Ungarn: Orban weiter auf Konfrontationskurs mit EU
22. Dezember 2023Gerade war es eine Zeit lang stiller geworden um Viktor Orban. Doch dann hielt Ungarns Premier die Europäische Union wieder einmal wochenlang in Atem und sorgte für so viele Schlagzeilen wie kein anderer Regierungschef des Brüsseler Klubs. Im Vorfeld des historischen EU-Gipfels vergangene Woche (14./15.12.2023) beschimpfte er die Union nahezu täglich wegen einer vermeintlichen Migrations- oder Genderpolitik, die angeblich einen europäischen Bevölkerungsaustausch bezwecke oder alle traditionellen Familienwerte zerstören wolle. Und: Er drohte, gegen den geplanten Beginn von EU-Beitrittsgesprächen mit der Ukraine ein Veto einzulegen - wie auch gegen die Unterstützung des von Russland überfallenen Landes mit Mitteln aus dem EU-Haushalt.
Die Veto-Entscheidungen stünden fest, sie seien grundsätzlich und nicht verhandelbar, ließ Orban im Vorfeld des Gipfels mehrfach verlauten. Doch wie so oft hatte er nur gepokert, jedenfalls im Falle des einen Vetos. Als die EU-Regierungschefs über den Beginn von Beitrittsgesprächen mit der Ukraine abstimmten, verließ Orban kurz den Saal, eine Art Enthaltung und ein Trick, den sich der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz zur Gesichtswahrung des ungarischen Premiers ausgedacht hatte.
Offiziell nicht im Gegenzug, sondern nur parallel dazu erhielt Orban die Zusage, dass die EU zehn Milliarden Euro Fördergelder für Ungarn freigeben werde. Seit 2021 sind knapp 22 Milliarden Euro EU-Fördergelder für Ungarn eingefroren, wegen Rechtsstaatsmängeln im Land und Korruptionsvorwürfen gegen die ungarische Regierung. Die Freigabe einer Teilsumme begründete die EU nun damit, dass Ungarn inzwischen erhebliche Fortschritte beim Kampf gegen Korruption und bei der Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit gemacht habe.
Behörde für Souveränitätsschutz
Die Versicherungen aus Brüssel, dass es kein Pokerspiel und keinen Deal mit Orban gegeben habe, mag kaum ein Kenner des Verhältnisses zwischen der EU und Ungarn glauben. Doch nicht nur das: Die Ankündigung, wegen Rechtsstaatsfortschritten fast die Hälfte der eingefrorenen Fördergelder für Ungarn freizugeben, kommt ausgerechnet in einem Augenblick, in dem in Ungarn ein Gesetz auf den Weg gebracht wurde, mit dem praktisch jegliche Kritik am System Orban auf simple Weise mundtot gemacht werden kann - das sogenannte Souveränitätsgesetz.
Verabschiedet hat das Gesetz Anfang vergangener Woche (13.12.2023) Ungarns Parlament auf Initiative der Orban-Regierung. Das Gesetz verbietet zum einen jegliche Parteien- und Wahlkampffinanzierung aus dem Ausland, darunter auch geringfügige private Einzelspenden oder Spenden, die von Organisationen oder Unterstützerplattformen für Parteien gesammelt werden. Zugleich wird durch das Gesetz ein "Amt für den Schutz der Souveränität" gegründet. Die Behörde soll kontrollieren, ob Parteien, zivile Organisationen und Einzelpersonen Ungarns nationale Souveränität verletzen. Sie erhält dafür praktisch uneingeschränkte Zugriffsrechte auf alle Arten von Daten untersuchter Organisationen und Personen. Auf Grundlage der "Souveränitätsberichte" der Behörde können Ermittlungs- und Strafverfahren gegen Organisationen und Personen eröffnet werden.
Jegliche Kritik am Pranger
Bisher ist unklar, welche Art von Sanktionen verhängt werden können, wenn festgestellt wird, dass eine Organisation oder Person die ungarische Souveränität verletzt. Klar ist aber, dass das Gesetz die Möglichkeit bietet, Kritiker des Systems Orbans öffentlich an den Pranger zu stellen, systematisch zu schikanieren und ihre personellen und finanziellen Ressourcen einzubinden, indem Behörden eine umfangreiche Kooperation bei Ermittlungen fordern.
