USA: Warum die Polizei so viel Macht hat
7. Juni 2020Der jüngste Budgetvorschlag für die Stadt Los Angeles hat eine Welle von Empörung in den sozialen Medien ausgelöst. Bürgermeister Eric Garcetti wollte die Polizei mit mehr Geld ausstatten und den Behörden über 1,8 Milliarden US-Dollar (1,6 Milliarden Euro) aus einem Gesamtbudget von 5,4 Milliarden US-Dollar zuweisen - der höchste Betrag von allen Ressorts. Zum Vergleich: Die Abteilung für Wohnungsbau und Gemeinschaftsinvestitionen soll weniger als 82 Millionen US-Dollar erhalten.
Noch ist das Budget nicht verabschiedet und Garcetti hat mittlerweile versprochen, einen Teil der vorgesehenen Polizeimittel für afroamerikanische und andere ethnische Communities bereitzustellen, aber die Ausgaben für die Polizei sind immer noch beträchtlich. Los Angeles ist da keine Ausnahme - große Budgets für die Polizei sind vielerorts üblich, besonders in Städten.
Die gute finanzielle Ausstattung der Polizei ist eine Folge ihrer Lobbyaktivitäten, die in den 1990er Jahren ihren Höhepunkt erreichten, sagt Stuart Schrader, Soziologe an der Johns Hopkins University. "Die Internationale Vereinigung der Polizeichefs hat nicht nur versucht, die Gesetzgebung zur Verbrechensbekämpfung zu gestalten. Sie hat versucht, Politikern eine Rechenschaftspflicht gegenüber der Polizei aufzuerlegen und nicht umgekehrt", schreibt Schrader in einem 2019 veröffentlichten Aufsatz mit dem Titel "Sich schützen und sich selbst dienen: Polizei in der US-Politik seit den 1960er Jahren".
In Anbetracht immer weiter sinkender Kriminalitätsraten, so Schrader, könne Polizeiarbeit in vielen Regionen des Landes zurückgefahren werden. Doch die Polizei "schützt ihre Ressourcen, anstatt Kapazitäten freizugeben", so der Soziologe. "Die Polizei ist nicht mehr bereit, ihre Gewinne loszulassen und stellt ihre eigennützige Interessenvertretung zunehmend vor ihre eigentliche Mission, die Verbrechensbekämpfung."
Aufruf zur Abschaffung der Polizei
Es gibt in den USA eine Bewegung, die fordert, die finanziellen Mittel der Polizei zu beschneiden und die Behörden in der Folge komplett abzuschaffen. Die Diskussion darüber gewinnt in diesen Tagen an Dynamik. Ralikh Hayes, Mitbegründer von Organizing Black, einer Aktivistengruppe in Baltimore im Ostküstenstaat Maryland, plädiert dafür, das Geld, das jetzt in Polizeidienststellen fließt, anders zu verwenden. Gegenüber der DW sagt er, Städte sollten "kreative Prozesse finanzieren, mit anderen Ideen experimentieren und überlegen, wie Sicherheit noch aussehen kann. Sie sollten in Dinge investieren, von denen wir wissen, dass die Menschen sie brauchen. Denn wir wissen, dass Kriminalität normalerweise dadurch verursacht wird, dass Menschen nicht über die Ressourcen verfügen, die sie benötigen."
Hayes fügt hinzu: "Wie man in Gemeinden in ganz Amerika sehen kann, gelten diese als vollkommen sicher, wenn kein Polizist in Sicht ist. Aber warum gelten unsere Gemeinden, die voller Polizisten sind, dann nicht als sicher?"
Die Polizei versucht noch mit einer anderen Strategie, den Status Quo aufrechtzuerhalten: Sie macht Beweise und Daten nur intern zugänglich. Daten zu sammeln, um Vorfälle und Kommunikation zwischen Polizisten und Zivilisten zu erforschen, könne mitunter schwierig sein, bestätigt Alyasah Sewell, Professorin für Soziologie an der Emory University in Atlanta, Georgia, gegenüber der DW. Bürgerinitiativen, die das versuchten, müssten sich häufig auf Medienberichte stützen. Sewell fügt hinzu, dass in den Statistiken der Strafverfolgungsbehörden manchmal wichtige Informationen fehlten, wie Hautfarbe oder Geschlecht. Auch bei Polizeiberichten "verlassen wir uns darauf, dass die Polizei uns erzählt, was passiert ist".
Rassismus seit der Sklavenzeit
Wenn erneut ein weißer Polizist eine unbewaffnete schwarze Person getötet hat, wird dieser Polizist von Kollegen, Politikern und der Öffentlichkeit oft als "bad apple" ("fauler Apfel") bezeichnet, was bedeutet, dass der betreffende Beamte als Einzelfall betrachtet werden sollte.
Der nationale Sicherheitsberater Robert O'Brien etwa nutzte diese Redewendung jüngst in einem Interview mit dem Fernsehsender CNN über den gewaltsamen Tod von George Floyd. Der Afroamerikaner Floyd starb in Minneapolis, während ein weißer Polizist auf seinem Hals kniete und drei Kollegen zuschauten. "Ich glaube nicht, dass es institutionellen Rassismus gibt", sagte O'Brien. "Ich denke, 99,9 Prozent unserer Strafverfolgungsbeamten sind großartige Amerikaner. Aber es gibt natürlich immer 'faule Äpfel'."
Alyasah Sewell dagegen hält es nicht für ausreichend, sich auf einzelne Polizisten zu konzentrieren. "Ein schlechter Polizist ist ein schlechter Samen", so Sewell. "Dieser schafft Netzwerke, die ihn unterstützen. Man muss die Hälfte eines Apfels durchschneiden, um an die Samen zu kommen, die Kerne. Und wenn dieser Samen faul ist, infiziert er auch den Rest des Apfels."
Sewell forscht zu strukturellem Rassismus und betont, in den heutigen Polizeibehörden lebe die Geschichte weiter. "Man muss wirklich bis zur Sklaverei zurückgehen. Sklavenpatrouillen waren die Vorgänger der heutigen Polizei. Beamte heute stufen schwarze und braune Menschen immer noch aufgrund ihrer Hautfarbe als Kriminelle ein. Und wenn man jemanden als Kriminellen bezeichnet, hat man das Recht, ihn aus der Gesellschaft zu entfernen."
Polizeigewalt wird in den USA nicht nur toleriert, der Präsident selbst animiert indirekt dazu. Anfang der Woche warf Donald Trump vielen Gouverneuren vor, dass ihre Reaktion auf die anhaltenden Proteste schwach gewesen sei. "Wenn man nicht dominiert, ist das verschwendete Zeit", so Trump. "Dann sieht man aus wie ein Idiotenhaufen. Man muss dominieren."