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Unterstützung für Neonazi-Opfer

Andrea Grunau12. November 2013

Wenn Rechtsextreme zugeschlagen haben, bleiben Opfer und Angehörige meist hilflos zurück. Für sie setzt sich die Beratungsstelle Back Up in Dortmund ein und unterstützt so auch die Ermittlungen der Polizei.

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Politiker und Angehörige legen am Mahnmal zum Gedenken an die Todesopfer des NSU-Terrors Blumen nieder - (Foto: Federico Gambarini/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Für viele kam Back Up zu spät, für andere gerade rechtzeitig, um wenigstens nach dem Angriff von Rechts Hilfe zu bekommen. Back-Up-Leiterin Claudia Luzar erinnert im DW-Interview an einen ihrer ersten Fälle: Am 26. November 2011 pöbelten auf dem Dortmunder Weihnachtsmarkt vier Männer aus der Neonazi-Szene gegen zwei türkischstämmige Jugendliche: "Was guckst du so, du Bastard?" Sie schlugen den Jugendlichen ins Gesicht und stießen sie zu Boden. Dann traten sie auf ihre Opfer ein und zerschlugen auf dem Kopf eines der Jungen eine Flasche.

Zeugen finden, die sich bei der Polizei nicht melden

Gewalt von Rechts ist in der nordrhein-westfälischen Großstadt Dortmund und Umgebung kein Einzelfall. Back Up sei gezielt in dieser Region gegründet worden, sagt Luzar: "Hier gibt es die Demonstrationen, Kameradschaftstreffen, Konzerte, die rechtextremen Ideologen und rechtsextreme Gewalt."

Folgen rechter Gewalt

Auch die Angreifer vom Weihnachtsmarkt waren bekannt. Der erste Schlag kam von Sven K. aus der Skinhead-Szene, der schon 2005 als 17-Jähriger einen Punk getötet hatte - mit einem Messerstich ins Herz. Er kam wegen Totschlags ins Gefängnis, wurde aber vorzeitig entlassen. 2011 schlug er auf dem Weihnachtsmarkt zu. Danach wurden er und seine Mittäter zwar gefasst, doch es gab zunächst keine Zeugen. Back Up startete einen Aufruf - und hatte Erfolg.

Erst durch die Vermittlung der Beratungsstelle fand man Zeugen, das bestätigt auch der Dortmunder Polizeipräsident Norbert Wesseler: Menschen, "die sich, weil sie möglicherweise das Vertrauen zur Polizei nicht hatten, bei Back Up meldeten". So habe man diese Straftat aufklären können. Wesseler sagt, mittlerweile gebe es eine "sehr gute, enge Zusammenarbeit mit der Opferberatungsstelle". Die Polizei verweise Opfer an Back Up und arbeite daran, gerade die Polizisten für rechtsextreme Gewalt zu sensibilisieren, die zuerst an Einsatzorte gerufen werden.

Nach dem Neonazi-Angriff auf dem Weihnachtsmarkt 2011 begleitete die neu gegründete Opferschutzorganisation die verletzten Jugendlichen und ihre Eltern zur Polizei. Back Up vermittelte auch einen Psychologen. Ein Opfer war immer wieder nachts aufgewacht, hatte die Gewalterfahrung ständig vor Augen, voller Angst, dass die Täter wieder zuschlagen könnten.

Rechte Gewalt vor Gericht

Auch beim Gerichtsprozess betreute Back Up die Familien. Die Strafverfolgung sei für Betroffene sehr wichtig, sagt Claudia Luzar: Opfer wollten, dass die Wahrheit bekannt wird und die Täter zur Verantwortung gezogen werden.

Mittlerweile hat Back Up schon mehr als 150 Opfer rechter Gewalt betreut. Neben Menschen mit Migrationshintergrund waren das vor allem politische Gegner der Rechten, wie Kirchenvertreter, Gewerkschafter oder alternative Jugendliche, aber auch Obdachlose, Homosexuelle und Menschen mit körperlicher oder geistiger Einschränkung.

"Sie sind zu spät"

Intensive Betreuung und Hilfe wie die von Back Up hätte auch die Familie von Mehmet Kubasik dringend gebraucht, sagt seine Tochter Gamze Kubasik. Der Kioskbesitzer wurde im April 2006 in seinem Geschäft erschossen. Nach dem Mord litt Gamze Kubasik unter falschen Verdächtigungen gegen ihren Vater. Heute gilt er als achtes Mordopfer der Rechtsterroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), doch damals ermittelte die Polizei gegen ihn.

