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PolitikEuropa

EU startet Beitrittsgespräche mit Ukraine und Moldau

25. Juni 2024

Die Europäische Union eröffnet das lange Verfahren zum Beitritt für die Ukraine und auch für Moldau. Wie viele Jahre die Verhandlungen dauern werden, weiß niemand. Bernd Riegert aus Luxemburg.

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Collage aus den Flaggen der Ukraine, der Republik Moldau und der EU
Jetzt wird verhandelt: Die Ukraine und Moldau wollen so schnell wie möglich in die EUBild: Andre M. Chang/ZUMAPRESS/picture alliance

Der Rahmen für den Beginn der Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldau ist nicht gerade pompös. Im Luxemburger Konferenzzentrum auf dem Kirchberg gibt es weder feierlichen Blumenschmuck, musikalische Darbietungen noch eine fröhliche Party. Die Eröffnung der Regierungskonferenz der 27 EU-Mitglieder mit den Regierungen aus Kiew und Chişinău erinnert eher an einen spröden Verwaltungsakt als Anhängsel der regulären Sitzungen des Ministerrats, die im Juni, Oktober und April immer in Luxemburg stattfinden müssen.

"Historischer Tag"

Dennoch wird hier gerade Geschichte geschrieben. Noch nie zuvor hat die Europäische Union Beitrittsverhandlungen mit einem angegriffenen Land im Kriegszustand, mit einem so großen und einem so armen Land in so kurzer Zeit vorbereitet und aufgenommen wie mit der Ukraine. Das kleine Moldau folgt sozusagen im Windschatten, weil es unter ständiger russischer Bedrohung lebt.

Die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Anna Lührmann, die Deutschland bei der Regierungskonferenz in Luxemburg vertritt, nannte den Tag historisch. "Das ist ein guter Tag, weil wir damit honorieren, dass beide Länder trotz der sehr schwierigen Umstände enorme Reformanstrengungen unternommen haben", sagte Lührmann. "Ein stolzer Moment für beide Nationen, ein strategischer Schritt für die EU." So würdigte der Ratsvorsitzende der EU, Charles Michel, den Start der Verhandlungen.

Porträtaufnahme von Staatministerin Anna Lührmann
Staatministerin Anna Lührmann: Anstrengungen der beiden Länder honorieren (Archiv)Bild: Urs Flueeler/dpa/picture alliance

Verfahren in Rekordzeit

Vor zwei Jahren erst stellten die Ukraine (38 Millionen Einwohner) und das benachbarte Moldau (2,5 Millionen) ihre Aufnahmeanträge, nachdem Russland einen breit angelegten Krieg gegen die Ukraine begonnen hatte. Mit Hilfe der EU-Kommission wurden die nötigen politischen und technischen Schritte in Windeseile unternommen.Viel schneller als bei einigen der sechs Westbalkan-Staaten, die teilweise seit Jahren in Warteschleifen verharren. Die Zustimmungsraten der Bevölkerung in der Ukraine zur EU-Mitgliedschaft liegen bei über 90 Prozent.

In Moldau ist derzeit eine relativ stabile und europafreundliche Regierung im Amt. Das war in den zurückliegenden Jahren nicht immer der Fall, deshalb sollten aus EU-Sicht jetzt Nägel mit Köpfen gemacht werden. Moldau hat eine relativ große russischsprachige und Russland zuneigende Minderheit. Wie die EU-Unterhändler mit der moldauischen Region Transnistrien umgehen sollen, die von pro-russischen Separatisten regiert wird, aber völkerrechtlich zu Moldau gehört, ist nicht wirklich klar, sagen EU-Diplomaten in Brüssel.

Georgien in Gefahr

Die Bedingungen können sich in dieser Region Europas schnell ändern, wie das Beispiel Georgien zeigt. Zwar hat Georgien, dessen Bevölkerung überwiegend pro EU eingestellt ist, schon im März 2022 einen Aufnahmeantrag gestellt, aber derzeit bremst eine EU-skeptische Regierung die Anpassung Georgiens an die Union mit einem zweifelhaften Gesetz zur Kontrolle ausländischer Organisationen extrem ab.

Die EU hält weiter am Status Georgiens als Beitrittskandidat fest, aber eine Einladung zu Beitrittsgesprächen dürfte noch auf sich warten lassen, bis die Regierung in Tiflis ihren Kurs wieder korrigiert. Ein besonderes Problem für mögliche Beitrittsverhandlungen ist auch der Konflikt um Südossetien und Abchasien, georgische Landesteile, die mit Hilfe Russlands von Separatisten kontrolliert werden.

