Ukraine: Weder Musik noch Bücher aus Russland
27. Juni 2022Das Abspielen russischer Musik an öffentlichen Orten, die Einfuhr von Büchern in großen Mengen aus Russland und Belarus: Das alles ist in der Ukraine nun gesetzlich untersagt. Das vom Parlament in Kiew beschlossene Verbot umfasst "Produkte von Künstlern oder Autoren, die Bürger des Aggressorstaates waren oder sind". Außerdem dürfen entsprechende Interpreten nicht mehr in der Ukraine auftreten.
Der ukrainische Fernsehmoderator und Produzent Ihor Kondratjuk hatte noch vor Beginn der Invasion Russlands über 25.000 Unterschriften unter einer Petition zum Verbot von Konzerten russischer Künstler in der Ukraine gesammelt. Für ihn ist das neue Gesetz ein logischer Schritt zum Schutz des Landes.
"Dies gehört genauso zur Verteidigung der Ukraine wie das, was die Streitkräfte im Kampf gegen den Aggressor leisten. Russische Künstler sollten in der Ukraine so lange unerwünscht bleiben, bis die Beziehungen zu Russland eine freundschaftliche Basis erreichen", sagt Kondratjuk im Gespräch mit der DW. Seit Russland 2014 die Krim annektierte und den Krieg im Donbass begann, hätte die russische Armee Künstler als eine Art Vorhut genutzt, so der Moderator.
Streaming-Plattformen und YouTube verzeichneten zunehmendes Interesse an ukrainischsprachigen Inhalten, so Kondratjuk. Mit dieser wachsenden Popularität begründen die Autoren des Gesetzes unter anderem das neue Verbot, das aber auch Ausnahmen vorsieht. Interpreten aus Russland, die die Aggression gegen die Ukraine verurteilen, sind davon nicht betroffen. Welche Künstler das sind, legt die Ukraine fest.
Keine Bücher mehr aus Russland und Belarus
Es wurde aber noch ein weiteres Gesetz verabschiedet: Das ukrainische Parlament hat festgelegt, dass die Einfuhr und der Vertrieb von Verlagserzeugnissen aus Russland, Belarus sowie aus den besetzten Gebieten der Ukraine verboten ist. Dabei geht es zum einen um Bücher, die in diesen Gebieten geschrieben wurden, aber auch um Werke von Autoren, die russische Staatsbürger sind. Ausgenommen sind Bücher, die noch vor der Besetzung herausgegeben wurden.
Literatur, die in anderen Ländern in russischer Sprache herausgeben wird, darf allerdings weiterhin in die Ukraine eingeführt werden - sofern dafür eine Genehmigung vorliegt. Laut Gesetz soll ein Sachverständigenrat die Literatur zunächst auf anti-ukrainische Propaganda hin prüfen.
Zudem dürfen in der Ukraine keine Bücher mehr von Autoren gedruckt werden, die einen russischen Pass hatten oder haben. "Auch das ist natürlich eine Reaktion der Gesellschaft auf den Krieg. Sowohl die 'guten Russen' als auch die 'bösen Russen' werden nicht mehr auf dem ukrainischen Buchmarkt zugelassen", sagt der Besitzer und Leiter des Verlags "Folio" Oleksandr Krasowyzkyj, der an dem Gesetz mitgewirkt hat. Das Druckverbot gilt aber nicht für russischsprachige Bücher, die noch bis zum 1. Januar 2023 in der Ukraine herausgegeben werden sollen.
Wie soll das Verbot umgesetzt werden?
Das Verbot nehme vor allem Autoren mit russischem Pass ins Visier, so Krasowyzkyj. Ihm zufolge wird der Sachverständigenrat jeden Fall aber einzeln betrachten. Werke, zum Beispiel von Alexander Puschkin oder Leo Tolstoi, die jetzt in Russland gedruckt werden, dürfen laut Gesetz nicht mehr in die Ukraine eingeführt werden. Wenn deren Werke jedoch in einem anderen Land herausgegeben werden, dann können sie in die Ukraine gebracht werden.
Für einige wird es daher künftig kompliziert: Beispielsweise dürfen in Russland gedruckte Bücher von Autor Boris Akunin, der zwar nicht mehr in Russland lebt, aber weiterhin russischer Staatsbürger ist, nicht mehr in die Ukraine eingeführt werden. Seine Bücher dürfen nur dann legal in der Ukraine verkauft werden, wenn sie in einem anderen Land erscheinen und vor einer Einfuhr vom Sachverständigenrat auf anti-ukrainische Rhetorik hin geprüft und freigegeben werden.
Auch für Privatpersonen gibt es Ausnahmen. Wenn jemand ein Buch nicht zum Vertrieb und nicht mehr als zehn Exemplare davon im Gepäck mitführt und das Buch nicht auf der Liste anti-ukrainischer Literatur steht, dann darf es eingeführt werden.
Moskau reagierte wie zu erwarten auf die Gesetze: Die ukrainische Sprache im täglichen Leben zu verankern, unterdrücke die große Zahl der russischsprachigen Ukrainer, hieß es aus Russland.
Lehrplan ohne russische Klassiker?
Der nächste Schritt könnte der Ausschluss russischer Literatur aus dem Lehrplan der Schulen sein. Eine Arbeitsgruppe des Bildungsministeriums hat bereits empfohlen, die Werke von rund 40 russischen und sowjetischen Schriftstellern und Dichtern zu streichen - darunter auch Leo Tolstoi, Alexander Puschkin, Fjodor Dostojewski und Michail Bulgakow. Eine endgültige Entscheidung der Behörden liegt aber noch nicht vor.
Der Schriftsteller Rostyslaw Semkiw befürwortet sogar, russische Literatur gar nicht mehr im Unterricht einzusetzen. "Ich sehe derzeit nicht, wie man Schülern die Schönheit der russischen Poesie nahebringen kann. In Klassenzimmern sitzen Kinder, deren Zuhause zerstört wurde, die flüchten mussten, unter Beschuss waren oder Angehörige verloren haben", sagte Semkiw im ukrainischen Fernsehen. Deutsche Literatur sei erst 1960, also 15 Jahre nach dem Sieg über den Nationalsozialismus, im Lehrplan der sowjetischen Schulen wieder aufgetaucht. Den Anfang habe man damals mit Goethes Faust gemacht.
Andrij Hirnyk, Professor für Psychologie und Pädagogik an der Universität "Kiew-Mohyla-Akademie" meint, russische Literatur und Kultur habe vor Russlands Angriff sowieso unverhältnismäßig viel Platz in der Ukraine eingenommen. Nun werde man der englischen, deutschen, französischen, chinesischen und ukrainischen Literatur einfach größere Bedeutung beimessen.
Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk