Blick ins Gehirn
31. Mai 2014Ein Verbund aus fünf Forschungsstandorten sucht deutschlandweit nach den Ursachen für Pädophilie. Dabei arbeitet die Sektion Sexualmedizin am Kieler Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) als einzige mit der Magnetresonanztomographie (MRT), einem bildgebenden Verfahren, das Schnittbilder von Körperteilen erzeugt. Damit lässt sich direkt in das Gehirn von Probanden schauen.
Auch wenn die internationale Forschung durch Frankreich, Kanada oder Skandinavien vorangetrieben wird: Zur Funktion des Gehirns von Pädophilen gebe es nur wenige Studien, sagt der Psychologe und Psychotherapeut Jorge Ponseti. "Die MRT bietet da ideale Voraussetzungen zur Untersuchung von Hirnaktivität und Hirnstruktur. Das Wunderbare ist, dass wir - ohne den Kopf aufschneiden zu müssen - mit hoher räumlicher Genauigkeit sagen können, welche Hirnareale gerade aktiver sind und welche nicht. Die Auflösung, die man da im Augenblick hat, ist etwa ein Millimeter."
Intelligenzquotient unter dem Durchschnitt
Der Einsatz der MRT hat das Wissen über die Pädophilie vervielfacht. Für Sexualmediziner gibt es inzwischen typische Merkmale, die auf einen solchen Befund hinweisen: "Pädophile zeigen eine Reihe von neuropsychologischen Auffälligkeiten", sagt Ponseti. "Ihr Intelligenzquotient ist ungefähr acht Prozentpunkte niedriger als beim Durchschnitt."
"Es ist auch interessant, dass das Alter des Opfers mit dem IQ des Sexualstraftäters zusammenhängt", sagt der Forscher. Also je dümmer der Straftäter, desto jünger das Kind." Außerdem gibt es Belege, dass Pädophile im Bevölkerungsdurchschnitt von der Körpergröße her kleiner sind - und kanadische Forscher fanden heraus, dass Pädophile doppelt so viele Kopfverletzungen in der Kindheit aufweisen wie andere.
Krankheit oder sexuelle Orientierung?
Bei ihren Studien setzen die Kieler Forscher streng auf Anonymität. Am Uniklinikum wurden dafür mit einer Hotline und per Internet entsprechende Möglichkeiten geschaffen. "Das war wichtig. Denn nicht jeder Pädophile wird auch zum Kindesmissbraucher - und damit zum Straftäter", sagt Ponseti. Der Wissenschaftler gibt zu, dass diese Unterscheidung aber manch einem leidgeprüften Elternteil nur schwer zu vermitteln sei.
Was viele nicht wissen: In der Sexualmedizin wird Pädophilie auch als psychische Störung und somit als Krankheit bewertet. Das trifft aber nur dann zu, wenn dieser Befund fremdes oder eigenes Leid verursacht. "Nach dem neuen, amerikanischen psychiatrischen Klassifikationssystem ist eine pädophile Störung dann gegeben, wenn ein Mensch mit einer sexuellen Neigung, die sich auf Kinder richtet, diese auch auslebt - oder zumindest darunter leidet, dass er sie hat", sagt Jorge Ponseti. "Wenn er diese Neigung lediglich hat, ohne zum Täter zu werden, kann man bei Pädophilie auch von einer sexuellen Orientierung sprechen."
Pädophile Männer und gesunde Vergleichspersonen im Test
Ihre Erkenntnisse haben Ponseti und Kollegen nun in den "Biology Letters" der britischen Royal Society veröffentlicht. Bei der neusten Studie zeigten sie Pädophilen und gesunden Personen Gesichter unterschiedlich alter Menschen. Mit dem Ergebnis: Pädophile zeigten mehr Aktivität in gesichtsverarbeitenden Hirnarealen, wenn sie Kindergesichter anschauten. Bei den gesunden Erwachsenen dagegen erhöhte sich die Aktivität in dieser Hirnregion, wenn sie Gesichter aus der von ihnen sexuell bevorzugten Gruppe sahen.
"Offenbar haben menschliche Gehirne einen Mechanismus, mit dem sie das Alter einer Person am Gesicht einschätzen können und dementsprechend unterschiedliche Verhaltensprogramme aktivieren", sagt Ponseti. Das sei bei Pädophilen ein analoges Muster, eben nur unter anderen Vorzeichen.
Belohnungszentrum wird aktiviert
Schon vor rund zwei Jahren hatten die Kieler Wissenschaftler einen ähnlichen Test im Neurozentrum des Uniklinikums gemacht. Dort lagern auch Computerbilder, die von Untersuchungen sexuell erregter Hetero-Probanden stammen. Die Aufnahmen zeigen aktive Hirnregionen, die nach starker Blutzufuhr und durch hohen Sauerstoffgehalt intensiv rot-orange leuchten.
"Man sieht auf diesen Aufnahmen gut das Belohnungszentrum", erläutert Forscher Ponseti. "Im Bereich der Sehrinde, weiter unten, findet eine verstärkte visuelle Analyse statt, sobald ein erwachsener Hetero-Mann eine altersentsprechende Frau sieht. Und in genau denselben Arealen aktivieren nun pädophile Männer ihr Hirn, wenn sie ein nacktes Kind sehen."
Um das zu testen, wird jedem in der Röhre liegenden Probanden ein Mix unterschiedlicher Bilder gezeigt. Dabei wechseln Autos, Häuser oder Urlaubszenen mit Abbildungen, die dem sexuellen Reizmuster des Pädophilen entsprechen. Das MRT-Bild zeigt jedoch zunächst nur die typischen schwarz-weißen Klötzchen. Erst über einen komplizierten Algorithmus kommen die Sexualmediziner zur Auswertung.
Pädophil - ja oder nein?
"Wir rechnen die Aktivierung eines einzelnen Hirns im Verhältnis zu einer durchschnittlichen Gruppenaktivierung. So bekommen wir eine Zahl - eine Art Pädophilie-Maß", erläutert der Forscher das Verfahren. "Im Vergleich mit anderen Probanden erkennen wir dann, ob der Betreffende pädophil ist oder nicht. Und da lagen wir vor zwei Jahren in 95 Prozent der Fälle richtig", sagt Ponseti - nicht ohne Stolz.
Neben der Hirnaktivität suchen die Forscher über andere bildgebende Verfahren auch nach einer veränderten Hirnstruktur. Und sie testen über spezielle Programme an Tablet-PCs die Impulsivität und Empathiefähigkeit. "Wenn wir dazu noch das Blut untersuchen und so zu genetischen und Neurotransmitter-Analysen kommen", so Psychiologe Ponseti, "wird es uns vielleicht gelingen, dem Rätsel der Pädophilie auf die Spur zu kommen. Denn allein mit der MRT können wir lediglich sagen, wer pädophil ist - aber leider nicht, warum!"
Für Therapieplanung sind weitere Tests nötig
Ob aber mittels der Hirnreaktion eine objektive Diagnose der Pädophilie möglich ist, wollen die Forscher nun weiter untersuchen. Der praktische Nutzen könnte Posenti zufolge in Zukunft dann einmal in der Therapieplanung liegen.