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Ukraine zwischen Krieg und Frieden

Frank Hofmann12. Februar 2016

Ein Jahr nach dem zweiten Minsker Abkommen ist es im nördlichen Teil der Front im Regierungsbezirk Luhansk ruhig. Dort lässt sich erahnen wie es aussehen könnte, sollte der Konflikt einfrieren. Aus Luhansk Frank Hofmann.

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Zerstörung in Stanitsa Luhansk
Bild: DW/F. Hofmann

Wo einmal Fenster waren gibt es nur noch rußgeschwärzte Löcher. Der Granatbeschuss hat die meisten Wohnungen in dem Plattenbau der Kleinstadt Lysytschansk unbewohnbar gemacht. Und dennoch wohnen hier noch immer zwei Rentner, "im zweiten Stock", sagt Fjudor Alexandrowitsch draußen auf der Straße, während seine Nachbarin Nina Hutujchowa dazu kommt. Das Schicksal hat die beiden 66-Jährigen auf eigenartige Art und Weise verbunden. "Mein Mann ist 2014 nach schwerer Krankheit gestorben", sagt sie - so wie Alexandrowitschs Ehefrau. Hutujchowa wohnt ein Stockwerk über ihm, beide sind verwitwet.

Fließend Wasser gibt es keines mehr. Im Sommer 2014 ist das Gebäude ausgebombt worden, als ukrainische Truppen pro-russische Separatisten aus der Stadt mit ihren 100.000 Einwohnern vertrieben. Es ist eines dieser im Krieg berühmt gewordenen Gebäude, das die meisten Menschen in der Ukraine aus dem Fernsehen kennen. "Strom haben wir wieder", sagen die beiden. Immerhin. Damit können sie jeder ein Zimmer heizen. Die Stadtverwaltung hatte den beiden 66-Jährigen eine Alternativunterkunft angeboten. "Doch die ist eigentlich für Obdachlose", sagt die zierliche Nina Hutujchow. Da bleibe sie lieber in dem baufälligen Plattenbau im Stockwerk über ihrem Nachbarn. Beide hoffen noch immer auf Geld vom Staat, "eine Kompensation" für ihre zerstörten Wohnungen. Mit dem Geld könnte jeder eine neue Wohnung kaufen. "Ich möchte sicher sein, dass mir die Wohnung auch gehört", sagt Fjudor Alexandrowitsch. "Wir haben unserem Bürgermeister geschrieben und auch dem Ministerpräsidenten Jazenjuk." Keine Antwort. Der Wiederaufbau lässt auf sich warten.

Die Nachbarn Fjudor Alexandrowitsch und Nina Hutujchowa vor einem stark beschädigten Hochhaus (Foto: DW/F. Hofmann)
Zusammengeschweißt durch den Krieg: Die Nachbarn Fjudor Alexandrowitsch und Nina HutujchowaBild: DW/F. Hofmann

Chance für den Wiederaufbau?

Und so ist das in den meisten Städten entlang der Frontlinie im Regierungsbezirk Luhansk. Zweidrittel des Gebietes sind unter Kontrolle der Kiewer Zentralregierung, die Gebietshauptstadt Luhansk aber ist besetzt von den pro-russischen Separatisten. Die staatliche Verwaltung ist deshalb umgezogen in die Industriestadt Severodonezk nördlich der Frontlinie. Hier leitet Jeff Wilkinson das regionale Büro des UN-Flüchtlingshilfswerkes. Während weiter südlich in der Region Donezk jeden Tag der Waffenstillstand gebrochen wird, sieht der Kanadier hier oben Chancen für den Wiederaufbau. “Es gibt tausende Familien, die von diesem Konflikt betroffen sind und möglicherweise öffnet sich jetzt die Tür einen Spalt, damit den Menschen geholfen werden kann." Noch vor einem Jahr sei das auch hier im Nordosten der Ukraine wegen der heftigen Kämpfe unmöglich gewesen.

Jeff Wilkinson, der Leiter des regionalen UNHCR-Büros (Foto: DW/F. Hofmann)
Jeff Wilkinson, Leiter des regionalen UNHCR-BürosBild: DW/E. Shulko

Allein im Luhansker Regierungsbezirk leben nach UN-Angaben mit 244.000 mehr als ein Viertel der innerhalb der Ukraine vertriebenen Flüchtlinge. Doch während der Ukraine-Konflikt international in Vergessenheit gerät, kümmert sich auch die Kiewer Regierung kaum um die Menschen entlang der Front.

