EU-Gipfel zu Ukraine-Hilfen beginnt: Ungarn blockiert
14. Dezember 2023"Es steht 26 zu eins gegen Ungarn", fassten EU-Diplomaten die Ausgangslage für den EU-Gipfel zusammen. Nur der ungarische Premierminister Viktor Orban lehnt weitere Schritte zur Aufnahme der Ukraine und Moldaus in die Europäische Union ab. Ebenso lehnt er eine langfristige Finanzierung der Ukraine-Beihilfen aus dem gemeinsamen Haushalt ab. 26 zu eins steht es auch bei den Kontakten zum russischen Machthaber Wladimir Putin, der die Ukraine vor 18 Monaten angegriffen hat. Nur Viktor Orban unterhält in der EU immer noch glänzende Kontakte zu Putin: Ungarn importiert den größten Teil seines Erdgases und Erdöls aus Russland, der russische Energiekonzern Rosatom ergänzt das ungarische Kernkraftwerk Peks um zwei neue Reaktoren.
Suche nach Konsens
Bundeskanzler Olaf Scholz versuchte, den ungarischen Kollegen bei einem gemeinsamen Frühstück vor dem Gipfel zum Einlenken zu bewegen. Ob er etwas erreichen konnte, wollte Scholz wartenden Journalisten nicht verraten: "Es ist uns wichtig, dass wir jetzt die Weichen stellen, die den Erweiterungsprozess voranbringen, und dass das auch eine Entscheidung ist, die von allen Mitgliedsländern getragen wird." Darüber werde man jetzt intensiv sprechen, so Scholz.
Dabei gehe es nicht nur um die Ukraine und Moldau, sondern auch um die sechs Westbalkan-Staaten, mit denen sich die EU bereits am Mittwoch beraten hatte. "Es ist etwas Besonderes, dass wir es nun voranbringen, dass die Staaten des Westbalkans nun nach fast 20 Jahren mal es schneller es schaffen, Mitglied der Europäischen Union zu werden", sagte Scholz. Eine Umfrage hat kürzlich ergeben, dass die EU-Bürger einer Erweiterung mehrheitlich positiv gegenüberstehen.
Erwartungen, Deutschland als größter Nettozahler der EU werde höheren Ausgaben im EU-Haushalt in den nächsten vier Jahren zustimmen, erteilte der Kanzler eine Absage. Nur eine Ausnahme soll es geben: Deutschland will dem Vorschlag der EU-Kommission folgen, dass 50 Milliarden Euro an Beihilfen und Krediten für die Ukraine im EU-Haushalt reserviert werden.
"Ukraine erfüllt Bedingungen nicht"
Viktor Orban, auf dem heute alle Augen in Brüssel ruhen, gab sich vor der Presse locker und vertrat die Ansicht, dass es zum Aufnahmeersuchen der Ukraine eigentlich gar nichts zu verhandeln gebe: "Erweiterung ist keine theoretische Übung. Erweiterung ist ein rechtlicher, auf Leistung beruhender Prozess, der seine Bedingungen hat", sagte der ungarische Premier. "Selbst die Überprüfung durch die EU-Kommission hat ergeben, dass drei der sieben Bedingungen nicht erfüllt sind. Es gibt keinen Grund, die Mitgliedschaft der Ukraine jetzt zu verhandeln."
Der nationalkonservative Politiker, der seit 2010 zunehmend autokratisch in Budapest regiert, bezog sich auf den "Fortschrittsbericht" der EU-Kommission vom November. Dort sind in der Tat sieben "Schritte" zur Mitgliedschaft benannt, von denen drei noch nicht vollständig umgesetzt sind. Von absoluten Voraussetzungen ist dort allerdings nicht die Rede. Die EU-Kommission empfiehlt ausdrücklich die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen im Jahr 2024. Die EU-Staats- und Regierungschefs sollen heute - möglichst mit Ungarn - nur über ein Datum für den Start der formellen Verhandlungen entscheiden.
