Ukraine aktuell: Selenskyj fordert freie Fahrt für Getreide
21. Januar 2023
Das Wichtigste in Kürze:
- Selenskyj fordert ein Ende der Behinderungen für Getreideschiffe
- Selenskyj beharrt auf der Lieferung moderner Kampfpanzer
- Ukrainischer Verteidigungsminister kündigt Leopard-Training in Polen an
- US-Vertreter spielen möglichen Fall von Bachmut herunter
- G7-Länder wollen Ölpreisdeckel überprüfen
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat freie Fahrt für Nahrungsmittelexporte über das Schwarze Meer gefordert. Mehr als 100 Schiffe mit Getreide und anderen Erzeugnissen reihten sich gerade in der Nähe des Bosporus aneinander, sagte er in einer Videobotschaft bei einer internationalen Agrarministerkonferenz in Berlin. Sie säßen dort wochenlang fest, weil russische Vertreter vorgesehene Inspektionen blockierten.
Für Europa führte das zu höheren Preisen, machte Selenskyj in seiner Botschaft für die Konferenz unter Vorsitz von Bundesagrarminister Cem Özdemir deutlich. Für Asien bedeute es wachsende Gefahr sozialer Instabilität. Für afrikanische Länder wie Äthiopien und den Sudan sei die Folge, dass Tausende Familien nichts zu Essen hätten. Die Ukraine wolle trotz des russischen Angriffskrieges weiter Nahrungsmittel für die Welt bereitstellen. Trotz andauernder russischer Raketenangriffe auf die Infrastruktur und brutaler Kämpfe in landwirtschaftlich wichtigen Regionen bestellten Bauern weiter die Felder.
Das russische Außenministerium konterte per Pressemitteilung, auf die Reihenfolge der Überprüfung von den 64 in ukrainischen Häfen und Inspektionszonen liegenden Schiffen habe Russland gar keinen Einfluss. Moskau sprach von einem "künstlichen Stau" und erklärte, Kiew lasse sich "allein von selbstsüchtigen Zielen" leiten, "mehr und schneller" zu verkaufen.
Russland sowie die Ukraine haben nach langen Verhandlungen jeweils ein Abkommen mit den Vereinten Nationen und der Türkei abgeschlossen und bereits einmal verlängert. Nachdem monatelang überhaupt keine landwirtschaftlichen Produkte exportiert werden, sind so Ausfuhren unter strengen Kontrollen wieder möglich. Allerdings gab es seitdem wiederholt Probleme in der Umsetzung; zwischenzeitlich suspendierte Russland seine Teilnahme sogar ganz.
Selenskyj: "keine Alternative" zu westlichen Kampfpanzern
Nach der Ukraine-Konferenz auf dem rheinland-pfälzischen US-Militärstützpunkt Ramstein ringt der Präsident des von Russland angegriffenen Landes weiter um die Lieferung deutscher Kampfpanzer. Wolodymyr Selenskyj sagte in seiner allabendlichen Videobotschaft: "Wir werden noch kämpfen müssen. Aber mit jedem Tag machen wir deutlicher, dass es keine Alternative gibt."
Nicht alles, worüber in Ramstein gesprochen wurde, sei für die Öffentlichkeit bestimmt, so der ukrainische Staatschef. "Die Partner stehen fest zu ihrer Haltung, dass sie die Ukraine so lange unterstützen, wie es für unseren Sieg notwendig ist." Schon jetzt sei es gelungen, die Schlagkraft der Artillerie zu stärken. Sein Land verzeichne Erfolge durch Mehrfachraketenwerfer und die Flugabwehr. Zuletzt hatten etliche Länder weitere Militärhilfen für Kiew angekündigt, allen voran die USA, die Bradley-Schützenpanzer, gepanzerte Fahrzeuge, Luftabwehrsysteme und Munition schicken wollen.
Kiew: Ausbleibende Panzer-Lieferungen führen zu noch mehr Toten
Der Berater des ukrainischen Staatschefs Wolodymyr Selenskyj, Mychailo Podoljak, warf dem Westen vor, mit ihrem Zögern beim Liefern von schweren Panzern wie dem deutschen Leopard 2 noch mehr Kriegstote in Kauf zu nehmen. Die "globale Unentschlossenheit" in dieser Frage "tötet mehr unserer Leute", schrieb Podoljak im Onlinedienst Twitter. "Jeder Tag der Verzögerung bedeutet den Tod für Ukrainer."
