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Verfeindete Brüder

Birgit Görtz16. März 2014

Im Streit um die Krim stehen sich Russland und die Ukraine unversöhnlich gegenüber. Nicht zum ersten Mal gibt es Anlass zum Konflikt. Das zeigt ein Überblick über 1200 Jahre russisch-ukrainischer Beziehungen.

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Russische und ukrainische Flaggen (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Der gemeinsame Ursprung

Um 860 nach Christus gründen ostslawische Volksstämme und normannische Wikinger, die so genannten Rus', den ersten Staat im Siedlungsbereich der Ostslawen. Rus' wird zum Namen für die Ethnie als auch für das Staatswesen, eine Art Föderation von Teilfürstentümern mit Kiew als Zentrum.

Die slawischen Brüder gehen getrennte Wege

Ab dem 12. Jahrhundert zerfällt die Kiewer Rus' in rivalisierende Teilreiche. Der Invasion der Mongolen in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts haben sie nicht viel entgegenzusetzen: Das Reitervolk unterwirft den nordöstliche Teil der Rus'. Die südwestlichen Gebiete werden kontrolliert vom Großfürstentum Polen-Litauen.

Der Aufstieg Moskaus

Ivan der Schreckliche / Gemälde (Foto: picture alliance)
Der erste russische Zar: Ivan "der Schreckliche"Bild: picture alliance/akg-images

Ab dem 14. Jahrhundert beginnen die Großfürsten von Moskau ihre Politik des "Sammelns der russischen Länder": Nach und nach bringen sie die Fürstentümer des ehemaligen Kiewer Staates unter ihre Oberhoheit. Es gelingt Moskaus Herrschern, sich von der mongolischen Hegemonie zu befreien. 1547 wird Ivan IV., wegen seiner Grausamkeit "der Schreckliche" genannt, zum ersten russischen Zaren gekrönt.

Das Bündnis der "Brudernationen"

1654 schließt sich im Vertrag von Perejaslaw die so genannte linksufrige Ukraine, das ist der Teil links des Flusses Dnjepr, inklusive Kiew an das russische Zarenreich an. Die rechtsufrige Ukraine verbleibt zunächst bei Polen-Litauen und wird katholisch. Die übrigen ukrainischen Gebiete sind russisch-orthodox. Später fällt der Großteil der westlichen Territorien im Zuge der Teilungen Polens sukzessive an Russland.

Russische Expansion im Süden

In mehreren Kriegen kann Russland von der Türkei weite Teile der Südukraine erobern. Die Krim wird 1783 russisch. Zur Festigung der russischen Vorherrschaft in den neuen Gebieten lässt Katharina die Große diese Gebiete mit loyalen Saporoger Kosaken und Siedlern aus Zentralrussland bevölkern.

Katharina die Große / Gemälde (Foto: picture alliance)
Katharina die Große festigte die russische Vorherrschaft in der SüdukraineBild: picture-alliance/akg-images

Das Verbot der ukrainischen Sprache

Während eines Aufenthalts im deutschen Kurort Bad Ems 1876 unterzeichnet Zar Alexander II. den Emser Erlass: Danach ist die Verbreitung von literarischem Schrifttum in ukrainischer Sprache untersagt. Ukrainisch gilt lange als Mundart des Russischen.

Der erste ukrainische Nationalstaat

Von Deutschland unterstützt, um Kriegsgegner Russland zu schwächen, erklärt die ukrainische Regierung die Zentral- und Ostukraine am 22. Januar 1918 unabhängig: Die Ukrainische Volksrepublik, der erste ukrainische Nationalstaat, mit Kiew als Hauptstadt entsteht. Das Gebiet der Westukraine mit der Hauptstadt Lwiw/Lemberg wird hingegen polnisch.

Die Gründung der UdSSR

Die Ukrainische Volksrepublik ist bald Geschichte. 1919 besetzen die Bolschewiken Kiew. Sie gründen die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik mit Charkiw als Hauptstadt. Tatsächlich aber regieren die Bolschewiken von Moskaus aus. 1922 schließen sich vier Sowjetrepubliken, darunter die der Weißrussen, Ukrainer und Russen, auch formell zur Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken zusammen.

Der Holodomor

Stalins Diktatur mündet in den 1930er Jahren in eine Katastrophe: Die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft und die rücksichtslosen Requirierungen von Getreide führen im Winter 1932/33 dazu, dass Millionen Menschen in der Ukraine an Hunger sterben. Die Ukrainer bezeichnen den millionenfachen Hungertod als "Holodomor".