Europaministerin Olha Stefanischyna spricht bei der Stellungnahme zu den Beitrittsverhandlungen Ukraine in mehrere Mikrofone
Europaministerin Olha Stefanischyna: Wir sind bereitBild: Bernd Riegert/DW

"Ukraine kann bis 2030 beitreten"

In der Ukraine weckt die Heranführung an die EU in der Rekordzeit von nur zwei Jahren große Hoffnung. Ein ähnlich starkes Schutzversprechen wie beim Militärbündnis NATO ist mit der EU-Mitgliedschaft allerdings nicht verbunden. Wann wird die Ukraine gleichberechtigt als volles Mitglied am Tisch in Brüssel sitzen? Das Ziel ist ein Beitritt im Jahr 2030. "Wir werden in der Lage sein, alle Dinge schon vor 2030 zu schaffen. Seien Sie gewiss, dass die Ukraine sehr schnell liefern kann", sagte die Europaministerin der Ukraine Olha Stefanischyna in Luxemburg auf eine Frage der DW. Wenn die EU-Kommission als Verhandlungsführerin bereit sei, könne alles sehr schnell gehen.

Ukraine: Die Arbeit Krywyj Rih geht weiter - trotz Krieg

EU-Diplomaten bremsen den Enthusiasmus etwas. Die komplexen Verhandlungen werden wohl einige Zeit dauern. Die Ukraine ist ein von der Fläche her riesiges Agrarland, dessen Aufnahme einen völligen Umbau der bisherigen Subventionsarchitektur in der europäischen Landwirtschaftspolitik erfordert.

Widerstand in Frankreich, Polen oder Deutschland wird wachsen, wenn klar wird, welche Änderungen für die westlichen Landwirte anstehen und welche Kosten von den bisherigen Nettozahlern übernommen werden müssen. Die Ukraine und Moldau sind die ärmsten Länder Europas. Es ist abzusehen, das enorme Mittel für regionale Förderung und den Ausbau oder auch Wiederaufbau der Infrastruktur in den neuen Osten der EU fließen müssten.

Beitrittsgespräche nicht unumstritten

Ohne den Krieg Russlands gegen die Ukraine hätte es eine derartig schnelle Aufnahme von Beitrittsverhandlungen nicht gegeben. Die EU wollte ein klares Zeichen setzen, dass die Ukraine zu Europa und nicht zur Einflusssphäre Moskaus gehört. Man werde jetzt gemeinsam siegen, sagte der ukrainische Premierminister Denys Schmyhal in einer Videobotschaft an die EU-Minister in Luxemburg.

Republik Moldau: Die Angst vor dem nächsten Krieg

Wie schnell nun tatsächlich während des Krieges konkret über die Übernahme von Tausenden EU-Gesetzen verhandelt werden kann, ist unklar. Bei allen wesentlichen Schritten der Beitrittsverhandlungen ist Einstimmigkeit gefragt, das heißt alle EU-Mitglieder müssen zustimmen. Der ungarische Europaminister Janos Boka sagte in Luxemburg: "Sie (die Ukraine) ist noch weit davon entfernt, die Kriterien für eine Aufnahme zu erfüllen." Ungarn verlangt von der Ukraine zum Beispiel ein Abkommen über einen besseren Schutz der ungarischen Minderheit in Ukraine.

Da am 1. Juli der ungarische, eher Russland zugeneigte Premier Viktor Orban die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, ist mit großen Fortschritten nicht zur rechnen. Viktor Orban erklärt immer wieder, dass er prinzipiell gegen die Aufnahme der Ukraine in die EU zum jetzigen Zeitpunkt sei. Der Ungar setzt sich allerdings für die schnelle Aufnahme der Kandidaten auf dem westlichen Balkan in die EU ein. Darauf wolle sich Ungarn in seiner Präsidentschaft konzentrieren, meinte der ungarische EU-Botschafter Balint Odor in Brüssel.

Ungarn stellt sich mit der Slowakei auch im Falle Georgiens gegen die breite Mehrheit in der EU. Eine scharfe Verurteilung Georgiens wegen seines mangelhaften Gesetzes über ausländische Organisationen, misslang auf Betreiben Ungarns. Der ungarische Premier Viktor Orban erklärte, er habe mit dem Gesetz zur Registrierung sogenannter ausländischer Agenten kein Problem. Das Gesetz erinnert stark an ein russisches Vorbild zur Unterdrückung der demokratischen Zivilgesellschaft. In Ungarn gilt schon seit einigen Jahren ein ähnliches Gesetz. Unter anderem deshalb läuft gegen Ungarn seit Jahren ein Rechtsstaatlichkeitsverfahren der EU. Bislang ohne Ergebnis. 

2005 starteten schon einmal historische Beitrittsverhandlungen in Luxemburg, und zwar zwischen der Türkei und der EU. Heute, 19 Jahre später, sind die Verhandlungen faktisch eingefroren. Die Türkei hat den europäischen Pfad inzwischen verlassen. An eine Aufnahme des Landes glaubt in Brüssel mittlerweile niemand mehr.

 

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union