Nach seiner Ansicht wird es darauf hinaus laufen, dass die Unterstützerländer der Ukraine schlussendlich Kampfpanzer liefern werden. "Ihr werdet der Ukraine sowieso mit den notwendigen Waffen helfen und feststellen, dass es keine andere Option gibt, um den Krieg zu beenden", twitterte Podoljak. Mit Blick auf Erklärungen Deutschlands und anderer Länder, die Lieferung von Kampfpanzern müsse noch geprüft werden, schloss der Präsidentenberater seine Botschaft mit den Worten: "Denkt schneller nach".
"Kein einheitliches Meinungsbild"
Eine Entscheidung zur Lieferung deutscher Leopard-Kampfpanzer wurde nach offiziellen Angaben auf der Konferenz in Ramstein nicht getroffen. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius sagte, es gebe hierzu "kein einheitliches Meinungsbild". Der Eindruck, Deutschland stehe einer "geschlossenen Koalition" im Wege, sei falsch. In Abstimmung mit den Verbündeten werde die Bundesregierung "so bald wie möglich" einen Beschluss fassen.
Der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter sprach angesichts dessen von einem "kommunikativen Desaster". Er sagte der Deutschen Welle, die Ukraine könne nicht länger warten. Dem Land gingen die Soldaten und die Waffen aus. "Jeder Tag zählt", so Kiesewetter. Er gehe davon aus, dass die Glaubwürdigkeit der europäischen Partner Schaden nehme.
Laut dem ukrainischen Verteidigungsminister Olexij Resnikow, der an der Sitzung in Ramstein teilnahm, werden Soldaten seines Landes in Polen auf Leopard-2-Kampfpanzern trainieren. "Wir werden damit anfangen und dann weitermachen", zitierte ihn das ukrainischsprachige Programm des US-Senders "Voice of America". Polen und weitere EU- und NATO-Staaten hatten sich bereiterklärt, der Ukraine eigene Leopard-Panzer zur Verfügung zu stellen. Gemäß den Exportverträgen müsste die Bundesregierung dies jedoch erst genehmigen. Auf Twitter schrieb Resnikow, mit seinem deutschen Kollegen Pistorius habe er eine "offene Diskussion" über das Thema geführt. "Fortsetzung folgt", fügte er hinzu.
EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola geht davon aus, dass die Ukraine auch Leopard-2-Panzer zur Unterstützung im Krieg gegen Russland erhalten wird. Beim Treffen der westlichen Verbündeten auf dem US-Stützpunkt Ramstein "wurden weitere wichtige Zusagen gemacht, und ich bleibe auch im Hinblick auf die Panzer optimistisch, da dies der logische nächste Schritt ist", zitiert das "Handelsblatt" die Malteserin. Die Leopard-2-Panzer stünden deshalb im Zentrum der Debatte, "weil es viele davon gibt, weil sie relativ leicht zu warten sind, weil viele europäische Länder sie haben und weil die Ukraine sie einfach braucht". Es sei gut, dass sich die Bündnispartner in Ramstein auf neue Waffenlieferungen verständigt hätten. "Was wir jedoch dringend brauchen, sind Führungsstärke, Einigkeit und ein gemeinsames Vorgehen bei der Lieferung von Leopard-2-Panzern."
Baltenstaaten rufen Deutschland zur sofortigen Leopard-Lieferung an Ukraine auf
Die Außenminister der Baltenstaaten haben unterdessen Deutschland zur sofortigen Unterstützung der Ukraine mit Leopard-Kampfpanzern aufgerufen. "Wir, die Außenminister von Lettland, Estland und Litauen, fordern Deutschland auf, sofort Leopard-Panzer an die Ukraine zu liefern", schrieb der lettische Chef-Diplomat Edgars Rinkevics im Onlinedienst Twitter. Dies sei "notwendig, um die russische Aggression zu stoppen, der Ukraine zu helfen und den Frieden in Europa schnell wiederherzustellen". "Deutschland als mächtigster Staat Europas hat in dieser Hinsicht eine besondere Verantwortung", fügte Rinkevics hinzu.