Die "Rückkehr" der westlichen Gebiete

Auf der Grundlage des Hitler-Stalin-Paktes von 1939 annektiert die Sowjetunion Teile Polens. Die Westukraine wird mit der sowjetischen Ostukraine "vereinigt". Wie in der aktuellen Krimkrise, hat Moskau damit offiziell "dem Gesuch der brüderlichen Völker entsprochen".

Chruschtschows "Geschenk"

Nikita Sergejewitsch Chruschtschow 1960 (Foto: Getty Images)
Chruschtschow übergab die Krim 1954 an die UkraineBild: Getty Images

Anlässlich des 300. Jahrestags des Vertrags von Perejaslaw, als sich die linksufrige Ukraine dem Zarenreich anschloss, übergibt der sowjetische Kommunisten-Parteichef Chruschtschow 1954 die Halbinsel Krim aus russischer in ukrainische Verwaltungshoheit. Das vermeintlich großzügige Geschenk ist nicht ganz altruistisch. Die Krim hat sich vom Krieg noch längst nicht erholt und ist in einer desolaten Lage.

Die Lossagung der Ukraine

Am 16. Juli 1990 deklariert das Parlament in Kiew die Souveränität der Ukraine. Parlamentspräsident Krawtschuk ist prominentester Verfechter der Unabhängigkeit des Landes. Unterdessen versucht der sowjetische Präsident Gorbatschow erfolglos, den Zerfall der Sowjetunion verhindern. Die Sowjetunion wird im Dezember 1991 aufgelöst.

Problemfall Krim

Im Januar 1991 sprechen sich die mehrheitlich russischstämmigen Bewohner der Halbinsel für eine autonome Krimrepublik innerhalb der Sowjetunion aus. Der Zerfall der UdSSR überholt das Votum. Daraufhin verabschieden die Abgeordneten des Krimparlaments eine Verfassung der Krim, die aber von ukrainischer Seite nicht akzeptiert wird.

Die "orangene Revolution"

Bei den Präsidentschaftswahlen vom Herbst 2004 wird der russlandfreundliche Kandidat Janukowitsch zum Sieger erklärt. Nach Berichten über Unregelmäßigkeiten gehen Demonstranten wochenlang auf die Straße, bis sie die Wiederholung des Wahlgangs durchsetzen. Dabei siegt der pro-westliche Politiker Juschtschenko. Aus Enttäuschung über das Ausbleiben von Reformen, wenden sich die Ukrainer von den pro-westlichen Politikern ab. Anfang 2010 wählen sie Janukowitsch zum Präsidenten.

Der Gasstreit

Laut einem Vertrag von 2002 leitet die russische Gazprom Erdgas über ukrainisches Territorium nach Mitteleuropa und erlaubt Kiew im Gegenzug, einen Teil für sich behalten. Nach dem Sieg der "orangenen Revolution" und dem pro-westlichen Umschwung in Kiew erhöht Moskau 2005 den Preis um das Vierfache. Die Ukraine lehnt ab, die vom Kreml gelenkte Gazprom reagiert mit zeitweiser Einstellung der Gaslieferungen an die Ukraine.

Streitpunkt Schwarzmeerflotte

Schwarzmeerflotte (Foto: AP)
Die russische Schwarzmeerflotte ist im Hafen von Sewastopol stationiertBild: picture-alliance/AP

Nach langem Tauziehen unterzeichneten Russland und die Ukraine 2010 eine Vereinbarung über den Verbleib der russischen Schwarzmeerflotte auf der Krim: Danach mietet Russland den größten Teil des Hafens von Sewastopol und zahlt dafür rund 100 Millionen Dollar Liegegebühr jährlich. Außerdem erhält die Ukraine einen Rabatt von 30 Prozent auf den Gaspreis. Die russische Schwarzmeerflotte umfasst nach eigenen Angaben 14.000 Mann.

Die zweite Revolution

Kurz vor der geplanten Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und der Ukraine wird der Druck aus Moskau auf Kiew stärker. Der russische Präsident Putin will Kiew dazu bewegen, bei seinem Gegenentwurf, der "Eurasischen Union", mitzumachen. Ende 2013 setzt Präsident Janukowitsch die Vorbereitungen zum Abkommen mit der EU aus und kündigt an, die Beziehungen zu Russland zu intensivieren. Aus Protest kommt es zu wochenlangen Protesten auf dem Kiewer Maidan-Platz, die schließlich zum Sturz Janukowitschs führen.