Der Politologe Peter Kreko formulierte es in ungarischen Medien so: "Der Text ist so allgemein gehalten, dass jede Organisation, die eine Meinung zur Politik hat und internationale Beziehungen unterhält, in seinen Geltungsbereich fallen kann. Jeder kann zu einem unerwünschten Akteur werden, der die Souveränität bedroht."
Besonders brisant ist, dass weder das Gesetz noch der Begründungstext definiert, was "nationale Souveränität" bedeutet oder in welchen Handlungen konkret ihre Verletzung bestehen könnte. Der Text des Gesetzes ist so vage gehalten, dass selbst Medien, die Spenden aus dem Ausland erhalten, kriminalisiert werden könnten. Betroffen wären insbesondere Investigativmedien wie das Portal Direkt36. Dessen Journalisten haben in den vergangenen Jahren Dutzende schwerwiegende Gesetzesverletzungen und Korruptionsaffären der Orban-Regierung und ihres Umfeldes aufgedeckt. Für Ungarns Premier und seinen Machtzirkel so unangenehm, dass einer der Mitarbeiter von Direkt36 2019 über einen längeren Zeitraum mit der berüchtigten Spionagesoftware Pegasus ausgespäht wurde.
Vorbild Russland
Ein derartiges Gesetz ist in der EU beispiellos. Ein Vorbild findet sich in Russland: Mit dem "Ausländische-Agenten-Gesetz" von 2012 werden dort Zivilorganisationen verboten und Privatpersonen kriminalisiert. Schon einmal versuchte Orban sich an einer ungarischen Version: Er wollte Zivilorganisationen gesetzlich verpflichten, sich ab einer bestimmten Schwelle ausländischer Zuwendungen als "ausländisch finanziert" zu bezeichnen. Das Gesetz wurde im Juni 2020 vom Europäischen Gerichtshof für rechtswidrig erklärt. Das jetzige Souveränitätsgesetz ist eine Art erweiterte und verschärfte Neuauflage.
Orban selbst äußerte sich inzwischen in nonchalanter und gespielt provokativer Weise zu dem Gesetz. Eigentlich legt er als Regierungschef und Politiker explizit Wert auf Klarheit und Präzision. Doch auf seiner großen Jahresendpressekonferenz am Donnerstag (21.12.2023) antwortete er auf die Frage, wer von dem Gesetz betroffen sein könnte und ob es sich auch auf Journalisten und Medien beziehe so wolkig, wie das Gesetz selbst gehalten ist. Es gebe bisher bloß Befürchtungen, er selbst aber, so Orban, lebe nicht "im Schatten der durch meine Person entfachten Ängste". Man wisse nicht, ob das Gesetz in der Praxis fehlerfrei funktionieren werde, das werde sich zeigen, so Orban lächelnd.
Veto-Ankündigung und rhetorische Keule
Ungarns Premier ging ansonsten weiter auf Konfrontationskurs mit der Europäischen Union. Er kündigte an, dass er sein Veto gegen eine Unterstützung der Ukraine aus dem EU-Haushalt einlegen werde. Es geht dabei um 50 Milliarden Euro für die kommenden fünf Jahre. Ungarn werde dem nicht zustimmen, sagte Orban - die EU-Staaten, die die Ukraine unterstützen wollten, könnten sich zusammentun und eine Finanzierung abseits des EU-Haushaltes organisieren.
Auch rhetorisch blieb Orban so aggressiv wie bisher. Brüssel sei blind für die realen europäischen Probleme, sagte er, und Ungarn werde von der EU "erpresst". Den Krieg in der Ukraine nannte er eine "Militäroperation", da Russland der Ukraine formal nicht den Krieg erklärt habe. Westliche Länder hätten - anders als Ungarn - zahlreiche Demokratiedefizite. Wenn all diese Defizite in Ungarn geschehen würde, behauptete Orban ironisch, "hätten vielleicht schon die NATO-Truppen interveniert".