Kirby: "Russen werfen Kämpfer in Fleischwolf"
Um die Stadt Bachmut in der von Russland annektierten ukrainischen Region Donezk tobt derzeit ein Abnutzungskampf. Der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats der USA, John Kirby, sagte, die russische Söldnergruppe Wagner - die von Washington zur kriminellen Organisation erklärt wurde - werfe ihre Kämpfer "buchstäblich in einen Fleischwolf", um Bachmut und die Nachbarstadt Soledar zu erobern. Sollte dies gelingen, würde "die Dynamik auf dem Schlachtfeld" jedoch nicht entscheidend verändert. Die Ukraine geriete bei einem Verlust von Bachmut nicht plötzlich ins Hintertreffen, so Kirby.
Dagegen hatte der Bundesnachrichtendienst (BND) nach Informationen des Magazins "Der Spiegel" vor gravierenden Folgen gewarnt: Auf einer geheimen Sitzung mit Sicherheitspolitikern des Bundestages hätten BND-Vertreter erklärt, eine Einnahme von Bachmut würde weitere russische Vorstöße ins Landesinnere erlauben. Die russische Armee gehe mit gnadenloser Härte vor. Hohe Verluste der eigenen Streitkräfte spielten bei ihrer Kriegstaktik offenbar keine Rolle, wodurch die Ukraine derzeit täglich eine dreistellige Zahl an Soldaten verliere.
"Auf wichtigere Aufgabe konzentrieren"
Mehrere Nachrichtenagenturen zitieren einen ungenannten ranghohen US-Vertreter mit der Aussage, auf lange Sicht sei Moskau in der Region allein wegen der zahlenmäßigen Überlegenheit seiner Truppen und der Artillerie-Ressourcen im Vorteil. Eine mögliche Eroberung der Stadt durch Russland würde jedoch keine bedeutende Veränderung im Krieg darstellen, weil die ukrainischen Truppen sich auf gut geschützte Positionen zurückziehen könnten, sagte der Regierungsvertreter demnach. Die Ukraine müsse sich auf die wichtigere Aufgabe konzentrieren, eine Gegenoffensive im Frühjahr vorzubereiten.
Auch am Freitag hatte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Moskau behauptet, die eigene Offensive um Bachmut komme voran. Ein weiteres Dorf, das neun Kilometer vor der Stadt liege, sei "befreit" worden.
London: Krieg in einer Sackgasse
Im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine herrscht nach britischer Einschätzung derzeit ein militärisches Patt. "Der Konflikt befindet sich insgesamt in einer Sackgasse, teilte das britische Verteidigungsministerium mit. "Es besteht jedoch eine realistische Möglichkeit lokaler russischer Vorstöße um Bachmut." Die Stadt im ostukrainischen Gebiet Donezk steht seit Monaten im Mittelpunkt der Gefechte.
Vor allem an drei Frontabschnitten werde heftig gekämpft, hieß es in London unter Berufung auf Geheimdienstinformationen. Russische Einheiten, sowohl des regulären Militärs als auch der Privatarmee Wagner, würden sich in der kürzlich eroberten Kleinstadt Soledar nördlich von Bachmut neu aufstellen. Ebenfalls im Osten hätten ukrainische Truppen nahe der Stadt Kreminna im Gebiet Luhansk kleinere Gewinne gemacht. Im Süden hätten beide Seiten im Gebiet Saporischschja erhebliche Kräfte zusammengezogen. Es komme zu Artilleriegefechten und kleineren Zusammenstößen, bisher gebe es aber keine größere Offensive.
RT Frankreich beendet den Sendebetrieb
Nach dem Einfrieren der Konten des russischen Staatssenders RT in Frankreich hat dieser seine Schließung angekündigt. Nach "fünf Jahren Schikane" hätten die Behörden ihr Ziel erreicht - RT Frankreich werde geschlossen, erklärte die Direktorin des Senders, Xenia Fedorowa, auf Twitter. Durch die Sperrung der Konten könnten 123 Mitarbeiter im Januar möglicherweise nicht mehr bezahlt werden und ihre Arbeitsstelle verlieren.
Die russische Regierung hatte zuvor Vergeltungsmaßnahmen für den Schritt angekündigt, über den die Gewerkschaften von RT France bereits am Freitag berichtet hatten. "Die Sperrung der Konten von RT France wird zu Vergeltungsmaßnahmen gegen französische Medien in Russland führen", hieß es nach Angaben der Nachrichtenagenturen Ria Nowosti und Tass aus Kreisen der russischen Diplomatie. Demnach warf Moskau Paris vor, "russische Journalisten zu terrorisieren".
