Aktuell: Selenskyj ruft Russen zur Fahnenflucht auf
25. September 2022
Das Wichtigste in Kürze:
- Selenskyj fordert russische Soldaten zur Aufgabe auf
- Russische Behörde bestätigt Andrang bei Ausreise
- Trotz Beschuss - russische Besatzer lassen weiter abstimmen
- China: Ukraine-Krieg darf sich nicht ausweiten
- Lawrow: Westen will Russland "zerstückeln"
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die Teilmobilmachung in Russland für den Krieg gegen sein Land als ein "Verbrechen" verurteilt und die russischen Kämpfer zum Aufgeben aufgefordert. Es sei besser, die Einberufung zum Dienst abzulehnen, als auf fremder Erde als Kriegsverbrecher zu sterben, betonte Selenskyj in einer am Samstagabend veröffentlichten Videobotschaft in russischer Sprache. Zugleich bot er an, dass sich russische Soldaten freiwillig in Kriegsgefangenschaft begeben könnten. Dort würden sie zivilisiert behandelt.
Mit Blick auf die hohen Strafen für Fahnenflüchtige in Russland, die Kremlchef Wladimir Putin am Samstag in Kraft setzte, sagte Selenskyj, dass niemand erfahren werde, unter welchen Umständen die Soldaten aufgäben. "Wenn Ihr Angst habt zurückzukehren und keinen Gefangenenaustausch wollt, dann werden wir einen Weg finden, auch das sicherzustellen."
"Die Ukraine wird alles für ihren Sieg tun", versicherte Selenskyj. Sie habe das Recht, ihre Kinder und ihre Freiheit gegen die russischen Eindringlinge zu verteidigen.
Kremlchef Putin will rund 300.000 Reservisten einziehen lassen, um nach militärischen Rückschlägen der russischen Armee in der Ukraine die dort noch besetzten Gebiete zu halten. Bei vielen jüngeren Russen löste die Teilmobilmachung Panik aus. Bei Protesten in etlichen russischen Städten wurden seit Mittwoch laut Agenturberichten schon mehr als 2000 Menschen festgenommen.
"Sie machen die Leute wütend"
Die russische Teilmobilmachung sorgt nun auch bei Anhängern von Staatschef Wladimir Putin zunehmend für Kritik. Der Chef des Kreml-Menschenrechtsrats, Waleri Fadejew, forderte Verteidigungsminister Sergej Schoigu auf, das "Knüppelsystem" vieler Einberufungsstellen zu beenden. Es bekämen sogar Männer Einberufungsbefehle, die keine Kampferfahrung hätten.
Ähnlich äußerte sich die Putin-Vertraute Walentina Matwijenko, Vorsitzende des Föderationsrats, des Oberhauses des russischen Parlaments. Sie verwies darauf, dass auch Männer einberufen wurden, die von der kürzlich verkündeten Teilmobilisierung eigentlich nicht betroffen sein dürften. "Solche Auswüchse sind absolut inakzeptabel. Und ich halte es für absolut richtig, dass sie eine scharfe Reaktion in der Gesellschaft auslösen", schrieb sie im Internet-Dienst Telegram.
Die Chefredakteurin des Staatssenders RT, Margarita Simonyan, wetterte auf ihrem Telegram-Kanal gegen das chaotische Vorgehen der Behörden. "Es wurde bekanntgegeben, dass Gefreite bis zum Alter von 35 Jahren rekrutiert werden können. Die Vorladungen gehen an 40-Jährige", berichtete Simonyan. "Sie machen die Leute wütend, als ob sie das absichtlich tun, als ob sie es aus Bosheit tun. Als ob sie von Kiew geschickt worden wären."
Russische Behörde bestätigt Andrang bei Ausreise
Das Innenministerium der russischen Region Nordossetien hat eine massive Zunahme an Autos an der Grenze zu Georgien bestätigt. "Es gibt einen erheblichen Andrang privater Fahrzeuge", erklärte das Ministerium. Nach seinen Angaben warteten am Samstag "um die 2300" Fahrzeuge darauf, einen Grenzübergang zu passieren. Das Ministerium rief die Menschen dazu auf, Reisen in Richtung Georgien zu unterlassen. Am Donnerstag hatte der Kreml Berichte über eine Flucht wehrfähiger Russen noch als "falsch" abgetan.
