Soldaten in Bachmut: "Dieser Krieg ist schrecklich"
25. Januar 2023Über die Steppe bei Donezk fegt ein eisiger, schneidender Wind. Das Thermometer zeigt minus 17 Grad, die Front, an der um die Städte Bachmut und Soledar gekämpft wird, ist nur wenige Kilometer entfernt. Mitten auf dem Feld üben Soldaten einer ukrainischen Panzerbrigade. Vor einigen Tagen wurden sie für eine kurze Gefechtspause aus den Kämpfen bei Bachmut zurückgezogen. Um zu den Soldaten zu gelangen, muss man mehrere Kilometer querfeldein laufen.
"Na? Fällt es schwer, in einer kugelsicheren Weste zu laufen? Frieren Arme und Beine schon?", fragt Ihor, ein Offizier der Panzerbrigade, auf dem Weg zum Einsatzort des Bataillons. "Stellen Sie sich vor, wie die Jungs in den gefrorenen Schützengräben liegen, wo man keine Öfen anzünden darf, damit die Stellungen nicht verraten werden."
Während einer Erholungspause sprechen die Soldaten mit der DW. Nicht alle nennen ihre Namen, nicht alle wollen fotografiert werden. Manche haben Verwandte in den besetzten Gebieten, von anderen wissen ihre Familien gar nicht, dass sie an der Front sind.
"Schaut in Russland niemand auf die Verluste?"
Den Offizieren der Panzerbrigade zufolge liegt das Kräfteverhältnis im Gebiet derzeit bei etwa zehn russischen Soldaten gegen einen ukrainischen. An diesem Frontabschnitt haben es die ukrainischen Soldaten vor allem mit der russischen Privatarmee "Wagner" zu tun, die Gefangene aus russischen Gefängnissen rekrutiert.
Bei Bachmut und Soledar liegen die Stellungen sehr eng beieinander, sagt Oleh, einer der Brigadekommandanten. Immer wieder würden die Soldaten in den Nahkampf verwickelt. "Wir können sogar die Befehle der feindlichen Kommandanten hören", so Oleh.
Der rund 40-jährige Infanterist Ihor ist sichtlich erschöpft - wie alle hier. "Das ukrainische Militär kämpft am Rande menschlicher Kräfte", sagt er. "Wir haben keine Möglichkeit zum Schlafen". Tag und Nacht stehen sie unter Beschuss. Immer wieder kommt es zu Angriffen durch die russische Infanterie.
Ein Offizier, der ebenfalls Ihor heißt, erzählt, dass sich kleine russische Gruppen von zehn bis fünfzehn Mann "in Wellen" auf die ukrainischen Stellungen zubewegen würden - direkt in das Kreuzfeuer aus den ukrainischen Schützengräben. "Wir schießen, sie sterben - es liegen Berge von Leichen auf dem Feld. Dann kommt die nächste Gruppe. Sie helfen ihren Verwundeten nicht einmal, sie bewegen sich einfach weiter auf uns zu", so Ihor.
"Auch wir verlieren Menschen. Aber ich verstehe es nicht: Sie haben so riesige Verluste. Schaut denn bei denen niemand darauf?", fragt Infanterist Ihor. Sein Kamerad Dmytro sagt, dass "es schwer ist, das alles zu ertragen. Aber wir haben keine andere Wahl. Ich will und muss mein Land, meine Familie verteidigen, damit wir eine Zukunft haben."
Die Probleme der Ukraine mit dem "sowjetischen Panzer-Erbe"
Um ihre Gegenoffensive fortzusetzen und weitere besetzte Gebiete zu befreien, brauchten die ukrainischen Kräfte mehr Ausrüstung und Waffen - vorzugsweise nicht-sowjetischer Bauart, sagen die Kommandanten der Panzerbrigade.
Ihre Ingenieure führen uns zu ein paar sowjetischen T-72-Panzern, die sie nach den Kämpfen mitten auf dem Feld unter freiem Himmel reparieren. Auf dem Boden stehen Werkzeugkisten und Generatoren. Ein Lastwagen mit Kranaufbau zieht den Motorblock aus einem T-72-Panzer. Ingenieur Andrij erzählt, dass der Motor einmal mitten im Kampf ausgesetzt habe, aber "wie durch ein Wunder hat der Mechaniker ihn wieder gestartet und die Besatzung konnte sich retten". "Sehen Sie dieses Loch im Motor? Der ist hinüber", sagt Andrij.
Die Mechaniker tauschen den alten Block gegen einen neuen Motor aus. "Neu" ist er jedoch nur bedingt. Alle Ersatzteile für den T-72 werden in Russland hergestellt und die Ukraine kauft sie schon lange nicht mehr. "Wir haben noch Ersatzteile auf Lager. Aber manches fehlt. Dann schlachten wir unsere beschädigten oder erbeutete russischen Panzer aus", sagt Andrij.
Ihm zufolge sollte sich die ukrainische Armee des "sowjetischen Panzer-Erbes" und der ganzen sowjetischen Ausrüstung entledigen. Sie halte einem Vergleich mit modernem Gerät nicht stand und könne deshalb die Soldaten kaum schützen. Sein stellvertretender Kommandeur Konstantin stimmt ihm zu: Um einen größeren Vorteil an der Front zu haben, brauche das ukrainische Militär westliche Waffen und Ausrüstung. Nur mit moderner Technik könne die russische Armee besiegt werden.
"Die Russen haben Angst vor dem Leopard"
Die Kommandeure des Bataillons sagen der DW, ihre Soldaten würden gerne so schnell wie möglich neue Panzer bekommen, weil sie "die Befreiung des ukrainischen Territoriums so schnell wie möglich abschließen wollen". Innerhalb der Truppe wird über die Fähigkeiten der deutschen Leopard-Panzer gesprochen, aber auch darüber, wie in Deutschland über die Lieferung solcher Panzer an die Ukraine diskutiert wird. Gesprochen wird auch über die von den westlichen Partnern versprochenen Schützenpanzer - den deutschen Marder und den amerikanischen Bradley.
"Der Leopard ist das, was wir jetzt brauchen. Die hochpräzisen Visiere und Nachtsichtgeräte funktionieren bei jedem Wetter. Vor allem aber haben die Russen Angst vor dem Leopard", meint Offizier Konstantin.
Währenddessen schweißt Mechaniker Serhij unter freiem Himmel an einem über 50 Jahre alten Kühler. Serhij ist seit 2014 bei der Armee, seine Hände sind von der Flickerei völlig zerschunden. "Die ukrainischen Streitkräfte brauchen westliche Ausrüstung, am besten mit Ersatzteilen und einer Reparaturlogistik", sagt er. Serhij ist überzeugt, auch westliches Gerät reparieren zu können: "Bei den Motoren gibt es keine großen Unterschiede," sagt Serhij. "Hauptsache, ich weiß, wie ich alles wieder flott kriege!"
Unter Zeitdruck reparieren Serhij und seine Kameraden mehrere Panzer, Schützenpanzer und Lastwagen. Die Kämpfe bei Bachmut und Soledar werden immer heftiger. Auch die Ingenieure des Panzerbataillons bekommen kaum noch Schlaf. Sie sagen, man müsse "standhalten". Auch Offizier Ihor sieht keine andere Möglichkeit. "Dieser Krieg ist schrecklich", sagt er. "Aber wir müssen siegen, damit wir weiter in Freiheit leben können."
Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk