"Der Status quo nützt niemandem"
30. August 2017DW: Herr Botschafter, Ihre Ernennung zum US-Sondergesandten für die Ukraine-Verhandlungen wurde vielfach als Zeichen gedeutet, dass sich die US-Regierung stärker bei der Suche nach einer politischen Lösung der Ukraine-Krise einbringen wollen. Glauben Sie, dass die europäische Initiative, das Minsk-Abkommen, gescheitert ist?
Volker: Im Moment haben wir lediglich ein Abkommen, dass zur Wiederherstellung der internationalen Grenzen der Ukraine führen soll. Darin ist auch der Abzug ausländischer Streitkräfte und ein Waffenstillstand vorgesehen, ebenfalls soll es einen politischen Prozess einleiten. Aber nichts davon ist wirklich eingetreten. Gleichzeitig spielt das Abkommen aber eine wichtige Rolle, denn auf der Grundlage des Abkommens hat Russland erst vor wenigen Wochen wieder bekräftigt, dass es die territoriale Integrität der Ukraine unterstützt. Es ist auch die Grundlage für die fortdauernden Sanktionen. Die Sanktionen bleiben also in Kraft, solange Russland das Abkommen nicht umsetzt. Minsk erfüllt damit durchaus seinen Zweck. Meine Aufgabe besteht auch darin zu sehen, ob wir nicht den politischen Willen verstärken können, dass Minsk wirklich umgesetzt wird. Im Moment drehen wir uns nur im Kreis.
Sie sind gerade von einer Reise nach Minsk und Kiew zurückgekehrt, wo Sie sich mit russischen und ukrainischen Vertretern getroffen haben. Die russische Seite hat anschließend von "neuen Ideen und Ansätzen" gesprochen. Könnten Sie bitte mehr dazu sagen?
Ich finde auch, dass wir eine sehr konstruktive Unterredung hatten. Natürlich gab es aber Meinungsunterschiede. Zunächst stimmten wir darin überein, dass der Status quo niemandem nützt, nicht Russland, nicht der Ukraine, und auch nicht den Menschen im Donbass. Und es dürfte sogar noch schlimmer werden. Hier müssen wir also wirklich versuchen, etwas zu ändern. Zum anderen müssen wir die Frage der Sicherheit neu angehen. Russland hat sich besorgt über die Sicherheit der russischsprachigen Bevölkerung in der Ost-Ukraine geäußert. Aber, offen gesagt, das einzige Gebiet, in dem die russischsprachige Bevölkerung leidet, ist das von russischen Streitkräften kontrollierte Gebiet. Wenn man dort also anders und ohne die Präsenz russischer Soldaten für Sicherheit sorgen könnte, wäre das wahrscheinlich besser für alle.
Wie eng sind Ihre Kontakte zu Deutschland und Frankreich? Es gibt die Sorge, Washington könne eine Art Separatabkommen mit Moskau über die Köpfe der Ukraine hinweg oder hinter dem Rücken der Europäer schließen.
Das wird auf keinen Fall passieren. Ich stand sogar in sehr engem Kontakt mit französischen und deutschen Kollegen, bevor ich mich mit meinem russischen Amtskollegen traf. Während des gesamten Verlaufs haben wir uns fortwährend beraten. Die Vereinigten Staaten haben klargestellt, dass wir den Normandie-Prozess vollkommen unterstützen, wir wollen nicht Teil davon werden oder ihn umgehen. Was die ukrainische Seite betrifft, so war ich allein in den vergangenen sechs Wochen dreimal dort, und wir stehen in sehr engem Kontakt über den Inhalt sämtlicher Verhandlungen. Es gibt ganz klar keinerlei Entscheidungen über ihre Köpfe hinweg.
Sie haben kürzlich gesagt, die US-Regierung sei dabei, ihre Haltung zur Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine zu überprüfen. Das hat zu kritischen Reaktionen aus Moskau geführt. Sind die Russen in den Verhandlungen mit Ihnen darauf eingegangen?
Ich bin nicht überrascht, dass sich Russland kritisch darüber äußert. Die Russen konnten ohne große ukrainische Gegenwehr dort einmarschieren, Gebiete besetzen und die Krim annektieren. Wenn die Ukraine sich besser verteidigen kann, muss Russland das natürlich beunruhigen. Ich vermute, dass Russland gehofft hatte, es könne die Ukraine als Teil seiner Einflusssphäre behalten. In Wahrheit hat der russische Einmarsch nur dazu geführt, dass die Ukraine heute nationalistischer, geeinter und stärker westlich orientiert ist als früher. Den russischen Interessen hat das also nicht gedient, sondern sogar geschadet. Und es wird wohl noch schlimmer für sie kommen. Es könnte ein weiterer eingefrorener Konflikt für Russland werden. Ich glaube nicht, dass irgendjemand das will. Ich glaube, wir sollten darauf hinwirken, dass die Ukraine ihr Territorium zurückbekommt und die Sicherheit aller ukrainischen Bürger gewährleistet ist.
Apropos Territorium zurückbekommen: Es gibt Äußerungen wie die des deutschen FDP-Chefs Christian Lindner, der das Krim-Problem "einfrieren" will, bis der richtige Augenblick für eine Lösung kommt. Stimmen Sie dem zu?
Nein, ich stimme dem nicht zu. Ich sehe keinen Unterschied zwischen dem russischen Einmarsch und der Besetzung der Krim und des Donbass. Bei der Krim hat Russland jedoch gesagt, es annektiere die Halbinsel, es sollte also keine reine Besetzung sein, sondern sie nehmen die Halbinsel für sich. Ich finde, wir sollten nichts davon hinnehmen oder legalisieren. Beim Minsk-Abkommen geht es allerdings nur um die Ost-Ukraine. Und wenn wir hier Fortschritte erzielen, müsste das überall möglich sein. Ich glaube aber, Fortschritt in einem Punkt sollte nicht Bedingung für Fortschritt woanders sein.
In einem Interview vor kurzem haben Sie die Vorstellung, dass die Ukraine ihr Atomprogramm wieder aufnehmen könnte, als "schlechte Idee" bezeichnet.
Das wäre auf jeden Fall eine schlechte Idee. Atomwaffen zu haben ist für die Ukraine einfach keine realistische Option, und es würde auch ihre Sicherheit nicht erhöhen, wahrscheinlich sogar im Gegenteil. Ich finde, es ist ein Versagen der Staatengemeinschaft und zunächst einmal russisches Versagen, wenn Russland in der Ukraine einmarschiert und sich ukrainisches Territorium nimmt, dass aber die USA, Großbritannien, Frankreich und die gesamte internationale Gemeinschaft erst Sicherheitsgarantien abgibt, sie aber dann nicht einlöst. Es ist also wichtig, dass wir das nicht aufgeben und stattdessen die territoriale Integrität der Ukraine wiederherstellen und die Sicherheit seiner Bürger gewährleisten.
Der Diplomat Kurt Volker wurde im Juli dieses Jahres von US-Außenminister Rex Tillerson zum Sonderbeauftragten für die Ukraine-Verhandlungen ernannt.
Das Gespräch führte Dmytro Kaniewski.