1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

USA: Eins zu null für die Demokratie

Miodrag Soric
7. Januar 2021

Es ist paradox: Die Demokratie in den USA hat sich bewährt. Und dennoch taugt sie nach dem Sturm aufs Kapitol insbesondere im Ausland nicht mehr als Vorbild. Eine Analyse von Miodrag Soric.

https://p.dw.com/p/3nemJ
US Wahl 2020 Spannungen und Proteste
"Wir sind und bleiben eine Demokratie": Im US-Wahlkampf kämpften Anhänger der Demokraten um jede Stimme Bild: REUTERS

"Die amerikanische Demokratie hat Donald Trump überlebt; nicht überlebt hat aber das Bild, das sich die Welt von der amerikanischen Demokratie bislang gemacht hat," analysiert der bekannte bulgarische Politologe Ivan Krastev die Erstürmung des Kapitols durch Trump-Anhänger im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Taugen die USA also noch als demokratisches Vorbild für andere Nationen? Die Antwort darauf könnte unterschiedlicher kaum sein. In Russland zum Beispiel waren die USA nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine Art demokratisches Ideal. "Damals waren die USA unser großes Vorbild", erklärte Alexander Baunov vom Carnegie Center in Moskau gegenüber der DW.

Zu Beginn der 90er Jahre hätten viele Russen geglaubt, alles in den USA sei besser als in Moskau. Mit den Jahren wuchsen die Zweifel am Vorbild, "sogar bei den liberalen Kräften", so der Experte des Think-Tanks, der einst auch für das russische Außenministerium tätig war.

Seit der Wahl von Donald Trump verblasste das Vorbild der USA. Der Kreml sah sich mit dem Sieg von Trump in seiner Weltsicht bestätigt, wonach die USA nicht als Vorbild für andere Nationen dienen könnten. Die Erstürmung des Kongresses durch Trump-Anhänger, so Baunov, habe deshalb bei vielen Russen das negative Bild über die Amerikaner nur verfestigt. Ein Bild, das auch durch "dubiose" militärische US-Interventionen in der Welt geprägt worden sei.

"Institutionen behaupten sich"

Ganz anders sieht dies Peter Ammon, ehemaliger Staatssekretär im Auswärtigen Amt und von 2011 bis 2014 auch Botschafter den USA. Zwar zeigte sich auch er schockiert vom Angriff auf die Symbole der amerikanischen Demokratie. Entscheidend sei aber, wie die "Schlacht" am Ende ausgehe.

"Die über 200 Jahre alten Institutionen der Demokratie haben sich behauptet", analysiert er im Gespräch mit der DW. Schließlich habe der Kongress entschieden, dass der Wahlsieg von Joe Biden anerkannt wird. "Die Institutionen haben dem Anschlag standgehalten", so der Diplomat.

US-Capitol | Wiederaufnahme der Sitzung | Nancy Pelosi
Kurz nach der Invasion durch Trump-Anhänger trat der US-Kongress erneut zusammen und erkannte offiziell den Wahlsieg Joe Bidens anBild: Jim Lo Scalzo/REUTERS

Die USA seien weiterhin das "Fundament des Westens". Überall in der Welt nehme die Zahl der autoritären Regime zu, beobachtet Ammon. Die Bilder von der Erstürmung des Kapitols werden die Amtszeit des neuen Präsidenten Biden prägen, sagt der frühere deutsche Botschafter in Washington voraus. Die Auseinandersetzung zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen habe sich verschärft.

Die gesellschaftliche Polarisierung habe schon vor der Wahl von Donald Trump existiert, meint die Abgeordnete Dagmar Freitag. Die SPD-Politikerin ist eine der führenden US-Expertinnen im deutschen Bundestag. Bereits vor vier Jahren habe sich der Unmut über Politiker in Washington mit der Wahl von Trump "Luft gemacht".

Demokratie "nicht gescheitert"

Der Präsident habe sein Land an den Abgrund geführt, meint Freitag. Die Bilder von den Ausschreitungen im Kapitol würden Millionen von Menschen im Gedächtnis bleiben. Sie spricht vom "Staats-Versagen". Für die USA werde es schwierig sein, "eine führende Nation mit der Verkörperung demokratischer Werte zu bleiben", glaubt sie. Den Anspruch Vorbild zu sein, müssten sich die USA wieder mühsam verdienen.

Trotz aller Kritik warnt die US-Expertin Britta Waldschmidt-Nelson von einem "Scheitern des westlichen Demokratie-Modells" zu sprechen. Das Gegenteil sei der Fall, meint die Professorin für Geschichte des europäisch-transatlantischen Kulturraums an der Universität Augsburg.

Denn letztlich hätten sich die US-Demokratie und ihre Institutionen behauptet. Schließlich sei Bidens Wahl bestätigt worden. "Selbst unter stärksten Anfeindungen von Populisten und einem aufgebrachten Mob habe sich die Demokratie bewährt", bilanziert sie. Eine Gefahr bleibe jedoch, dass viele Amerikaner den Glauben an das Funktionieren des eigenen Systems zu verlieren drohen.