Russland wird bleiben

Im Auftrag des UN-Flüchtlingshilfswerks hat die Nichtregierungsorganisation Norwegischer Flüchtlings Rat (NRC) ein Wiederaufbauprogramm südlich der neuen Gebietshauptstadt Severodonezk aufgelegt. Zwei neue Häuser konnten bislang wieder aufgebaut werden. "Wir beginnen mit einem Pilotprojekt", sagt Tatiana Stepykina, für 30 reiche das Geld insgesamt. Die Anglistin ist selbst Vertriebene aus der Rebellenhochburg Luhansk, wo sie an der Universität gearbeitet hat.

Frontnahe Straße von Stanitsa Luhansk (Foto: DW/F.Hofmann)
Die Bewohner der frontnahen Straße von Stanitsa Luhansk haben schlimmste Bombardierungen überstehen müssenBild: DW/F. Hofmann

Sie und ihre Kollegen gerieten zu Beginn des Konfliktes vor zwei Jahren schnell in den Blick der pro-russischen Rebellenchefs. "Ich fürchte, Russland ist in unser Land gekommen, um zu bleiben", sagt sie ohne Illusionen. Wenn die Ukraine wolle, könnte sie das besetzte Gebiet vielleicht sogar zurück erobern. "Doch das ist politisch nicht gewollt." Es wäre wohl auch nur mit weiteren fürchterlichen Kämpfen möglich - wenn Russland wieder mit Truppen dagegen hält wie wohl schon vor einem Jahr als in Minsk das zweite Friedensabkommen unter deutscher und französischer Aufsicht verhandelt worden war. Bleibt also die Vorstellung, dass die Frontlinie für längere Zeit eine innerukrainische Grenze bleibt – im besten Fall mit Übergängen für die Zivilbevölkerung.

Stundenlanges Anstehen

Im äußersten Nordosten ist so ein Übergang eine Brücke zwischen der ukrainisch gehaltenen Kleinstadt Staniza Luhansk und der alten Gebietshauptstadt Luhansk weiter südlich. Bei Temperaturen unter null Grad stehen die Menschen Schlange. Nicht selten warten sie mehr als drei Stunden. "Zum Glück gibt es ein Zelt zum Aufwärmen", sagt einer auf der von ukrainischen Grenzsoldaten kontrollierten Seite.

Sie lassen immer nur drei, vier der Wartenden durch, die nach dem Besuch von Verwandten wieder auf die Rebellenseite wollen. Ihre Pässe werden kontrolliert, dann die Tüten mit den Einkäufen. "Ich habe Lebensmittel und Kleidung gekauft. Wir haben dort drüben in Luhansk zwar alles, ist aber teurer als hier. Von dem Geld das wir bekommen kann man nicht überleben", sagt der Mann. Mit Kriegsbeginn 2014 sei alles teurer geworden. Viele holen auch ihre Rente ab. Manche erhalten jetzt zwei Renten "eine russische", sagen sie hier in der Warteschlange, und "die ukrainische".

Vor einem beschädigten Haus in Stanitsa Luhansk steht eine Anwohnerin (Foto: DW/F. Hofmann)
Nicht mehr Krieg aber auch kein Frieden: Bewohnerin in Stanitsa LuhanskBild: DW/F. Hofmann

Kritik an den Rebellen

Seit der Wirtschaftsblockade der Kiewer Regierung gegenüber den besetzten Gebieten Ende 2014 ist das der einzige Weg. Bank-Transfers wurden schon damals gesperrt. Zuvor hätten die Rebellen aber schon alles geklaut, sagt Lubow Awertschelko. "In Luhansk haben sie alles kaputt gemacht, die Bankautomaten und gleich die ganzen Banken." Die Rentnerin ist mutig und hält sich mit ihrer Kritik gegenüber dem Rebellen-Regime nicht zurück. Sie lebt mittlerweile auf beiden Seiten der inner-ukrainischen Grenzlinie, in Luhansk ist die Wohnung der Familie. Ihre Kinder seien aber längst auf der ukrainisch kontrollierten Seite der Front.

Irgendwie muss das Leben weitergehen. Vor dem zerbombten Plattenbau in Lysytschansk denkt daran auch Nina Hutujchowa. Die 66-jährige Rentnerin, die mit ihrem Nachbarn auf etwas Geld vom Staat hofft, damit sie sich eine neue Wohnung kaufen kann. Nur ganz leise spricht sie über eine Idee, die ihrem Schicksal eine neue Wendung geben könnte: "Wenn wir beide unsere Renten zusammen legten, könnten wir uns vielleicht ja eine Wohnung mieten".