Ukraine-Krieg: Mit Drogen gegen Kriegstraumata
3. November 2023Substanzen wie LSD, Psilocybin aus "high" machenden Pilzen oder das auch in Pflanzen auftretende DMT sind weltweit geächtet, seit sie 1971 durch eine UN-Konvention verboten wurden. Doch seit Russlands Großinvasion in der Ukraine steigt dort die Zahl der Befürworter dieser Substanzen im Einsatz in der Psychotherapie.
Denn gleichzeitig steigen die schweren psychischen Erkrankungen. Vor allem bei der Behandlung von Soldatinnen und Soldaten mit posttraumatischen Belastungsstörungen durch den Einsatz an der Front greifen Psychotherapeuten vermehrt auf diese illegalen Substanzen zurück, wie gleich mehrere Psychotherapeuten der DW in verschiedenen Gesprächen bestätigt haben.
Legalisierung durch das ukrainische Parlament
Mit politischem Druck auf das Parlament wollen Fachleute in der Ukraine die Behandlung mit diesen Substanzen jetzt erleichtern. Federführend ist die Direktorin des Zentrums für die Behandlung von Kriegsveteranen des ukrainischen Gesundheitsministeriums. "Wir treiben diese Veränderungen voran", sagt Ksenia Voznitsyna im DW-Interview.
So solle das Parlament "konkrete Schritte festlegen, was wir tun müssen, um die psychedelisch unterstützte Therapie in der Ukraine verfügbar zu machen. Psychedelika stehen ebenso wie Cannabis auf der Liste der verbotenen Drogen. Und sie sind nicht in den Behandlungsprotokollen, zum Beispiel für PTBS, enthalten. Das wollen wir ändern."
Voznitsyna ist vom Erfolg ihres Ansatzes gerade jetzt in Kriegszeiten in der Ukraine überzeugt: "Eine herkömmliche Psychotherapiesitzung dauert eine Stunde, höchstens zwei. Ein Mensch mit einem psychischen Trauma braucht viele solcher Sitzungen. Daher zieht sich die Therapie oft über ein oder zwei Jahre hin", so Voznitsyna.
Die "psychedelisch unterstützte Therapie" könne helfen, den Heilungsprozess zu beschleunigen. "Das ist wichtig, denn aufgrund des Krieges haben wir es mit komplizierten Fällen zu tun, die mit konventioneller Behandlung nicht zu behandeln sind", so Voznitsyna.
Gesprächstherapie unter Drogen
Die Ukrainerin schränkt aber auch ein: "Es sind nicht die Psychedelika, die heilen, sondern die Therapie", so die Direktorin des dem Gesundheitsministerium unterstellten Veteranen-Zentrums. Also die Gesprächspsychotherapie, die stattfindet, während der Patient unter dem Einfluss einer Droge steht wie Psilocybin, das in psychotropen Pilzen enthalten ist, oder eben dem als Ecstasy bekannten MDMA, von Ketamin und anderen Stoffen. Eine solche Therapie müsse in medizinischen Zentren durchgeführt werden. Sie dauere bis zu acht Stunden und erfordere die Kontrolle und Überwachung durch professionelle Psychotherapeuten.
Die Ukraine bildet damit mitten im Krieg einen Trend ab, mit dem sich Befürworter und Gegner des Drogeneinsatzes in der Psychotherapie seit mehreren Jahren beschäftigen. Wobei die Unterstützer auf harten Widerstand der Traditionalisten stoßen.
Doch vor allem in den USA wächst die Lobby für den Einsatz von Drogen in der Psychotherapie. Dabei haben die Befürworter einen mächtigen Verbündeten: Die Organisationen der Kriegsveteranen der US-Streitkräfte. Auch das Ministerium für Kriegsveteranen der US-amerikanischen Regierung unterstützt die Verwendung von MDMA bei der Therapie von posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS). Tatsächlich erwarten Fachleute, dass eine solche Therapie erstmals 2024 eine Genehmigung erhält.
