80 Jahre LSD - eine Droge macht Geschichte
16. April 2023Spätestens seit Prinz Harry in seiner Biographie "Spare" über Drogenexperimente schrieb, weiß die Welt: Auch ein Royal greift schon mal zu psychedelischen Substanzen. Und seit Michael Pollans 2018 veröffentlichtes Buch "How to Change your Mind" zum Bestseller wurde und anschließend für eine Netflix-Serie adaptiert wurde, ist klar: Veränderte Bewusstseinszustände sind ein Thema für ein Millionenpublikum. Seit schließlich das deutsche Gesundheitsministerium eine klinische Studie zur Behandlung von Depressionen mit psychedelischen Drogen mit über 1, 3 Millionen Euro fördert, steht fest: LSD und Co. kommen heraus der Schmuddelecke jahrzehntelanger Stigmatisierung. Psychedelika sind zwar weiterhin verboten und nur mit besonderen Genehmigungen zugänglich. Aber sie sind wieder Gegenstand seriöser wissenschaftlicher Forschung. Sie sind Grundlage von Geschäftsmodellen börsengehandelter Unternehmen. Und sie sind in die Populärkultur zurückgekehrt.
"LSD – mein Sorgenkind"
Wie gerne hätte Albert Hofmann das noch erlebt! Über ein Vierteljahrhundert hat der Erfinder des LSD, von dem der Chemiker immer sagte "es habe ihn gefunden", um die wissenschaftliche Rehabilitation der Droge gekämpft. Seine Autobiographie hatte Hofmann 1979 mit dem Titel "LSD – mein Sorgenkind" überschrieben. Und sich zugleich gewünscht, es könnte doch noch zum Wunderkind werden. Er sah für die Droge großes Potential in der Behandlung psychischer Krankheiten und in Erforschung des Bewusstseins.
Doch als Hofmann 2008 im biblischen Alter von 102 Jahren starb, zeichnete sich die heute erkennbare "psychedelische Renaissance" erst in Anzeichen ab. Der Suchbegriff "Microdosing" für eine lediglich stimmungsaufhellende Wirkung von LSD warf bei Google noch nicht über 12 Millionen Ergebnisse aus. Auf Facebook wurden noch keine Psychedelika-assistierten Selbsterfahrungsgruppen angeboten. Vor allem aber lag die wissenschaftliche Erforschung von LSD und seinen Verwandten nach Jahrzehnten des Verbots am Boden.
Psychedelische Renaissance
Das hat sich mittlerweile gründlich geändert. Weltweit werden Kongresse und Konferenzen zum Thema Psychedelika abgehalten. Auf einem dieser Kongresse, der "Insight" in Berlin, traf die DW 2021 Rick Doblin, Gründungsdirektor der Multidisciplinary Association for Psychedelics Studies, MAPS. War vor 20 Jahren Forschungsinteresse an psychedelischen Drogen noch ein sicherer Karriere-Killer, hat sich die Lage inzwischen komplett gedreht, erklärte der US-Amerikaner mit dem breiten Lächeln. "Wenn Sie ein Institut für Psychiatrie leiten, werden Sie keinen Nachwuchs finden, wenn Sie nicht etwas über Psychedelika anbieten", beschrieb Doblin den Trend in den USA. "Das beste Beispiel ist Harvard, wo der Psychologe Timothy Leary mit LSD gearbeitet hat: Harvard hat jetzt ein Zentrum für psychedelische Forschung am Massachusetts General Hospital", fuhr Doblin fort - und nannte gleich noch ein halbes Dutzend weiterer Forschungsinstitute, die Psychedelika in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellen.
1943: Der welterste LSD-Trip
Wissenschaft und Medizin standen auch am Anfang von LSD: 1943 sucht der damals 37-jährige Chemiker Albert Hofmann in einem Labor des Schweizer Pharmakonzerns Sandoz nach einem Kreislaufmittel. Am 16. April erinnert er sich an eine Substanz, die er bereits fünf Jahre zuvor synthetisiert, aber dann beiseitegelegt hatte: Lysergsäurediethylamid, kurz LSD. Für den akribischen Forscher untypisch, scheint Hofmann an einer Stelle unsauber gearbeitet und mit einer minimalen Menge LSD in Kontakt geraten zu sein. Er bemerkt an sich selbst ein ungewöhnlich starkes Bilderleben: "Was immer ich mir vorstellte, war bildhaft vor mir, tief beglückend. Es dauerte drei, vier Stunden, und dann verschwand es", erinnerte sich Hofmann 2006 auf einer Podiumsveranstaltung aus Anlass seines 100. Geburtstags.
