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Nicht wegsehen

Julia Mahncke1. Juni 2014

Über eine Internetseite können Reisende melden, wenn Sie im Ausland Zeugen sexueller Ausbeutung geworden sind. Deutschland will mithilfe der Hinweise verstärkt gegen illegalen Sextourismus vorgehen.

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Symbolbild - Prostitution in Brasilien (Foto: Getty Images)
Bild: Getty Images

Wie viele es sind, lässt sich nicht überprüfen, aber sie existieren zweifelsohne: Urlauber, die gezielt in andere Länder fahren, um dort in größtmöglicher Anonymität Sex mit Minderjährigen zu haben. Das Risiko, entdeckt zu werden, ist gering, sagt der Kriminologe Christian Pfeiffer. Behörden vor Ort, etwa in beliebten asiatischen Reiseländern, seien teilweise korrupt und nicht an einer Aufklärung interessiert. Beweise zu sammeln sei schwierig, wenn nicht unmöglich.

Theoretisch steht der Strafverfolgung aber nichts im Weg. Das deutsche Recht erlaubt es deutschen Behörden, gegen Täter zu ermitteln, wenn sie sich wieder in der Heimat befinden - auch wenn die Straftat in Thailand, Kenia oder Tschechien begangen wurde. Oder in Brasilien.

Am 12. Juni 2014 beginnt dort die Fußball-Weltmeisterschaft. Viele Hilfsorganisationen sind davon überzeugt, dass die Fälle von Kindesmissbrauch und Kinderprostitution während des Megaevents noch zunehmen werden. UNICEF schätzt, dass in Brasilien über 250.000, weltweit Millionen Kinder sexuell ausgebeutet werden. Das Bundeskriminalamt, die Kinderrechtsorganisation ECPAT und zwei deutsche Tourismusverbände haben nun mit nicht-wegsehen.net pünktlich vor der Hauptferienzeit und der Fußball-WM in Brasilien eine Internetplattform online geschaltet, über die Zeugen illegale Aktivitäten melden können. Über ein Formular auf der Seite können Reisende angeben, wo sie wen und was beobachtet haben.

Screenshot von nicht-wegsehen.net
Nicht-wegsehen.net sammelt Hinweise auf sexuelle Ausbeutung im AuslandBild: Getty Images

Zwei Schaltflächen sind auf der einfach gehaltenen Internetseite zu sehen: Über ein Kontaktformular können Zeugen von Straftaten im Ausland Daten an das Bundeskriminalamt senden. Dieses wird den Hinweisen nachgehen und beispielsweise Kontakt zu den Ermittlern vor Ort aufnehmen. Sind sich Urlauber nicht sicher, ob sie tatsächlich eine Straftat beobachtet haben, können sie über eine zweite Schaltfläche Informationen an ECPAT senden. Die Kinderrechtsorganisation sammelt die Daten, um so die Vorgänge rund um Sextourismus und Kindesmissbrauch besser zu verstehen.

"Wir legen eine Datenbank an und wenn wir viele kleine Puzzleteile haben, ergibt sich ein großes Bild", erklärt Dorothea Czarnecki, die bei ECPAT für nicht-wegsehen.net verantworlich ist. Denn die Erfahrungen zeigen: Immer wieder ändern sich Ort und Art der Kontaktaufnahme zu Kindern. Thailand ist für manche Sextouristen schon zu gefährlich geworden, sie befürchten, dort aufzufallen und weichen deshalb etwa nach Kambodscha aus, erklärt Czarnecki. Wenn Hotels zu bekannt werden, sind es als nächstes möglicherweise Ferienapartments, in denen illegale sexuelle Dienstleistungen angeboten werden. "Wenn sich Hinweise über einen Ort häufen, können wir uns auf Prävention in den aktuellen Risikogebieten konzentrieren", so Czarnecki. Zum Beispiel würden Partnerorganisation in der Region kontaktiert. Diese können betroffenen Kindern Schutz bieten, sie beraten, medizinisch versorgen und im besten Fall sogar ausbilden, um ihnen zu ermöglichen, auf sicherere Art Geld zu verdienen.

Dorothea Czarnecki von ECPAT Deutschland e.V. (Foto: Photo-Werk Berlin)
Dorothea Czarnecki ist bei ECPAT Deutschland e.V. für die Meldeplattform zuständigBild: Photo-Werk Berlin

Am Besten kombinieren: Strafverfolgung und Prävention

Die Prävention liegt auch Max Weber am Herzen. Hinter dem Pseudonym verbirgt sich ein etwa 30-Jähriger, der sich zu Kindern hingezogen fühlt. Er hat seine sexuelle Neigung unter Kontrolle und ist einer der Verwantwortlichen für das Online-Beratungsangebot schicksal-und-herausforderung.de. Zu der neuen Meldeplattform sagte er im Gespräch mit der DW: "Bei Straftätern anzufangen hat immer den Nachteil, dass man da anfängt, wo schon etwas passiert ist. Aus meiner Sicht ist Primärprävention immer vorzuziehen. Aber natürlich gehört es auch dazu, dass Täter bestraft werden." Weber begrüßt deshalb die Initiative des Bundeskriminalamts und auch die Verlinkung auf dem Meldeportal zu dem Präventionsnetzwerk "Kein Täter werden". "So werden auch gleich Menschen angesprochen, die - wie ich - merken, dass sie sich von Kindern angezogen fühlen und die dort Hilfe bekommen, falls Sie welche benötigen."

Das Bundeskriminalamt kann nur gegen deutsche Verdächtige ermitteln. Deshalb ist nicht-wegsehen.net Teil eines europäischen Projekts. Insgesamt 16 Länder sind an der Kampagne "Don't look away!" beteiligt, die auf Mithilfe von Reisenden setzt. Auch Österreich, die Schweiz und die Niederlande haben schon eigene Online-Präsenzen.

Kriminologe Christian Pfeiffer (Foto: dpa)
Christian Pfeiffer ist Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen e.V.Bild: picture-alliance/dpa

Der Zeitpunkt und die Zielrichtung der Kampagne seien mit Blick auf die Fußball-WM absolut richtig gewählt, meint Kriminolge Pfeiffer. "Im Augenblick sind die brasilianischen Behörden sicher bemüht, guten Willen zu zeigen, weil sie gute Gastgeber sein möchten." Dass sie unter Druck stünden, sei ein Vorteil für die Zusammenarbeit mit deutschen Ermittlern. "Ob nach der WM davon noch etwas übrig bleibt, muss man allerdings abwarten", wägt der Experte ab.