Ungarn droht der Ukraine im Streit um Öl
26. Juli 2024Ungarn und die Slowakei beschweren sich bei der EU-Kommission in Brüssel über die Ukraine. Die Kommission solle bitte einen Streit mit dem Land über die Lieferung von russischem Erdöl beilegen, so die ungarisch-slowakische Forderung.
Ausgerechnet der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban, derzeit amtierender EU-Ratspräsident, der mit seiner selbsterklärten "Friedensmission" im russischen Krieg gegen die Ukraine für Unmut in der EU gesorgt hat, möchte also, dass die Union ihm jetzt hilft? Das hat in Brüssel bei der EU-Kommission für einige Verwunderung und recht kühle Reaktionen gesorgt.
Die Kommission, von Orban gern als Haufen inkompetenter, machthungriger Brüsseler Bürokraten beschimpft, prüft den Vorgang ohne große Eile und weist jegliche Ulitmaten aus Budapest zurück.
Was ist der Kern des Streits mit der Ukraine?
Die Ukraine verhindert seit Juni, dass die russische Ölgesellschaft Lukoil Erdöl durch die Druschba-Pipeline nach Ungarn und in die Slowakei pumpt. Die Pipeline mit dem schönen Namen "Freundschaft" stammt noch aus sowjetischen Zeiten und verläuft durch die Ukraine. Trotz des seit zweieinhalb Jahren tobenden russischen Angriffskrieges gegen das Land können staatliche russische Energieunternehmen weiter Öl und Erdgas durch Leitungen in der Ukraine schicken. Die Ukraine, seit rund einem Monat EU-Beitrittskandidat, begründet ihre neue Sanktion gegen Lukoil damit, dass mit den Einnahmen die russische Kriegsindustrie finanziert werde.
Über diese Sanktionen haben sich nun Ungarn und die Slowakei nun schriftlich bei der EU-Kommission beschwert. Der Vorgang verletze das Assoziationsabkommen mit der EU, so der ungarische Außenminister Peter Szijjarto. Die Kommission müsse daher gegen die Ukraine vorgehen.
Was sagt die EU-Kommission?
Der zuständige Sprecher der EU-Kommission in Brüssel, Olof Gill, teilte mit, dass man erst einmal mehr Fakten brauche, um die Lage zu beurteilen. Die zuständigen EU-Beamten hätten daher Ungarn und die Slowakei aufgefordert, zusätzliche Unterlagen einzureichen. Ob die Ukraine tatsächlich gegen das Assoziierungsabkommen, eine Art Freihandelsabkommen aus dem Jahr 2014, verstößt, entscheide die EU-Kommission - "und niemand sonst", betonte Gill.
Ungarn hatte gedroht, die Ukraine zu verklagen, sollte die Kommission nicht innerhalb von drei Tagen handeln. Aus der Kommission heißt es dazu, dass es noch keinen "Fall" gebe, es sei daher auch kein Gericht anzurufen.
Dass Ungarn nun ausgerechnet vor den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg ziehen könnte, stößt in der EU-Zentrale in Brüssel auf Erstaunen. Im Juni erst hatte Ministerpräsident Orban das höchste Gericht der EU als inkompetent bezeichnet und angekündigt, dessen Urteil nicht respektieren zu wollen. Dabei ging es um eine Strafe gegen Ungarn wegen unzureichender Asylverfahren.
Wieso bekommen Ungarn und andere EU-Mitglieder Öl aus Russland?
Seit Dezember 2022 ist in der EU ein allgemeines Importverbot für russisches Erdöl und seit Februar 2023 auch für Ölprodukte in Kraft. Es gilt sowohl für Pipelines als auch für Öl, das per Schiff angeliefert wird. Aber Ungarn, die Slowakei und Tschechien haben bei diesen Sanktionen vorläufige Ausnahmen vereinbart. Sie beziehen weiter einen großen Teil ihres Importöls aus Russland, weil sie wegen fehlender Infrastruktur keine anderen Lieferwege finden konnten.
"Um Öl bei anderen Quellen kaufen zu können, braucht man Leitungen. Wenn die nicht da sind und niemand uns hilft, sie zu bauen, können wir die Unabhängigkeit nicht genießen, die wir durch Diversifizierung hätten", sagte Ungarns Außenminister Szijjarto am Mittwoch in Budapest.
Aus der EU-Kommission in Brüssel hieß es dazu von EU-Beamten, Ungarn habe in den letzten zweieinhalb Jahren keine großen Anstrengungen unternommen, um sich von russischen Energielieferungen abzunabeln. Budapest könnte beispielsweise versuchen, mehr Lieferungen aus Kroatien zu erhalten oder mit anderen russischen Anbietern außer Lukoil zu verhandeln.
Bulgarien importierte bis März dieses Jahres per Schiff ebenfalls Öl aus Russland, um eine große Raffinerie zu betreiben. Auch diese Ausnahme wird von den übrigen EU-Staaten geduldet.
Droht Ungarn oder der Slowakei jetzt eine Öl-Krise?
Die staatliche ukrainische Energiefirma Naftogaz bestreitet eine ernsthafte Versorgungskrise. Die mit Sanktionen belegte Lukoil ist nicht die einzige russische Ölfirma, die die Pipeline befüllt. "Der Durchfluss im Juli ist ganz normal verglichen mit den Volumina der Vormonate, auch ohne Lukoil-Öl in der Leitung", sagte der Chef von Naftogaz, Oleksiy Chernysov, in Kiew. "Wir glauben nicht, dass es das Risiko einer Unterversorgung in Europa gibt. Es geht hier mehr um Politik."
Der ungarische Regierungssprecher Zoltan Kovacs führt dagegen an, dass "die Entscheidung der Ukraine die Ölversorgung zweier Mitgliedsstaaten fundamental einschränkt". Der slowakische Außenminister Juraj Blanar sagte, die Sanktionen der EU würden die Slowakei mehr schädigen als Russland. Sein Land wolle kein "politisches Werkzeug" in Händen der Ukraine sein.
Einige Experten kalkulieren, dass die Preise für Heizöl oder Benzin in beiden Ländern ansteigen könnten, falls der Streit andauert. Die Generaldirektion für Energie in der EU-Kommission weist darauf hin, dass Ungarn über eine strategische Ölreserve für 90 Tage verfüge, die angezapft werden könne, um Versorgungsengpässe zu vermeiden.
Die EU prüft, Ungarn droht der Ukraine - wie geht es weiter?
Wie lange die EU-Kommission brauchen wird, um den Fall zu prüfen, wollte ihr Sprecher nicht sagen. Ungarn hat damit gedroht, Zahlungen für Militärhilfen an die Ukraine aus einem gemeinsamen EU-Fonds weiter zu verhindern. Die ungarische Regierung blockiert seit mehr als einem Jahr die Auszahlung von sechs Milliarden Euro, mit denen Waffenlieferungen aus EU-Staaten in die Ukraine kompensiert werden. Diese Blockade ist also nicht neu.
Die jüngste ungarische Drohung allerdings, keinen Strom mehr durch das ungarische Leitungsnetz in die Ukraine zu liefern, könnte ein ernstes Problem für Kiew werden. Nach Einschätzung des Hohen Beauftragten der EU für Außenpolitik, Josep Borrell, sind 70 Prozent der Kraftwerke in der Ukraine durch russischen Beschuss zerstört.