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Umstrittener Start

Nina Werkhäuser12. November 2015

Im November 1955 wurde die Bundeswehr gegründet, nur zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Viele Deutsche protestierten. Auch politisch gingen der Wiederbewaffnung scharfe Kontroversen voraus.

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Junge Leute protestieren 1954 in München gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands, Foto: picture alliance/dpa
Proteste gegen die Wiederbewaffnung DeutschlandsBild: picture alliance/dpa

Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg: Die Wehrmacht war aufgelöst, das Land entmilitarisiert und besetzt. Nie wieder sollte von deutschem Boden Krieg ausgehen. Deutsche Männer unter Waffen - zu diesem Zeitpunkt unvorstellbar. Doch die weltpolitische Lage änderte sich schnell: Bald nach Kriegsende zerbrach das Zweckbündnis der Anti-Hitler-Koalition. Die Spannungen zwischen der Sowjetunion und den westlichen Alliierten USA, Großbritannien und Frankreich wuchsen. Deutschland lag an der Nahtstelle der Blockkonfrontation. 1949 wurden zwei deutsche Staaten gegründet - im Mai die Bundesrepublik Deutschland, im Oktober die Deutsche Demokratische Republik (DDR).

Angst vor einem Angriff Russlands

Als 1950 der Korea-Krieg ausbrach, gaben die Westalliierten ihre bisherige Politik der Entmilitarisierung Deutschlands auf. Fieberhaft bereiteten sie sich auf einen möglichen russischen Angriff vor. Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) forderte von den Westalliierten Sicherheitsgarantien und eine Verstärkung der Besatzungskräfte. Die Alliierten verlangten im Gegenzug einen eigenen Beitrag Deutschlands. Damit war die Debatte über die Wiederbewaffnung eröffnet. Von einer deutschen Armee war zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht die Rede, sondern von einer europäischen Armee mit einem kleinen deutschen Kontingent. Dieses Konstrukt sollte Sicherheit mit Deutschland, aber auch Sicherheit vor Deutschland bieten.

Bundeskanzler Konrad Adenauer wirbt 1950 im Bundestag für einen deutschen Beitrag zur Verteidigung Westeuropas, Foto: Picture-alliance/dpa
Schon 1950 forderte Bundeskanzler Adenauer im Bundestag einen deutschen Beitrag zur Verteidigung WesteuropasBild: picture-alliance/dpa

Im November 1950 debattierte der Bundestag zum ersten Mal über die Wiederbewaffnung - einen ganzen Tag lang. In seiner Regierungserklärung verteidigte Konrad Adenauer seinen Plan, deutsche Soldaten als Teil einer Europa-Armee aufzustellen. Die westliche Welt und insbesondere die Bundesrepublik Deutschland sah der Christdemokrat "in einer wahrhaft großen Gefahr" und malte Bedrohungsszenarien an die Wand. "Jeder hatte Angst davor, dass die Russen nun auch noch zu uns kommen würden", schilderte ein Zeitzeuge die Stimmung im Land.

"Nie wieder Krieg!"

Den Sozialdemokraten grauste bei der Vorstellung, wieder deutsche Soldaten marschieren zu sehen. Sie warfen Adenauer vor, die "Angst vor dem Osten" als Propagandainstrument für eine Militarisierung zu nutzen. Eine Aufrüstung bringe die Bundesrepublik erst recht in Gefahr. Außerdem, so argumentierten die Gegner, werde eine Wiederbewaffnung die Teilung Deutschlands zementieren.

Die große Mehrheit der Bevölkerung reagierte ebenfalls entsetzt auf die Pläne Adenauers. Unter dem Schlagwort "Ohne mich!" demonstrierten aufgebrachte Bürger gegen die Wiederbewaffnung, darunter viele Kriegsversehrte mit Holzbeinen oder Krücken. 1950 sprach sich etwa Dreiviertel der bundesdeutschen Bevölkerung gegen eine Wiederbewaffnung aus.

Adenauer versicherte den Kritikern, er werde alles dafür tun, dass das "militaristische Denken" unter keinen Umständen wiederkehre. Für den katholischen Rheinländer, der persönlich keine Affinität zum Militär hatte, standen strategische Ziele im Vordergrund. Der deutsche Verteidigungsbeitrag war aus seiner Sicht ein Mittel, um die Bundesrepublik wieder an die westliche Staatengemeinschaft heranzuführen. Auf diese Weise konnte er Souveränitätsrechte und außenpolitische Handlungsfreiheit zurückerlangen.

Konrad Adenauer (2. von links) bei der Vier-Mächte-Konferenz 1954, links neben ihm Pierre Mendes-France, Premierminister Frankreichs, Sir Anthony Eden, Außenminister Großbritanniens und John Foster Dulles, US- Außenminister.
Adenauer (2. v. links) führte das besetzte Deutschland zurück in die StaatengemeinschaftBild: picture-alliance/UPI

Nur ein Jahrzehnt nach dem Krieg eine neue Armee

Am Ende setzte Adenauer sich durch. Im Februar 1952 stimmte der Bundestag einem deutschen Verteidigungsbeitrag in einer Europa-Armee zu. Aber diese Europa-Armee wurde beerdigt, bevor sie überhaupt aufgestellt werden konnte - das französische Parlament votierte dagegen. Erst die Pariser Verträge machten die Gründung einer deutschen Armee möglich. 1955 wurde die Bundesrepublik in die Westeuropäische Union und in die Nato aufgenommen und durfte eigene Streitkräfte aufstellen. Gleichzeitig wurde der Besatzungsstatus aufgehoben.

Im Juli 1955 verabschiedete der Bundestag das Freiwilligengesetz, das die Aufstellung von 6.000 freiwilligen Soldaten vorsah. Am 12. November 1955 überreichte der erste Verteidigungsminister der Bundesrepublik, der CDU-Politiker Theodor Blank, den ersten 101 Freiwilligen ihre Ernennungsurkunden in der Bonner Ermekeil-Kaserne. Es war der 200. Geburtstag des preußischen Generals und Armee-Reformers Gerhard Scharnhorst. Damit war klar, an welche militärischen Traditionen die Bundeswehr, die zunächst "neue Wehrmacht" genannt wurde, anknüpfen wollte.

Theodor Blank, der erste Bundesverteidigungsminist, überreicht den ersten Soldaten ihre Ernennungsurkunden. Foto: picture alliance/akg-Images
Theodor Blank, der erste Bundesverteidigungsminister, überreicht den ersten Soldaten der Bundeswehr am 12.11.1955 ihre ErnennungsurkundenBild: picture alliance/akg-images

Personelle Kontinuitäten

Ohne Wehrmachtsoffiziere kam die Bundeswehr mangels Personal dennoch nicht aus: Um 1960 standen mehr als 12.000 Offiziere aus der Wehrmacht und 300 SS-Offiziere im Dienst der Bundeswehr. Es sollte noch lange dauern, bis die Bundeswehr sich von diesem Erbe distanziert hatte.

Verfassungsrechtlich baute die Regierung unerwünschten Entwicklungen vor. Damit die Bundeswehr kein Staat im Staate werden konnte, wurde sie strikt eingebunden in die Kontrollmechanismen der parlamentarischen Demokratie. Ihr Auftrag war rein defensiv: Die Verteidigung Deutschlands im Fall eines Angriffs. Maximal 500.000 Soldaten waren erlaubt, die dem Befehl der Nato unterstanden. Das änderte aber nichts daran, dass nicht nur die SPD-Opposition im Bundestag, sondern auch ein großer Teil der Bevölkerung die Wiederbewaffnung vor 60 Jahren für falsch hielt.