"Zeichen an Putin"
"Die Ukraine hat sehr hart gearbeitet, um diesen nächsten Schritt während des laufenden Krieges zu machen", lobt der scheidende niederländische Ministerpräsident Mark Rutte. "Den Krieg ficht die Ukraine nicht für sich allein, sondern auch für und unsere Werte." Die Ukraine müsse jetzt ein klares Zeichen der Solidarität erhalten. Außerdem sei allen klar, dass es zu einem wirklichen Beitritt zur Europäischen Union noch "viele Jahre" dauern werde.
Auch Bundeskanzler Scholz sprach sich für ein Zeichen an die "mutigen Bürgerinnen und Bürger der Ukraine" aus. Und er sprach auch von einem Zeichen an Moskau, wo Wladimir Putin zeitgleich eine lange Pressekonferenz gab: "Ein Zeichen an den russischen Präsidenten, der wissen muss, dass er nicht damit rechnen kann, dass die EU-Staaten nachlassen bei der Unterstützung der Ukraine", sagte Scholz.
"Ungarn will kein Geschäft machen"
Am Mittwoch hatte die EU-Kommission zehn von dreißig Milliarden Euro für Ungarn freigegeben, die sie wegen gravierender Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit zurückgehalten hatte. War das Geld dazu gedacht, Viktor Orbans Widerstand zu brechen? Der ungarische Premier bestritt das heute morgen: "Ungarische Angelegenheiten haben nichts mit der Ukraine oder anderen Themen zu tun", sagte Orban. Er sei nicht in Brüssel, um zu feilschen, Deals auszuhandeln oder Geschäfte zu machen. Allerdings hatte ein enger Berater Orbans gesagt, eine Voraussetzung für Ungarns Einlenken im Streit um die Ukraine sei, dass die gesamten 30 Milliarden Euro für die nächsten vier Jahre freigegeben würden.
Selbst wenn Ungarn bei seiner Blockadehaltung bleibt und die benötigten 50 Milliarden Euro für die Ukraine nicht in den EU-Haushalt integriert werden könnten, heiße das nicht, dass kein Geld mehr nach Kiew überwiesen werden könne, machten EU-Beamte deutlich. Die Mittel für das nächste Jahr seien im regulären Haushalt bereits vorhanden. Die Gelder für die Jahre danach müssten allerdings willige EU-Mitglieder außerhalb des ordentlichen Haushalts aufbringen - zum Nachteil der Planungssicherheit der Ukraine.
Polen und Slowakei gegen Ungarns Haltung
Litauens Präsident Gitanas Nauseda stellte das bei Europäischen Gipfeltreffen herrschende Konsensprinzip in Frage. Es verlangt, dass die Vertreter aller Mitgliedstaaten einer Entscheidung zustimmen müssen. Litauen als kleines Land profitiere zwar wie Ungarn von der Einstimmigkeit, weil das Prinzip einem Veto-Recht gleichkomme. "Wir sollten dieses Prinzip aber nicht missbrauchen, sondern es korrekt und fair anwenden", mahnte Nauseda.
Einen wichtigen Verbündeten hat Ungarns Premier Orban bei seinen Duellen mit der EU verloren. Der neue polnische Ministerpräsident Donald Tusk löste die bisherige EU-skeptische Regierung in Warschau ab. Er sagte bei seiner Ankunft in Brüssel, er freue sich wieder da zu sein. Polen in die Mitte der EU zurückzubringen, sei seine Aufgabe. Der Christdemokrat Tusk hatte fünf Jahre als EU-Ratspräsident amtiert.
Der neue Ministerpräsident der Slowakei Robert Vico, ein Rechtspopulist wie Orban, will den Ungarn in seiner Haltung gegen die Ukraine nicht unterstützen. Das erklärte Vico schon vor dem Gipfeltreffen. Er sei für die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit dem Nachbarland. Das Kräftemessen zwischen Viktor Orban und den übrigen 26 Staats- und Regierungschefinnen und -chefs hat begonnen. Ende offen.