Mehmet Kubasik mit Tochter und Sohn im Kiosk (Foto: privat)
Mehmet Kubasik (li.) mit Tochter und Sohn im KioskBild: privat

Auch Dilek Özcan hat ihren Vater durch den NSU-Terror verloren. Ismail Yasar wurde im Juni 2005 in seinem Imbiss in Nürnberg in Bayern mit fünf Schüssen ermordet. Back Up betreut die Familienangehörigen Yasars, die in Nordrhein-Westfalen leben, bis heute. Die Helfer organisieren und begleiten auch Reisen von Dilek Özcan zum NSU-Prozess nach München.

Die Eröffnung der Beratungsstelle Back Up wurde vor dem Auffliegen der NSU-Mordserie im November 2011 geplant. Kurz danach nahm das Back-Up-Team die Arbeit auf. Leiterin Claudia Luzar suchte Kontakt zu den NSU-Opferfamilien: "Familie Kubasik meinte, 'Sie sind zu spät' - es hat mir im Herzen weh getan. Die deutsche Gesellschaft und wir als Back Up sind in der Tat zu spät." Es sei gut und wichtig, dass es Back Up heute gibt, sagt Gamze Kubasik: "Ich möchte nicht, dass man die Opfer alleine lässt."

Rechte Gewalt macht Opfern und ihren Angehörigen Angst und belastet die Betroffenen über viele Jahre, das schildert Dilek Özcan, Mutter von drei Kindern, in einem Tagebuch zum NSU-Prozess für das Magazin Neon: "Neonazis haben meinen Vater erschossen. Weil er Türke war, es gab keinen anderen Grund. Ich habe Angst um meine Kinder. Auch sie haben türkische Namen und schwarze Haare." Angst zu verbreiten, gilt als wichtiges Motiv von Rechtsextremisten. Back Up versucht, den Opfern diese Angst zu nehmen.

Rassismus als Tatmotiv

"Rechtsextreme Gewalt gab es lange vor dem NSU und genauso danach", mahnt Claudia Luzar. Sie selbst engagierte sich schon als Studentin gegen Rechtsextremismus, damals noch in Ostdeutschland. 1998 gründete sie mit anderen Ehrenamtlichen die "Opferperspektive Brandenburg", die als erste Opferberatungsstelle gilt. In Westdeutschland habe man das Problem lange unterschätzt, meint sie. Back Up ist hier bis heute eine von ganz wenigen Beratungsstellen für Betroffene und muss jährlich neu um die Finanzierung kämpfen.

Aus den Erfahrungen der Opfer sollte die ganze Gesellschaft lernen und sich gegen Rechtsextremismus positionieren, das wünscht sich Claudia Luzar. Back Up setzt sich deshalb auch gegen Rassismus ein. Eine wachsende Sensibilität für rechtsextreme Gewalt sei bei der Polizei zu beobachten, die Justiz dagegen tue sich noch oft schwer, eine Tat als rechtsextrem motiviert zu werten, sagt sie. Für Opfer sei das "ein weiterer Schlag ins Gesicht".

Ein Justizbeamter nimmt einem Angeklagten im Gericht die Handschellen ab - (Foto: Daniel Naupold)
Angeklagter im Prozess um Weihnachtsmarkt-Prügelattacke: "Was guckst du so, du Bastard?"Bild: picture-alliance/dpa

Back-Up-Leiterin Luzar ist Politikwissenschaftlerin und hat die Motivation von Rechtsextremisten erforscht. Wichtigste Erkenntnis für sie: Überall, wo sie auftauchten, ob in einer Gastwirtschaft oder auf einem Volksfest, versuchten sie, Räume zu erkämpfen, Gewalt und rechtsextreme Ideologie seien nicht zu trennen. Ein Rechtsextremist habe ihr gesagt, er sei immer "als Söldner da".

Das Urteil gegen die Weihnachtsmarkt-Täter, die im Gerichtssaal lachten und rechte Symbole zur Schau trugen, fiel im Januar 2013. Sven K. wurde zu 21 Monaten Haft verurteilt, zwei Mittäter erhielten ebenfalls Haftstrafen. Wie schon beim Prozess um den tödlichen Messerangriff auf den Punk sahen die Richter kein rechtsextremes Tatmotiv, obwohl die Staatsanwaltschaft von einem fremdenfeindlichen Hintergrund ausgegangen war.

Back Up für die Opfer, Come Back für Aussteiger

Claudia Luzar hat inzwischen ein neues Projekt angestoßen: Back Up - Come Back. Der neue Verein soll sich um die kümmern, die die rechte Szene verlassen und zurückkommen in die Gesellschaft. Auch manche Aussteiger würden Opfer rechter Gewalt und dann von Back Up betreut, sagt Luzar. "Wir lehnen die Rechtsextremen nicht als Menschen ab, wir lehnen deren rechtsextremes Weltbild ab", erklärt die Back Up-Leiterin: "Wir reichen jedem die Hand, der aussteigen will aus dieser Szene." Ihr Gedanke dabei: Je mehr Rechtsextremisten aussteigen, desto weniger Opfer gibt es.