USA: MDMA-Genehmigung 2024 erwartet
Es wäre eine Entscheidung mit möglicherweise weitreichenden Folgen auch für andere bislang illegale Stoffe. Denn: Warum sollte das eine genehmigt werden, das andere aber verboten bleiben? Tatsächlich arbeiten Mediziner weltweit an zahlreichen Studien zum Einsatz dieser bislang illegalen Stoffe.
Rückenwind erhielt die Legalisierung von MDMA in der Psychotherapie durch die Veröffentlichung einer sogenannten "Phase-Drei-Studie" im US-Wissenschaftsmagazin "Nature". Erfolgreiche Phase-Drei-Studien sind häufig der letzte notwendige Schritt vor der Zulassung eines Medikamentes. Die Untersuchung zur "Sicherheit und Wirksamkeit" von MDMA kam demnach zu dem Schluss, dass der Stoff "die PTBS-Symptome und funktionelle Beeinträchtigung in einer heterogenen Population mit mittelschwerer bis schwerer PTBS reduzierte und allgemein gut vertragen wurde."
Auch in Europa wird daran geforscht. So laufen derzeit bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) vier Studien über die Nutzung von MDMA, eine mit LSD. Zudem gebe es "elf klinische Studien in der EU mit Psilocybin", schreibt EMA-Direktorin Emer Cooke vergangenen März in einer Antwort auf eine fraktionsübergreifende Anfrage von Abgeordneten des Europäischen Parlaments. In dem Brief heißt es weiter: "Ich möchte Ihnen mitteilen, dass die EMA die Notwendigkeit anerkennt, die Entwickler von Psychedelika zu unterstützen und zu diesem Zweck mit ihnen zusammenarbeitet."
Studie mit Psilocybin aus Pilzen in Deutschland vor dem Abschluss
In Deutschland steht eine Studie über die Therapie mit Psilocybin aus Pilzen, den sogenannten "Magic Mushroms", kurz vor dem Abschluss im kommenden Frühjahr. "Wir prüfen die Wirksamkeit und Sicherheit von Psilocybin bei therapieresistenter Depression", sagt Forschungsleiter Gerhard Gründer im DW-Interview. Der Psychiater und Psychotherapeut arbeitet als Professor an der Medizinischen Fakultät in Mannheim.
"Was man jetzt kursorisch sagen kann ist, dass wir gute Erfolge bei einer überschaubaren Zahl von Patienten sehen", so Gründer. Bei vielen helfe es jedoch nicht, was aber vor allem damit zusammenhänge, dass die beteiligten Probanden schon lange an sehr schweren Depressionen erkrankt seien. "Die Konsequenz für uns aus der Studie ist, dass wir frühere Krankheitsstadien behandeln wollen."
Während die Anwendung von MDMA in der Trauma-Therapie bei Kriegsveteranen nachweisbare Erfolge zeige, sieht Gründer den Einsatz von anderen Substanzen im DW-Gespräch kritisch. MDMA gehöre schließlich nicht zur Gruppe der Psychedelika. Substanzen wie Psilocybin aus Pilzen "werden in den meisten klinischen Studien nicht angewendet bei posttraumatischen Belastungsstörungen, da fürchtet man eine Retraumatisierung", so Gründer. Auch die Therapie mitten im Krieg kritisiert Gründer: "Dass das überhaupt sicher ist, so etwas zu machen in einem Kriegsgebiet, halte ich für ethisch auch sehr, sehr fragwürdig."
Das sieht die ukrainische Expertin Ksenia Voznitsyna vom Staatlichen Zentrum für psychische Gesundheit und Rehabilitation von Veteranen anders: Sie will die Forschung auch im Land selbst vorantreiben - gerade mitten im Krieg. Doch sie rät im DW-Gespräch Soldaten mit psychischen Traumata davon ab, zu Psychologen zu gehen, die illegal psychedelisch unterstützte Therapien bereits durchführen oder auch sich selbst zu therapieren. Wichtig sei dagegen eine zügige Legalisierung durch das ukrainische Parlament und die Erleichterung der kontrollierten Anwendung von MDMA und Psychedelika in der Ukraine.