Neugierig geworden, entschließt sich Hofmann drei Tage später zum Selbstversuch. Am 19. April 1943 nimmt der Chemiker eine nach konventionellem Wissen sehr vorsichtig bemessenen Menge LSD ein: 250 Mikrogramm, ein Viertel eines Tausendstel Gramms. Und hat damit trotzdem überdosiert. Die Substanz katapultiert Hofmann zunächst in ein alptraumhaftes Erleben. Der junge Chemiker glaubt zu sterben; danach aber erlebt er intensivste Bilder und Glücksgefühle. Anderntags kann er sich präzise an das Erlebte erinnern – körperliche Beschwerden hat er keine. Im Gegenteil: Die Welt, so schildert es Hofmann später, kam ihm vor wie "neu".
LSD vom Pharmakonzern
Eine Substanz, die in so kleinen Mengen so stark auf das Bewusstsein wirkt - ohne körperliche Nebenwirkungen? Das Interesse von Sandoz ist geweckt. Jetzt sucht der Pharmakonzern nach einer Anwendung. Sandoz produziert LSD in größerem Maßstab und verteilt es unter dem Namen "Delysid" kostenlos an Forschungsinstitute in aller Welt.
Tatsächlich macht das Medikament in den 1950er Jahren Karriere in der Medizin. Gute Ergebnisse werden zum Beispiel bei der Behandlung von Alkoholsucht mit LSD-Sitzungen erzielt. Auch in der Psychotherapie wird die Substanz eingesetzt. Als der Schauspieler Cary Grant 1959 nach einer Serie von therapeutischen Sitzungen mit LSD von der Substanz schwärmt, berichtet unter anderem das Magazin "Look" in einem groß aufgemachten Bericht über "Die wundersame Geschichte hinter dem neuen Cary Grant".
Die Forschung boomt; pro Jahr erscheinen rund 100 wissenschaftliche Papiere in der Fachpresse. In Deutschland eröffnet 1960 der Göttinger Psychiater Hanscarl Leuner das "Erste europäische Symposion für die Psychotherapie unter LSD 25".
Vom Labor ins Atelier auf die Straße
Zugleich verlässt LSD die Bereiche von Forschung, Medizin, Therapie und sickert zunächst in die Kreise von Künstlern und Intellektuellen ein. Immer mehr Menschen begeben sich zur Sinnsuche auf psychedelische Innenreisen. Die Substanz noch legal, die Medien sind wohlwollend. In den 1960er Jahren setzt LSD der Kunst und vor allem der Musik ihren Stempel auf. Eine zumindest teilweise durch Drogen befeuerte Jugendrevolution sorgt für tiefgreifende Umwälzungen in Kultur und Gesellschaft. Und leitet zugleich die Gegenbewegung ein.
Mit der Popularisierung der Droge kommt es vermehrt zu Missbrauch, Unfällen, Horrortrips und Psychosen. Der Tenor der lange Zeit positiven Berichterstattung kippt. Die einstige Wunderdroge wird in den Medien zur Wahnsinnsdroge stilisiert. 1965 lässt US-Präsident Lyndon B. Johnson LSD in den USA verbieten. Sandoz stellt die Produktion ein. LSD wandert in den Untergrund.
Ende - und Neubeginn
Mit dem Verbot kommt auch die legitime Forschung komplett zum Erliegen, für mehrere Jahrzehnte. Erst zu Beginn der 2000er Jahre beginnt sich das Blatt langsam zu wenden. Erste Studien mit psychedelischen Drogen werden wieder zugelassen. Und liefern vor allem bei Depressionen ermutigende Ergebnisse.
Einer der wenigen Ärzte, die in der Schweiz eine Lizenz zur psychotherapeutischen Arbeit mit LSD besitzen, ist Peter Gasser. Für ihn ist die wichtigste therapeutisch nutzbare Eigenschaft der Substanz, "dass sie uns ermöglicht Verbindung und Verbundenheit herzustellen. Depression ist ja die Krankheit des Verlustes der Verbindung zu sich und der Welt".
Weltweit leben nach Schätzung der WHO etwa 300 Millionen Menschen mit Depressionen. In Deutschland sind es geschätzt fünf Millionen; das Gesundheitsministerium spricht von einer "Volkskrankheit". Die Behandlung mit psychedelischen Drogen ist der erste neue erfolgversprechende Therapieansatz seit vielen Jahren.
Kongress zum Jahrestag
Peter Gasser gehört auch zu den Organisatoren eines Kongresses aus Anlass des 80. Jahrestages der weltersten LSD-Erfahrung. Zwei Kinder des Erfinders Albert Hofmann sind dort als Ehrengäste geladen. Ein Enkel Hofmanns, selbst Chemiker, hält einen Vortrag über LSD. Vorgestellt wird auch ein Projekt zum Einsatz von LSD bei Angstzuständen, bei dem Gasser selbst mitgewirkt hat. "Wir haben ein schönes Forschungsprojekt gemacht, mit guten Resultaten und zufriedenen Patienten. Was will man mehr?", sagt Gasser mit dem ihm eigenen Understatement.
Vielleicht entwickelt sich nach 80 Jahren wechselhafter Geschichte Hofmanns Sorgenkind doch noch zum Wunderkind.