hat." Doch hätten sie nicht nur das Denken, sondern auch die gesellschaftliche Ordnung erneuern wollen. "Dazu beriefen sie sich auf moderne Lehren. Und genau damit gerieten sie in Gegensatz zum wahhabitischen Islam, der Staatsreligion Saudi-Arabiens."

So stehen die Muslimbrüder für eine religiös inspirierte Reformbewegung, die zwar bis in das frühe 20. Jahrhundert zurückreicht, seit den 1980er Jahren aber zusätzlichen Schwung gewann. Damals zeichnete sich der Niedergang der marxistischen und nationalistischen Lehren ab, auf die sich viele oppositionelle Strömungen in der arabischen Welt bis dahin berufen hatten. Das ideologische Vakuum wurde durch verschiedene Spielarten des Islam gefüllt. Eine große und bis heute bedeutende Ausnahme ist der wahhabitische Islam.

Moderne Gesellschaftskritik auf dem Vormarsch

Ansätze modernen gesellschaftskritischen Denkens sind auch in die islamistischen Protestbewegungen der Gegenwart eingedrungen. Dazu zählt die Frage nach der Legitimität von Herrschaft - ein Punkt, der das konservative saudische Königshaus beunruhigt. "Saudi-Arabien ist eine Monarchie und begründet diese Monarchie auch theologisch", so Wolff, der auch den Blog "Fokus-Nahost" betreibt. Die Muslimbruderschaft hingegen verfolge ein ganz anderes Konzept: "In ihrem politischen Denken ist sie durchaus in der politischen Moderne angelangt und legt Wert auf die Volkslegitimität der Regierung. Genau das widerstrebt Saudi-Arabien."

König Abdullah und Hosni Mubarak, 28.3. 2007 (Foto: AP)
Freunde stabiler Ordnung: König Abdullah und Husni MubarakBild: AP

Sozialer Druck in Saudi-Arabien steigt

Dies umso mehr, als die gesellschaftliche und religiöse Ordnung des Königreichs durch die soziale und demographische Entwicklung herausgefordert ist. Ein gutes Fünftel der insgesamt 27 Millionen Menschen starken Bevölkerung stellen Gastarbeiter, die überwiegend aus Südostasien stammen. Fast die Hälfte der Bevölkerung ist unter 25 Jahre, von denen die meisten dank digitaler Medien über das Weltgeschehen gut informiert sind. Zugleich reichen die bisherigen Wohlfahrtsprogramme nicht, der sozialen Probleme Herr zu werden. So lebt rund ein Viertel der Bevölkerung in Armut. Die Arbeitslosenquote lag 2011 bei gut zwölf Prozent. Hinzu kommen religiöse Spannungen zwischen der mehrheitlich sunnitischen Bevölkerung und der schiitischen Minderheit im Osten des Landes.

"All dies hat dazu geführt, dass der soziale Druck sicherlich stärker spürbar ist als noch vor einiger Zeit", sagt Christian Wolff. Die Bevölkerung wisse, dass sich die Bürger anderer Staaten größerer Freiheiten erfreuten. Auch hätten sie gesehen, wie durch Revolutionen und Volksproteste herrschende Regime gestürzt wurden.

Diesen Druck versucht das Königshaus abzuwehren. Darum gehe es rigoros gegen alle vor, durch die es seinen Machtanspruch gefährdet sehe. "Das erfahren zunächst die islamistischen Gruppierungen. Dann aber auch ganz normale politische Akteure, die ganz einfach eine Mitsprache einfordern", so Wolff.

Baldiger Aufstand unwahrscheinlich

Dass es aber in absehbarer Zeit zu einer Revolution kommt, bezweifeln Beobachter. Das patriarchalische System des Landes sei weiterhin wirksam, schreibt die arabische Zeitung "Al Sharq al Awsat". Nach wie vor hätten Religion wie auch Gehorsam gegenüber dem Herrscher einen hohen Stellenwert. Das Königshaus und die Stämme hätten ihre Machtansprüche aufeinander abgestimmt. Das stütze die bestehende Ordnung. Vor allem aber hätten die Saudis, wie so viele Golfaraber, eine ausgeprägte konservative Ader, schreibt die Zeitung. "Die Menschen tendieren dazu, das Vertraute dem Unbekannten vorzuziehen. Sie neigen darum dazu, die bestehende Ordnung beizubehalten, denn moderne und reformerische Ideen würden von ihnen verlangen, den Status Quo zu überdenken." Darum, heißt es in der "Al Sharq al Awsat" weiter, könne von einem "Erwachen" weiter Bevölkerungskreise keine Rede sein.

Eine verschleierte Frau vor einem Parkplatz mit Luxuskarossen in Riad, 4.2. 2013 (Foto: AFP/Getty Images)
Saudi-Arabien: Tradition und ModerneBild: Fayez Nureldine/AFP/Getty Images

Und doch: Anderswo hat sich der Islam mit reformerischen, ja umstürzlerischen Gedanken identifiziert. Religion und Erhalt der bestehenden Ordnung sind keine Synonyme mehr. Was daraus folgt, zeigt sich derzeit in Ägypten, wo die Muslimbrüder sich erhoben haben. Den Herrschern in Saudi-Arabien kann das nicht gefallen.