Gerichtshöfe beschäftigen sich mit Putins Krieg
3. März 2022Vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag hat am kommenden Montag die Ukraine das Wort. Das Gericht der Vereinten Nationen, das zwischenstaatliche Streitigkeiten regeln soll, befasst sich mit einer Art einstweiliger Verfügung, die die Regierung der Ukraine gegen Russland auf Grundlage der UN-Konvention gegen Völkermord beantragt hat. Die UN-Richter sollen den Angriff Russlands als Genozid einstufen und gleichzeitig Russlands Behauptung, in der Ostukraine werde von ukrainischen Truppen Völkermord an der russischen Minderheit begangen, zurückweisen. Diesem Antrag des ukrainischen Beschwerdeführers werden die Anwälte des Kremls am Dienstag vehement widersprechen, denn Russland stellt die Zuständigkeit des Gerichts in Den Haag in Abrede. Da kein Völkermord durch Russland verübt werde, gebe es keinen Fall und somit auch kein Gericht, das zuständig wäre.
Zuständigkeit fraglich
Die Krux bei Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof: Klagende und beklagte Staaten müssen die Zuständigkeit des Gerichts im Konsens anerkennen. Russland - und übrigens auch die USA - haben das Gericht der Vereinten Nationen nie pauschal als zuständig anerkannt, sondern müssen im Einzelfall meist ihre Zustimmung geben, erläutert der Göttinger Professor Kai Ambos, Experte für internationales Strafrecht. Deshalb ist kaum zu erwarten, dass die Anhörung Anfang kommender Woche zu greifbaren Ergebnissen im Sinne der attackierten Ukraine führen wird. Doch das Verfahren lenkt die Aufmerksamkeit auf die internationalen Gerichte, die sich mit dem Krieg des russischen Präsidenten Wladimir Putin auseinandersetzen werden.
Schnelle Ermittlungen wegen Verbrechen
Ein zweites Verfahren vor einem anderen Gericht der internationalen Staatengemeinschaft kommt ebenfalls ins Rollen: Der Ermittler beim Internationalen Strafgerichtshof hat bereits mit seinen Untersuchungen begonnen, ob der russische Präsident oder andere Führungsfiguren im Kreml für Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Ukraine verantwortlich sind. Der Internationale Strafgerichtshof soll das Völkerrecht durchsetzen und stellt die Schuld von einzelnen Personen fest. Er urteilt nicht, wie der Internationale Gerichtshof der Vereinten Nationen, über das Verhalten von Staaten, sondern über individuelle Angeklagte. "Ich bin sehr zufrieden, dass wir glaubhaft begründen können, dass die vorgeworfenen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Ukraine begangen worden sind", sagte der Chefankläger der Gerichtshofes, Karim Khan, in Den Haag. Er habe seine Staatsanwälte angewiesen, zu ermitteln und Beweise zu sichern. Die ersten Ermittler seien bereits die Region unterwegs, sagte Khan am Donnerstag.
Für Kai Ambos, Experte für Internationales Strafrecht an der Universität Göttingen, geht das alles sehr schnell. "Es ist schon außergewöhnlich. Das hatten wir eigentlich noch nie, seit der Strafgerichtshof existiert, dass der Ankläger so schnell reagiert, ohne dass der UN-Sicherheitsrat involviert ist", sagte Ambos der DW.
39 Staaten schließen sich an
Die Arbeit von Ermittler Karim Khan erhält noch mehr Gewicht dadurch, dass 39 Staaten unter Führung Großbritanniens das Verfahren förmlich unterstützen. Dadurch werden sofortige umfangreiche Ermittlungen möglich, eine Prüfung durch eine sogenannte "Verfahrenskammer" mit drei Richtern entfällt, meinte die britische Außenministerin Liz Truss. Eine Untersuchung der "barbarischen Handlungen Russlands ist dringend notwendig und die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden", sagte Truss in London. Zu den 39 Unterstützer-Staaten gehören neben Deutschland fast alle EU-Mitglieder, aber auch Kanada, Neuseeland und Costa Rica.
Russland wird kaum kooperieren
Der Göttinger Professor Ambos meint, es sei besser, wenn sich die Staaten in der jetzigen Lage mit dem internationalen Strafgerichtshof und seinem Ermittler solidarisierten. "Er kann von Amts wegen ermitteln, aber er hat natürlich noch einmal mehr Legitimation, wenn zusätzlich Staaten auf die Situation in der Ukraine verweisen", so Ambos. Ein Problem für das weitere Verfahren sei allerdings, dass Russland dem Vertrag, auf dem der Gerichtshof basiert, dem Statut von Rom, nicht beigetreten ist. Russland sei, wie etwa auch China, ein "Feind" des Gerichts, erklärt Ambos. "Nur Vertragsstaaten sind kooperationspflichtig. Das trifft für Russland nicht zu." Die Ukraine ist ebenfalls kein Vertragsstaat, hat sich aber durch eine Erklärung der Rechtsprechung der Richter in Den Haag unterworfen.
Putin als Angeklagter?
Wird der russische Präsident Wladimir Putin jemals auf der Anklagebank sitzen, falls das Verfahren weitergeht? "Ganz ausgeschlossen ist es nicht, aber es ist nicht wahrscheinlich, dass Herr Putin irgendwann vor dem Gerichtshof erscheinen muss", antwortet der Strafrechtler Kai Ambos. Machthaber wie Putin würden meist im Amt sterben und deshalb nicht ausgeliefert. Eine Möglichkeit sei ein Sturz Putins durch die Opposition. Dann könnte eine neue Regierung in Russland den abgesetzten Präsidenten nach Den Haag überstellen. So geschah es im vergangenen Jahr dem ehemaligen Präsidenten des Sudan, Omar al-Bashir, der von der neuen Regierung des Landes ausgeliefert wurde. "Wir können nicht voraussagen, wie sich die Weltgeschichte weiterentwickelt. Man muss ein großer Optimist sein", meinte Kai Ambos gegenüber der DW.
Weitere Klage wegen Ukraine-Krieg denkbar
Im Laufe eines möglichen Verfahrens könnte der Strafgerichtshof einen internationalen Haftbefehl gegen Putin und andere mutmaßliche Täter erlassen. Sie könnten dann bei Reisen in Vertragsstaaten des Gerichtshofs festgenommen werden. Möglich ist auch, dass die Staatsanwälte einzelner Staaten Ermittlungen aufnehmen, wie am Donnerstag in Litauen geschehen. Auch in Deutschland wären solche Verfahren denkbar. Im Januar war in Koblenz im ersten Verfahren weltweit ein syrischer Arzt wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Syrien-Krieg verurteilt worden. Solche Verfahren nach "Weltrechtsprinzip" sind grundsätzlich auch gegen Russen möglich, die am Krieg gegen die Ukraine beteiligt sind. Die Strafanzeige kann jeder bei der Bundesanwaltschaft stellen. Verfahren könnten auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte des Europarates in Straßburg eingeleitet werden. Im Falle der Jugoslawienkriege hatten die Vereinten Nationen einen speziellen Gerichtshof, ein Sondertribunal, eingesetzt. Das könnte im Falle Russland aber an dessen Veto-Recht im UN-Sicherheitsrat scheitern.