Venezuelas Opposition festigt Maduros Macht
10. September 2020Henrique Capriles war nie eine strahlende Figur in der venezolanischen Opposition. Aber er war diejenige, auf die sich das demokratische Parteienbündnis Mesa de la Unidad Democrática (MUD) als Präsidentschaftskandidaten einigen konnte. Zweimal sogar: 2012 gegen Hugo Chávez und nach dessen Tod 2013 gegen Nicolás Maduro. Beide Male unterlag er - zumindest dem offiziellen Wahlergebnis zufolge.
Danach wurde es ruhiger um ihn. Als amtierender Gouverneur des Bundesstaates Miranda ist er zwar nie von der politischen Bühne verschwunden. Doch als Juan Guaidó Anfang 2019 von rund 50 - meist westlichen - Staaten als Interimspräsident anerkannt wurde, verschwand Capriles weitgehend aus den Augen internationaler Beobachter.
Vom Einiger zum Spalter
Nun ist er zurück - mit einem Paukenschlag: Am Samstag (5.9.2020), dem letzten Tag der Einschreibefrist, haben sich 277 Oppositionelle mit seiner Unterstützung für die Parlamentswahl aufstellen lassen, die die Regierung für den 6. Dezember anberaumt hat. Das Besondere daran ist, dass die übrige Opposition die Wahl geschlossen boykottiert. Einschließlich Capriles' eigener Partei "Justicia primero" (Gerechtigkeit zuerst).
Die Wahl werde nicht einmal die "Minimalanforderungen" an eine freie und allgemeine Wahl erfüllen, schrieb Guaidó vergangene Woche in einem Unterstützungsgesuch an die Europäische Union.
Vorbild Belarus?
Capriles argumentiert anders: Der Urnengang sei eine minimale, aber die einzige Chance, das Regime politisch unter Druck zu setzen. Um fairere Konditionen zu erzielen, soll er bereits - über türkische Mittelsmänner - mit der Regierung verhandelt haben. "Maduro wird ihm viel versprechen und nichts davon halten", meint die Politologin Sabine Kurtenbach vom Hamburger GIGA-Institut. "Das haben wir bei den Wahlen 2018 schon erlebt."
Ob Capriles wirklich daran glaubt, darf man bezweifeln. Die "Washington Post" will erfahren haben, dass Capriles und seine Mitstreiter auf Belarus blicken, wo nach einer offensichtlich verschobenen Präsidentschaftswahl Massenproteste gegen Machthaber Alexander Lukaschenko ausgebrochen sind.
Allerdings hat Venezuela derartiges schon mehrfach durchgemacht: 2014 flammten Massenproteste auf, weil ein Jahr nach Maduros umstrittener Machtübernahme die wirtschaftliche Rezession immer spürbarer wurde. 2017 gingen Millionen auf die Straße, nachdem das regierungstreue Oberste Gericht das oppositionell dominierte Parlament per Federstrich entmachtete.
Eigensinnige Oppositionelle
Dass der einstige oppositionelle Konsenskandidat nun zum Abtrünnigen wird, wirkt besonders bitter. Wirklich überraschend findet Kurtenbach es nicht: "In der Opposition vertritt jeder seine eigenen Interessen. Immer wieder schert jemand aus und startet einen Alleingang."
Das hat nicht nur mit Geltungsbedürfnis zu tun. Die venezolanische Opposition repräsentiert das gesamte demokratische Spektrum des Landes: von sozialistischen Demokraten, die sich wie Capriles an der brasilianischen Arbeiterpartei von Lula da Silva orientieren, über Sozialdemokraten wie Guaidó und Leopoldo López bis hin zu Rechtskonservativen ist alles vertreten. Deshalb hat die Opposition auch kein gemeinsames Programm, das sie den Wählern anbieten könnte, außer: Maduro muss weg.
Und selbst in diesem Punkt ist man sich uneins - zumindest, was die Mittel betrifft: Ende August warf María Corina Machado, Vorsitzende der wirtschaftsliberalen Oppositionspartei Vente Venezuela, dem selbsternannten Interimspräsidenten Guaidó öffentlich Versagen vor: Er gehe zu zaghaft gegen das Maduro-Regime vor, weil er sich gegen eine militärische Intervention von außen stellt.
Damit grenze sie sich nicht nur von Guaidó ab, sie nehme Maduro auch die Arbeit ab, meint Kurtenbach: "Das Gerede von Intervention scheint zu bestätigen, was Maduro immer behauptet: Die Opposition ist von außen gesteuert und die Venezolaner sind ihr egal."
Regime schürt Spaltung der Opposition
Diese - teils inhaltlichen und teils persönlichen - Differenzen sind für Maduro eine Art Lebensversicherung. Und das Regime weiß, wie es Nadelstiche setzen kann, um sie anzuheizen. Jüngstes Beispiel ist die "Begnadigung" von mehr als 110 Personen - zum Zwecke der "nationalen Versöhnung", wie es hieß.
Das Regime geriert sich damit als gnädig, dabei korrigiert es lediglich ein begangenes Unrecht. Denn viele "Begnadete" wurden unter haltlosen Vorwürfen und ohne Gerichtsverfahren eingesperrt. Nur 50 von ihnen sind politische Gefangene, mehr als 300 weitere sitzen dem Nachrichtenportal "Caracas Chronicles" zufolge weiterhin im Gefängnis. Dies spaltet die Opposition in "Begnadigte" und "Nicht-Begnadigte".
Eine Verbesserung der Situation sei nicht in Sicht, resümiert Politologin Kurtenbach, solange Opposition, Zivilgesellschaft und reformbereite Chávez-Anhänger sich nicht zusammenraufen und geschlossen auftreten. Die einzige Chance auf eine zeitnahe Veränderung bleibt, dass das Militär Maduros Regime die Unterstützung entzieht. Doch darauf wartet die Opposition nun schon seit mehr als sieben Jahren.