Russische Besatzer lassen in Bombenschutzkellern abstimmen
Unterdessen führen die russischen Besatzer in den von Moskau besetzten Gebieten im Osten und Süden der Ukraine die Scheinreferenden über einen Beitritt der Regionen zu Russland trotz Beschuss weiter durch. Nach Angaben der Besatzungsbehörden starben im Gebiet Cherson zwei Menschen in einem Hotel bei einem ukrainischen Raketenangriff. In der Stadt Altschewsk im Gebiet Luhansk teilten die Behörden mit, dass in Bombenschutzkellern abgestimmt werden könne.
Die ukrainische Armee beklagte, Odessa sei in der vergangenen Nacht ein weiteres Mal mit im Iran produzierten Drohnen angegriffen worden. Opfer habe es nicht gegeben.
In der Stadt Enerhodar im Gebiet Saporischschja musste ein Wahllokal wegen massiven Beschusses von ukrainischer Seite an eine andere Stelle verlegt werden, wie die staatliche russische Nachrichtenagentur TASS meldete. Die Angaben können nicht unabhängig überprüft werden. Die Menschen sollen unter der Gewalt der Besatzungsmacht mit "Ja" oder "Nein" darüber abstimmen, ob die Gebiete der Russischen Föderation beitreten sollen.
China: Ukraine-Krieg darf sich nicht ausweiten
China hat Russland und die Ukraine zur Eingrenzung des Krieges aufgerufen, auch um ein Übergreifen auf andere Länder zu verhindern. Eine friedliche Lösung sei notwendig, sagte der chinesische Außenminister Wang Yi bei der Generaldebatte der UN-Vollversammlung in New York. Es brauche "faire und pragmatische" Gespräche zwischen Moskau und Kiew. Dabei müssten die "legitimen Sicherheitsbedenken aller Parteien" berücksichtigt werden.
Peking hat die russische Invasion in der Ukraine zu keinem Zeitpunkt verurteilt und stattdessen die westlichen Sanktionen gegen Moskau sowie Waffenlieferungen an Kiew kritisiert. Vor kurzem erst hatte Russlands Präsident der chinesischen Regierung sogar für ihre "ausgeglichene Position" im Ukraine-Krieg gedankt.
Lawrow: Westen will Russland "zerstückeln"
Der russische Außenminister Sergej Lawrow hat dem Westen vorgeworfen, die Welt spalten und sein Land zerstören zu wollen. Bei der UN-Generaldebatte in New York sagte er mit Blick auf die USA, die EU und deren Verbündete: "Es ist ihnen nicht mal mehr peinlich, offen zu erklären, dass es nicht nur die Absicht gibt, unserem Land eine militärische Niederlage zuzufügen, sondern Russland zu zerstören, zu zerstückeln." Die "offizielle Russophobie im Westen ist beispiellos, das Ausmaß ist grotesk", so Lawrow.
Einmal mehr kritisierte Lawrow auch westliche Waffenlieferungen an die Ukraine. Die Vereinigten Staaten, die NATO und die Europäische Union könnten vor diesem Hintergrund nicht behaupten, an dem "Konflikt" unbeteiligt zu sein.
Kritik an den laufenden "Referenden" in mehreren russisch kontrollierten Gebieten der Ukraine wies der Chefdiplomat zurück. Die Bewohner der Regionen nähmen nur "ihr Land mit, in dem ihre Vorfahren seit Hunderten von Jahren leben." Der "Wutausbruch" des Westen sei unbegründet, meinte Lawrow.
Medien: Duma soll bald über Annexion beraten
Das Unterhaus des russischen Parlaments könnte sich laut Medienberichten bereits am kommenden Donnerstag mit Gesetzesvorlagen zur Annexion besetzter Teile der Ukraine befassen. Die Nachrichtenagentur TASS beruft sich auf einen Insider. Die vom Westen als Scheinreferenden bezeichneten Abstimmungen sollen am Dienstag abgeschlossen sein. Dann will sich auf Antrag der USA und Albaniens auch der Weltsicherheitsrat mit dem Thema befassen. UN-Generalsekretär António Guterres hatte eine mögliche Annexion der Gebiete zuletzt als Verletzung des Völkerrechts bezeichnet.
wa/ack/nob/sti/se/jj (dpa, afp, rtr)
Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.