Die Krim kennt nur eine Richtung
15. März 2014"Die Insel Krim" heißt eine Utopie des russischen Schriftstellers Wassilij Axjonow. Der Roman erschien 1979, er erzählt die erfolgreiche Geschichte einer von der Sowjetunion unabhängigen Krim, bis die Idee einer Vereinigung mit Moskau ihren tragischen Lauf nimmt. In diesen Tagen erinnert einiges an den Roman von Axjonow.
Auf die Krim - nur über Moskau
Noch ist es möglich, mit dem Zug von Kiew in die Krim-Hauptstadt Simferopol zu reisen. Alle Flugverbindungen zwischen den beiden Städten wurden aber abgesagt. Unter dem Vorwand, „die Ankunft von Provokateuren aus Kiew und der Westukraine zu verhindern“, schränkten die neuen Machthaber in Simferopol den Luftraum über der Krim vorerst ein. Auch türkische Fluglinien, die nicht nur bei den Krim-Tataren für Reisen in und aus der Türkei beliebt waren, fliegen Simferopol nicht mehr an.
Jetzt gibt es nur die Verbindung über Moskau. Die russische Fluggesellschaft Aeroflot setzt zurzeit größere Maschinen auf der Strecke nach Simferopol ein. Sie sind dieser Tage fast immer ausgebucht. Auch die Boeing-767, die den DW-Reporter nach Simferopol bringt und mit über 200 Passagieren voll besetzt ist. Der Flug dauert fast 20 Minuten länger als sonst. Sicherheitshalber nimmt Aeroflot derzeit eine Route, die überwiegend über das russische Territorium auf die Krim führt.
Emissäre des Kremls
An Bord ist auch der Chor des Moskauer Stretensky-Klosters. Dieser Chor sang kürzlich erst die russische Hymne zur Eröffnung der Olympischen Spiele in Sotschi. "Das russische Ministerium für Kultur hat uns gebeten, an diesem Wochenende auf der Krim zur Unterstützung des Referendums aufzutreten", erzählt ein junger Sänger der Gruppe. "Natürlich werden wir bei diesen politischen Spielen missbraucht, aber was können wir tun?", klagt der Mann. "Schade, dass wir in der Ukraine wohl keine Konzerte mehr geben werden."
Nicht nur sein Chor ist vor dem Referendum auf die Krim gekommen. Russische Politiker und Sportler wie der Tennisprofi Marat Safin oder Ex-Boxweltmeister Nikolai Walujev haben in den letzten Tagen um den Beitritt zu Russland geworben. Und während der ehemalige Boxstar Vitali Klitschko, dessen Partei die neue Koalition in Kiew unterstützt, auf der Halbinsel von der hiesigen Regierung zur Persona non grata erklärt wurde, trat Walujev - der auch für die Putin-Partei im russischen Parlament sitzt - bei Presseterminen und in der Talk-Show des lokalen Fernsehens auf.
Gewaltige Propaganda vor dem Referendum
Der Tag vor dem Referendum ist allerdings ein "Tag der Stille": Politische Aktivitäten sind untersagt. Von einem fairen Wahkampf kann aber ohnehin keine Rede sein – die Agitation kannte nur ein Ziel. Auf einem zentralen Platz von Simferopol dröhnte aus den Lautsprechern die Stimme eines unsichtbaren Sprechers. Er rief die Krim-Bewohner auf, "am 16. März eine richtige Wahl zu treffen“. Welche? Die Antwort ist auf einem großen Bildschirm zu sehen: die Farben der russischen Flagge. Auf Plakaten heißt es: "Zusammen mit Russland“ oder "Krim. Russland. Frühling.“
Die russischen Nationalfarben und die Krimflagge verschmelzen zu einem Herz – so sieht das im staatlichen lokalen Fernsehen aus. Das Programm - von Nachrichten bis Werbung - war in den letzten Tagen voll auf das Werben zum Beitritt zu Russland eingestellt. Auf die Frage des DW-Reporters, wo es denn die Wahlwerbung der pro-ukrainischen Seite gebe, antwortet der neue Ministerpräsident der selbsternannten Republik Krim, Sergej Aksjonow: "Mir sind dafür keine Anfragen beim lokalen Fernsehen bekannt."
Dass seit einer Woche keine ukrainischen TV-Sender auf der Krim zu empfangen sind, erwähnt er nicht. Ihren Platz haben staatliche russische Fernsehkanäle eingenommen. Und die bezeichnen die neue Führung in Kiew als "Faschisten" und "Nationalisten".
Die neuen Krim-Herrscher
Es klingt wie eine Ironie der Geschichte, dass der 41-jährige Politiker den gleichen Familiennamen trägt wie der Autor des utopischen Romans "Die Insel Krim“. Er wird auf Deutsch nur etwas anders geschrieben. Aksjonow vertritt die Partei "Russische Einheit“. Bei der letzten Wahl auf der Krim erreichte sie gerade mal vier Prozent der Stimmen. Jetzt ist Aksjonow überall in den Medien präsent und hat keine Zweifel am Ausgang der Abstimmung.
Bei einer Pressekonferenz am Freitag (14.03.2014) sieht er frisch und munter aus. Das ist erstaunlich, denn, sagt Aksjonow, er habe in der letzten Woche insgesamt nicht mehr als zehn Stunden geschlafen. Die Fragen der Journalisten beantwortet er wie aus der Pistole geschossen. Er wisse nichts über das Verschwinden von Maidan-Aktivisten auf der Krim. Und was die Übergriffe auf Journalisten, auch ausländische, betrifft: Die seien oft selbst schuld. Man sollte eben nicht die Selbstverteidigungskräfte der Krim provozieren.
Und das Volk?
Passanten auf den Straßen von Simferopol scheinen in diesen Tagen gelassen zu bleiben. Taxifahrer und Verkäufer, Kellner und Putzfrauen – viele Menschen waren überrascht, dass es nun so schnell zu einem Referendum kommt. "Jetzt sind sie alle euphorisch", sagt Elena, die Besitzerin einer kleiner Zigarettenvertriebsfirma, eine ethnische Russin.
Sie macht sich Sorgen um ihren 15jährigen Sohn Wladimir: "Er ist als Ukrainer aufgewachsen. Seine Heimat ist die Ukraine. Jetzt wird er sich an die neue Heimat gewöhnen müssen“. Der 20jährige Vitalij klagt hingegen: "Die Ukraine hat uns im Stich gelassen.“ Die Gehälter seien niedrig und die Straßen kaputt. Unter Moskau werde alles besser, ist der junge Mann sicher.
Mit seinen Freunden fuhr er am Freitagabend im Motorradkorso mit russischen Fahnen durch Simferopol. Viele erschienen nicht auf dem Lenin-Platz. Zum Referendum am Sonntag aber wollen sie alle kommen.