1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Serhij Zhadan erhält Hannah-Arendt-Preis

Torsten Landsberg
14. Juli 2022

Nach dem Friedenspreis erhält der ukrainische Schriftsteller auch den Hannah-Arendt-Preis. Einmal mehr wird auch sein soziales Engagement gewürdigt.

https://p.dw.com/p/4DI3e
Serhij Zhadan
Serhij Zhadan ist eine der bekanntesten Stimmen der ukrainischen GegenwartsliteraturBild: STAR-MEDIA/IMAGO

Der Schriftsteller erhält die Auszeichnung für seine Einblicke in die ukrainische Gesellschaft. Die Jury würdigte Zhadan als großen Erzähler, der die Tradition der mitteleuropäischen Literatur fortführe und revolutioniere, wie der Bremer Senat am Donnerstag mitteilte. Der Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken wird gemeinsam vom Senat in Bremen und der Heinrich-Böll-Stiftung vergeben. Zhadans literarische Erzählungen über das Überleben im Krieg stünden "einzigartig in der jüngeren europäischen Literatur".

Der Hannah-Arendt-Preis ist bereits die zweite Auszeichnung binnen kurzer Zeit, die Serhij Zhadan zugesprochen wird. Ende Juni war bekannt geworden, dass der Schriftsteller, Dichter und Musiker in diesem Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhält.

Humanitäre Haltung

Die Jury des Friedenspreiseswürdigte Zhadans "humanitäre Haltung, mit der er sich den Menschen im Krieg zuwendet und ihnen unter Einsatz seines Lebens hilft". Nach der russischen Invasion in die Ukraine blieb Zhadan - wie bereits im Frühjahr 2014 im Zuge der Krim-Annexion und des Kriegsbeginns im Osten der Ukraine - in Charkiw, wohin er als Jugendlicher mit seinen Eltern gezogen war.

Die Jury des Hannah-Arendt-Preises führte weiter aus, der 47 Jahre alte Schriftsteller beschreibe die ukrainische Welt nicht nur, sondern helfe, sie "in all ihrem Chaos, ihrem Leid, ihrer Menschlichkeit" zu verstehen. Zhadan sorge sich um die Gesellschaft, indem er tatkräftig dazu beitrage, dass die Menschen im "russischen Angriffskrieg den Mut nicht verlieren".

Singen im U-Bahnhof

Seit Kriegsbeginn gab Serhij Zhadan Konzerte in U-Bahnhöfen und Krankenhäusern, sammelte online Spenden für das Militär und für humanitäre Hilfe, versorgte Menschen mit Lebensmitteln und Kleidung. "Ein Mensch kann nicht nur mit dem Krieg leben", sagte Zhadan in einem DW-Interview Ende April. "Es ist sehr wichtig für sie, ein Wort zu hören, mitsingen zu können, eine bestimmte Emotion auszudrücken."

Buchcover "Die Erfindung des Jazz im Donbass"
Vielfach prämiert: Zhadans Buch "Die Erfindung des Jazz im Donbass"Bild: Suhrkamp

Russland wolle sowohl die staatlichen Strukturen als auch das Wesen des Staates zerstören, so Zhadan, "aber am schmerzlichsten ist, dass sie die Ukrainer, die Menschen physisch vernichten".

Ein Sieg der Ukraine sei alternativlos, denn eine "Niederlage der Ukrainer würde bedeuten, dass die meisten von uns einfach nicht mehr existieren werden".

Neben seinem Engagement erhält Zhadan den Friedenspreis für sein herausragendes künstlerisches Werk, teilte die Jury im Juni in Frankfurt mit. Seine Romane, Essays, Gedichte und Songtexte erzählten davon, wie Krieg und Zerstörung die Menschen erschütterten - und wie sie gleichzeitig versuchten, ein unabhängiges, von Frieden und Freiheit bestimmtes Leben zu führen.

Buch des Jahrzehnts

Der Schriftsteller wurde 1974 im Gebiet Luhansk in der Ostukraine geboren, in Charkiw studierte er Literaturwissenschaften, Germanistik und Ukrainistik und promovierte über den ukrainischen Futurismus. In den 1990er-Jahren veröffentlichte er seine ersten Gedichte und wirkte an der Organisation von Literatur- und Musikfestivals in der zweitgrößten Stadt der Ukraine mit.

Serhij Zhadan
Geschichten vom Krieg: Serhij Zhadan erlebt die russische Aggression in CharkiwBild: Maksym Kosmenko

Von Zhadan erschienen zwölf Gedichtbände und sieben Prosawerke. Obwohl er in einem überwiegend russischsprachigen Umfeld aufgewachsen ist, schreibt er auf Ukrainisch. Sein Buch "Die Erfindung des Jazz im Donbass" von 2014 erhielt mehrere Preise, die ukrainische BBC kürte das Werk zum ukrainischen Buch des Jahrzehnts.

Die deutsche Fassung des 2018 veröffentlichen Romans "Internat" erhielt den Übersetzer-Preis der Leipziger Buchmesse. Darin reflektiert Zhadan, der sich 2013 an den pro-europäischen Maidan-Protesten beteiligt hatte, den Krieg im Donbass nach 2014: Die Geschichte eines Lehrers, der im Nebel des Kriegsgebiets seinen Neffen von der Schule abholt, ist eine Allegorie auf ein apokalyptisches ukrainisches Grenzgebiet unter russischer Bedrohung.

Preise

Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ist mit 25.000 Euro dotiert und wird seit 1950 vergeben. Geehrt werden Persönlichkeiten, die in Literatur, Wissenschaft oder Kunst zur Verwirklichung des Friedensgedankens beigetragen haben. 2021 wurde die simbabwische Autorin und Filmemacherin Tsitsi Dangarembga ausgezeichnet. Der Preis wird im Oktober zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse überreicht.

Der Hannah-Arendt-Preis ist mit 10 000 Euro dotiert und wird am 2. Dezember 2022 im Bremer Rathaus überreicht.

Der ursprünglich am 27. Juni 2022 veröffentlichte Artikel wurde am 17. Juli 2022 anlässlich der Auszeichnung mit dem Hannah-Arendt-Preis aktualisiert.