Zoff und Zögern
13. März 2014Steine, Eisenstangen und sogar Gewehre: Einen Monat nach Ausbruch der Proteste gegen Venezuelas Staatschef Nicolas Maduro wächst die Gewaltbereitschaft aufseiten der Demonstranten ebenso wie der der Anhänger des Präsidenten. 22 Menschen sind bei den Protesten bereits ums Leben gekommen, Hunderte Demonstranten befinden sich in Haft. Unter ihnen auch Leopoldo López einer der bekanntesten Oppositionsführer.
Während sich die Proteste in Venezuela immer weiter zuspitzen, scheint die Regierung im Nachbarland Brasilien weiterhin unschlüssig, welche Haltung sie angesichts der Ereignisse einnehmen soll. Bislang hat kein Mitglied des Kabinetts von Dilma Rousseff den venezolanischen Präsidenten öffentlich kritisiert. Brasilien und Venezuela sind nicht nur Nachbarn. Beide Länder sind auch durch Organisationen wie den Mercosurund die Union Südamerikanischer Staaten (Unasur) eng miteinander verbunden. Möglicherweise aus diesem Grund, will sich die brasilianische Regierung offenbar nicht so stark engagieren wie in anderen Fällen - wie beispielsweise im vergangenen Jahr während der Regierungskrise in Paraguay im vergangenen Jahr tat, in deren Verlauf der damalige Präsident Fernando Lugo abgesetzt wurde.
Menschenrechte als Prinzip der brasilianischen Außenpolitik
Dabei gebe es ausreichend Anlass, auch in Sachen Venezuela aktiv zu werden, sagen brasilianische Regierungskritiker. "In Venezuela werden die Kommunikationsmedien zensiert; Regimegegner werden willkürlich verhaftet, ohne dass auch nur den geringsten Hinweis auf kriminelles Verhalten gibt", so Maria Laura Canineu, Direktorin von Human Rights Watch Brasilien. "Es ist enttäuschend, dass Brasilien angesichts dieses Machtmissbrauchs wie auch des brutalen Vorgehens gegen die Demonstranten nicht deutlich Stellung bezieht."
Die Regierung in Brasília müsse stärker für Bürgerrechte sowie den Schutz der Rede- und der Versammlungsfreit in Venezuela eintreten, fordert die Menschenrechtlerin. "Die Achtung der Menschenrechte ist ein Prinzip der brasilianischen Außenpolitik", so Canineu im DW-Interview. Und dies müsse die Regierung auch gegenüber Venezuela deutlich machen.
Umrisse einer neuen Außenpolitik
Für den Politikwissenschaftler José Niemeyer von der Privatuniversität IBMEC in Rio de Janeiro spiegelt die brasilianische Zurückhaltung die politischen Überzeugungen Dilma Rousseffs recht genau wider. Anders als ihre beiden Vorgänger betreibe die brasilianische Präsidentin eine zögerliche Außenpolitik. Während der von 1995 bis 2002 regierende Präsident Fernando Henrique Cardoso seine außenpolitischen Vorstellungen vor allem mit Hilfe internationaler Institutionen vorantrieb und dessen Nachfolger Luiz Inácio Lula da Silva einen engagierten, ideologisch gefärbten Kurs verfolgte, hat Rousseff offenbar einen anderen, weniger entschiedenen Stil: "Sie konzentriert sich vor allem auf die Innenpolitik, während sie sich außenpolitisch nicht allzu sehr festlegt. Darum legt sich Brasilien auch im Hinblick auf Venezuela nicht fest", sagt Niemeyer.
Während der Feierlichkeiten zum Amtsantritt der neuen chilenischen Präsidenten Michelle Bachelet kündigte Rousseff am Dienstag (11.03.2014) eine diplomatische Initiative an: Demnach werden die Staats- und Regierungschefs der Unasul-Staaten zwischen der Regierung und Opposition in Venezuela vermitteln. Kritische Worte hinsichtlich der Krise äußerte Rousseff allerdings nicht.
Komplexe Gemengelage
Andernorts trat Brasilien sogar auf die Bremse: Bei einer Sitzung der Organisation amerikanischer Staaten (OAS) sprachen sich die brasilianischen Vertreter gegen den Vorschlag aus, Beobachter nach Venezuela zu entsenden. Eine solche Entscheidung, so das Argument, würde die Spannungen in dem Land nur zusätzlich erhöhen. Diese Haltung ist auch vor dem Hintergrund der sozialen Proteste vergangenen Sommer in Brasilien zu sehen. Damals ging Dilma Rousseff zwar offen auf die Demonstranten zu. Aber ihr Vorgehen möchte sie ihrem venezolanischen Kollegen Maduro nun nicht als beispielhaft andienen.
"Brasilien agiert innerhalb der ihm möglichen Grenzen. Zugleich versucht es, die Interessen der in Venezuela engagierten großen nationalen Unternehmen zu wahren", sagt der Politikwissenschaftler Thiago Gehre Galvão von der Universität Brasília. "Die Regierung will in der südlichen Hemisphäre keine Unruhe schüren. Daher die Zurückhaltung und das Engagement in Foren wie der OAS."
Ökonomische Interessen
Das Verhältnis Brasiliens wie auch der anderen Mitgliedstaaten des Mercosur zu Venezuela ist zudem stark von ökonomischen wie strategischen Interessen geprägt. Venezuela hat nicht nur einen Markt mit 30 Millionen Konsumenten. Das Land verfügt zudem über die größten Ölreserven weltweit. Außerdem hat der staatliche Ölkonzern PDVSA Ditzende Energie-Verträge mit südamerikanischen Staaten geschlossen.
Nach Angaben des brasilianischen Außenministeriums nahm der Handel zwischen Brasilien und Venezuela zwischen 2003 und 2012 um das Sechsfache zu. 2012 erreichte er einen historischen Höchststand von 6,05 Billionen Dollar.
"Brasilien hat durchaus Handlungsoptionen. Und es hat sich für die beste Option entschieden", sagt Gehre Galvão. "Der Umstand, dass Rousseff während der Proteste eine Dialogmöglichkeit geschaffen hat, bedeutet nicht, dass sie einem anderen Land sagt, was es zu tun oder zu lassen hat. Brasilien verfolgt sehr deutlich das Prinzip der Nicht-Einmischung." Brasilien sei besorgt, so der, und mitnichten gleichgültig.