Das Wirtschaftsministerium in Paris erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP, dass das Vermögen in Anwendung der jüngsten EU-Sanktionen und nicht auf Initiative des französischen Staats eingefroren worden sei. Bereits kurz nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine im Februar 2022 hatte die EU ein Sendeverbot für russische Medien verhängt. RT France hatte gegen das Verbreitungsverbot vor dem EU-Gericht in Luxemburg geklagt, welches die Maßnahme jedoch im Juli für rechtens erklärte. Frankreich war der einzige EU-Mitgliedstaat, der noch eine registrierte RT-Tochtergesellschaft hatte, die weiterhin Programme produzierte und verbreitete.
Russland veranstaltet Luftabwehr-Übungen in Region Moskau
Vor dem Hintergrund des Ukraine-Konflikts hat Russland nach eigenen Angaben Luftabwehrübungen in der Region Moskau ausgeführt. Diese hätten das Ziel gehabt, "Luftangriffe auf wichtige militärische, industrielle und administrative Infrastruktureinrichtungen abzuwehren", erklärte das Verteidigungsministerium in Moskau. Mehr als 150 Soldaten sowie mehr als 30 Waffensysteme waren beteiligt. Die teilnehmenden Soldaten seien im Gebrauch von Luftabwehrraketen vom Typ S-300 geschult worden, hieß es. Das Ministerium machte keine Angaben zum Zeitpunkt der Übungen.
Der Kreml hatte am Freitag einen Kommentar zu Aufnahmen von mutmaßlichen Raketenabwehrsystemen auf Moskauer Dächern, die im Internet kursieren, verweigert. Auf die Frage, ob Russland besorgt sei, dass die Hauptstadt Ziel eines ukrainischen Angriffs sein könne, antwortete Sprecher Dmitri Peskow nur allgemein, das Verteidigungsministerium sei für "die Sicherheit des Landes im Allgemeinen und der Hauptstadt im Besonderen" verantwortlich.
Fotos, die in sozialen Medien verbreitet wurden, sollen unter anderem ein Pantsir-Luftabwehrsystem auf dem Gebäude des Ministeriums zeigen. Der Sicherheitsanalyst Michael Horowitz nannte auf Twitter als mögliche Erklärung, dass Russland angesichts möglicher "ukrainischer Angriffe auf Moskau" besorgt sei - oder aber die Bedrohung durch ukrainische Attacken bewusst aufbauschen wolle.
Zwei Männer in den USA wegen Hilfe für Oligarchen angeklagt
Wegen des Verdachts, einem von Sanktionen betroffenen russischen Oligarchen bei der Verschleierung der Besitzverhältnisse seiner Superjacht geholfen zu haben, sind zwei Männer in den USA angeklagt worden. Wie das US-Justizministerium mitteilte, wurde ein Brite in Spanien festgenommen. Er soll an die Vereinigten Staaten ausgeliefert worden. Ein weiterer Verdächtiger mit russischer und schweizerischer Staatsbürgerschaft sei flüchtig.
Die beiden Beschuldigten sollen einem engen Vertrauten des russischen Präsidenten Wladimir Putin, dem Milliardär Viktor Wekselberg, geholfen haben, seine Eigentümerschaft über die auf einen Wert von 90 Millionen Dollar (83 Millionen Euro) geschätzte Jacht "Tango" zu verbergen. Wekselberg ist Chef der russischen Unternehmensgruppe Renowa. Er steht mit Bezug auf die russischen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim seit 2018 auf einer US-Sanktionsliste.
G7-Länder wollen Ölpreisdeckel überprüfen
Die Gruppe der sieben führenden Industriestaaten des Westens (G7) will die Preisobergrenze für russisches Öl im März neu bewerten und gegebenenfalls anpassen. Das teilte der stellvertretende US-Finanzminister Wally Adeyemo mit. Die G7 und Australien hatten ebenso wie die Europäische Union Anfang Dezember eine Preisobergrenze von 60 Dollar je Fass für russisches Öl festgesetzt, das über den Seeweg transportiert wird. Die Preisobergrenze soll Russlands Einnahmen aus dem Ölverkauf verringern.
kle/uh/ehl/as/jj/gri (dpa, afp, rtr)
Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.