USA, Pressefreiheit adé?
2. Juni 2020Es ist ein demokratischer Sündenfall mit Ansage. Auch westliche Demokratien schränken die Pressefreiheit ein, wie sich bei der Berichterstattung zu den jüngsten Protesten gegen die Ermordung des Afro-Amerikaners George Floyd in den USA wieder einmal gezeigt hat: Ein CNN-Korrespondent wurde vor laufender Kamera festgenommen, zwei Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Reuters und eine schwedische Zeitungskorrespondentin durch Gummigeschosse verletzt. Der DW-Reporter Stefan Simons geriet in die Schusslinie der Polizei.
Im Unterschied zu autoritären Regimen machen sich die Regierungen dabei allerdings eher selten die Hände schmutzig. Nicht nur in den USA, sondern beispielsweise auch in Brasilien wird bewusst auf Maulkorberlasse oder staatliche Zensur verzichtet. Stattdessen heizen die Präsidenten Trump und Bolsonaro - in seiner Heimat auch Mini-Trump genannt - mit medienfeindlicher Rhetorik und der Verbreitung von Fakenews gesellschaftliche Spaltung und Gewalt an.
Die gefährliche Entwicklung beschränkt sich nicht auf die beiden großen amerikanischen Länder, sondern umfasst auch EU-Staaten wie Malta, Montenegro, die Slowakei, Polen, Ungarn, Großbritannien, Tschechien und Italien.
"Klares Feindbild"
"Trump dämonisiert Medien und hat ein klares Feindbild aufgebaut", sagt Christian Mihr, Geschäftsführer der Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG), im DW-Gespräch. "Wir haben in den vergangenen Tagen in den USA insgesamt 68 Übergriffe gegen Journalisten dokumentiert."
Zusammen mit den 26 weiteren Attacken gegen Pressevertreter, die auf der Online-Plattform "US Press Freedom Tracker"dokumentiert sind, summiert sich die Gewalt gegen Medienvertreter allein in den USA seit Jahresbeginn auf 94 Fälle.
Für Mihr war die Entwicklung absehbar. "Medien werden als Teil eines vermeintlichen Systems wahrgenommen. Diese Wahrnehmung wird von populistischen Präsidenten wie Trump und Bolsonaro ganz bewusst vorangetrieben", meint er. Diese wollten zeigen, dass sie gegen "das System" regieren könnten.
"Halt die Schnauze"
In Brasilien kündigten führende Medien des Landes am 25. Mai an, ihre Berichterstattung vor dem Regierungspalast "Alvorada" in der Hauptstadt Brasilia wegen mangelnder Sicherheit einzustellen. Die Fernsehsender "Globo" und "Bandeirantes", die führende Tageszeitung "Folha de S. Paulo" sowie das Nachrichtenportal "Metrópoles" erklärten, sie würden keine Mitarbeiter mehr zum Amtssitz des Präsidenten entsenden.
Grund seien die fortgesetzten Anfeindungen von Anhängern des brasilianischen Präsidenten. Als diese damit drohten, den Pressebereich zu stürmen, hätten die Sicherheitskräfte des brasilianischen Präsidenten Bolsonaro nicht eingegriffen, um die Journalisten zu schützen.
Bolsonaro beschimpft Pressevertreter in regelmäßigen Abständen. Als Journalisten Anfang Mai wissen wollten, warum er den Chef der Bundespolizei entlassen hatte, schrie er sie an, sie "sollten die Schnauze halten". Als Ende März ein Anhänger Bolsonaros Pressevertretern vorwarf, sie würden "das Volk gegen den Präsidenten aufbringen", nickte Bolsonaro zustimmend.
Europarat warnt vor Erosion der Pressefreiheit
Auch in Europa nehmen Übergriffe auf Journalisten und Medienhäuser zu. Das geht aus demReport für Pressefreiheit des Europarats hervor. Dem Bericht zufolge wurden 2019 insgesamt 142 gravierende Übergriffe auf Journalisten in 25 seiner 47 Mitgliedsländer gemeldet. 2018 waren es 139 Attacken in 32 Ländern.
Reporter ohne Grenzen warnt in seiner Rangliste für Pressefreiheit 2020 vor zunehmender Gefahr für Medien in den Ländern Bulgarien, Rumänien, Ungarn, Polen, Griechenland, Kroatien, Malta und Großbritannien.
"In Großbritannien schränken die Behörden immer wieder die Pressefreiheit ein, oft unter Berufung auf die nationale Sicherheit", heißt im Länderbericht von ROG. 2018 wertete der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die massenhafte Ausspähung von Journalisten im Land als Verstoß gegen das Grundrecht auf Meinungs- und Pressefreiheit.
"Trumpeske" Rhetorik
"Wie in Großbritannien Medien diskreditiert und einzelne Journalisten pauschal diffamiert werden, erinnert in vielen Äußerungen an Trump", meint ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. Journalisten würden von Pressekonferenzen ausgeschlossen, und die Rhetorik von Boris Johnson sei "schon fast 'trumpesk'."
Corinne Vella, die Schwester der 2017 in Malta ermordeten Investigativjournalistin Daphne Caruana Galizia, hat die Angriffe auf Medien in demokratischen Ländern in einem Satz zusammengefasst: "Journalisten bringen sich nicht in die größte Gefahr, wenn sie aus Kriegsgebieten berichten, sondern wenn sie Korruption im eigenen Land aufdecken."
Wenn sich Journalisten in einem EU-Land nicht mehr sicher fühlten, sei das ein Sicherheitsrisiko für ganz Europa, hatte Corinne Vella im November 2019 in Berlin auf dem Kongress "Coreact" der Organisation "Mafia, nein danke" erklärt.
ROG-Vorsitzender Mihr befürchtet, Trump könne die Angst vor Ausschreitungen im Wahlkampf für sich nutzen. Deshalb seien der US-Präsident und führende Politiker der Republikaner auch sehr zurückhaltend bei der Verurteilung der Polizeigewalt. Mihr: "Es klingt zynisch, aber kurzfristig könnte Trump die Gewalt willkommen sein."