Hoffen auf den Neuanfang
25. Mai 2014Zwei Stunden lang stand Kyryl Savin heute bei brütender Hitze in der Schlange. Der Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Kiew musste sich Zeit lassen, um seine Stimme abzugeben. Um ihn herum trotzten auch viele andere Kiewer den schwül-heißen Temperaturen und reihten sich ein. "Die Wahlbeteiligung ist unglaublich", meint Savin. "Man versteht diese Wahl hier als ein Referendum für die Ukraine, für die Einheit des Landes."
Aber er weiß auch, dass die langen Schlangen vor den Wohllokalen noch andere Gründe haben: die kurze Zeit für die Organisation und der Sparzwang der Übergangsregierung. Bei der letzten Wahl hätten 18 Menschen sein Wahlbüro betreut, jetzt seien es nur zehn. "Die brauchen mehr Zeit, um die Menschen zu bedienen", sagt der Kiewer im DW-Gespräch. "Sie können es nicht so schnell managen, sie sind unterbesetzt."
Grundlegende Probleme bei der Wahl kann Savin aber nicht erkennen, bis auf ein heftiges Unwetter, das am Nachmittag über Kiew zog und doch noch Einfluss auf die Wahlbeteiligung haben könnte. Er glaubt, dass Vitali Klitschko wohl Bürgermeister von Kiew werden wird. Und Petro Poroschenko hat es offenbar schon im ersten Wahlgang geschafft, zum Präsidenten gewählt zu werden, ohne Stichwahl Mitte Juni. Verlässliche Zahlen dazu werden wohl erst Montagfrüh vorliegen, aber erste Nachwahlbefragungen sehen Poroschenko klar über 50 Prozent.
Chaos im tiefen Osten
Während im Westen des Landes alles geregelt abzulaufen scheint, gibt es im Osten des Landes und auf der Krim massiven Widerstand gegen die Wahl. In den beiden östlichsten Bezirken Donezk und Luhansk konnte nur eine Minderheit abstimmen. "Dort sind etwa 15 Prozent der Wahllokale geöffnet, in den Gebieten, die friedlich sind, in denen es keine Separatisten gibt", sagt Savin. Die Separatisten boykottierten die Wahl, weil sie nicht glaubten, dass ihre Kandidaten sich gegen den Milliardär Poroschenko durchsetzen können.
Ukrainische Medien berichten, dass auch einige tausend Krim-Bewohner mit dem Auto in Grenzgebiete gefahren waren, um dort abzustimmen. Das sind allerdings verschwindend geringe Zahlen im Vergleich zu mehr als zwei Millionen Menschen, die auf der Krim wohnen.
Entspannte Lage in Charkiw
Im Gebiet um die Stadt Charkiw - auch im Osten der Ukraine gelegen, aber längst nicht so unruhig wie Donezk und Luhansk - scheint die Wahl dagegen sehr unspektakulär abgelaufen zu sein. Marina Miroschnitschenko, die in einem kleinen Dorf ganz in der Nähe von Charkiw wohnt und für das Goethe-Institut dort arbeitet, konnte ohne Wartezeiten ins Wahllokal.
"Er war den ganzen Tag über ruhig, eine ganz normale Wahl ohne Aufregung", meint sie im Interview mit der Deutschen Welle. "Darüber sind wir froh, aber wir haben auch keine Krawalle erwartet." Ukrainische Wahlbeobachter hätten in ihrem Wahllokal den Ablauf der Abstimmung überprüft, sagt Miroschnitschenko. Ein Tag ohne Überraschungen.
Zufriedene Wahlbeobachterin
Gleichzeitig sind auch tausende internationale Wahlbeobachter im Land. Eine davon ist die Sozialdemokratin Barbara Weiler aus Deutschland, seit 1994 Europa-Abgeordnete. Sie war an diesem Sonntag (25.05.2014) in der Nähe von Kiew unterwegs, um den Ablauf der Wahl zu protokollieren.
In der Stadt Bila Zerkwa rund 80 Kilometer südlich von Kiew lief die Abstimmung sehr gut, meinte Weiler im DW-Gespräch. "Hier waren auch die Wahllokale personell gut besetzt, und es gab auch viele nationale Wahlbeobachter vor Ort." Die Wahllokale hätten genau so ausgesehen wie in Deutschland.
Weiler beobachtete zusätzlich eine Abstimmung in einem Männergefängnis mit hunderten Insassen, von denen alle zur Wahl gingen, und nahm an einem "Home Voting" teil. Dabei kommen mehrere Mitarbeiter eines Wahllokals zu bettlägrigen oder behinderten Wählern, die dann zuhause ihre Stimme abgeben können. Eine Briefwahl gibt es in der Ukraine nicht. "Die war in der Vergangenheit zu stark der Manipulation ausgesetzt", meint die deutsche Politikerin.
Sie glaubt, dass die Stimmung bei der Wahl nicht mehr so euphorisch war wie noch vor zehn Jahren, kurz nach der Orangenen Revolution. "Trotzdem haben die Leute die Hoffnung, dass jetzt ein Schlussstrich gezogen wird unter die schrecklichen Verhältnisse der verganenen Monate und dass es jetzt einen Neuanfang gibt."