Aktuell: Russland startet Sturm auf Asow-Stahlwerk
3. Mai 2022
Das Wichtigste in Kürze:
- Russland startet Sturmangriff auf Asow-Stahlwerk
- Mindestens zehn Zivilisten in der Ostukraine getötet
- CDU-Chef Merz trifft überraschend Präsident Selenskyj
- Macron telefoniert mit Putin
- Papst Franziskus will nach Moskau reisen
Die russische Armee und pro-russische Kämpfer haben eine Offensive auf das Asow-Stahlwerk in der ukrainischen Hafenstadt Mariupol gestartet. Das Verteidigungsministerium in Moskau erklärte, "Einheiten der russischen Armee und der Volksrepublik Donezk" hätten mit Artillerie und Flugzeugen begonnen, "Gefechtsstellungen" ukrainischer Truppen zu zerstören. Die ukrainische Seite bestätigte, dass ein Sturmangriff begann.
Das Stahlwerk gilt als der letzte Rückzugsort ukrainischer Soldaten in Mariupol. In einem Tunnelsystem unter den Industrieanlagen haben auch Zivilisten Zuflucht gesucht. Dank eines vorübergehenden Waffenstillstands konnten nach UN-Angaben mehr als 120 Menschen aus dem Großraum Mariupol - darunter viele aus dem Stahlwerk - in Gebiete gebracht werden, die die ukrainische Armee kontrolliert. Hunderte Zivilisten befinden sich nach Informationen der Regierung in Kiew jedoch weiterhin in den Bunkern. Das Verteidigungsministerium in Moskau warf der ukrainischen Seite vor, die Feuerpause genutzt zu haben, um ihre Gefechtsstellungen wieder einzunehmen.
Der Vizekommandeur des ukrainischen Asow-Regiments, Swjatoslaw Palamar, hatte zuvor erklärt, das Werk sei in der Nacht zu Dienstag fortlaufend attackiert worden. Bei den jüngsten russischen Angriffen seien auch zwei Zivilisten getötet worden. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte vor rund zwei Wochen öffentlich angeordnet, das Asow-Stahlwerk solle nicht gestürmt, sondern lediglich engmaschig abgeriegelt werden.
Ärzte ohne Grenzen über Mariupol: "Es ist die totale Katastrophe"
Die humanitäre Lage in Mariupol ist nach Einschätzung der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen desaströs. Die Menschen dort seien weitgehend auf sich gestellt. Die Notfallkoordinatorin der Organisation für die Ukraine, Anja Wolz, sprach in den Zeitungen der Funke-Mediengruppe von einer "totalen Katastrophe". Das tatsächliche Ausmaß an menschlichem Leid in der belagerten Metropole werde erst in Zukunft vollständig sichtbar werden. Die Kiewer Vororte Butscha, Irpin und Hostomel seien nur die Spitze des Eisbergs, sagte Wolz. Dort waren nach dem Abzug russischer Truppen Hunderte Leichen gefunden worden.
Mindestens zehn zivile Opfer in der Ostukraine
Bei einem russischen Angriff in der Ostukraine sind nach ukrainischen Angaben mindestens zehn Menschen getötet und 15 verletzt worden. Der Beschuss habe einem Koks-Werk in der Kleinstadt Awdijiwka gegolten, erklärte der Gouverneur der Region Donezk, Pawlo Kyrylenko, auf Telegram. Die Opferzahl könne noch steigen. Awdijiwka liegt in der Nähe von Donezk, der Hauptstadt der 2014 von prorussischen Separatisten ausgerufenen "Volksrepublik" Donezk. Bereits vor Beginn der russischen Invasion in der Ukraine war die Stadt häufig Ziel von Angriffen.
CDU-Chef Merz trifft überraschend Präsident Selenskyj
Entgegen anderslautenden Vorabberichten ist CDU-Partei- und Fraktionschef Friedrich Merz bei einem Besuch in der Ukraine überraschend auch von Präsident Wolodymyr Selenskyj empfangen worden. Ein Mitarbeiter des deutschen Oppositionsführers erklärte, die Unterredung habe rund eine Stunde gedauert. "Das Gespräch war atmosphärisch und inhaltlich außergewöhnlich gut." Merz werde nun zunächst Bundeskanzler Olaf Scholz über die behandelten Themen informieren.
Die Reise hatte innenpolitisch für Wirbel gesorgt, auch weil der Kanzler von einer eigenen Fahrt nach Kiew zunächst Abstand genommen hat. Hintergrund ist eine geplatzte Reise des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, der in der Ukraine wegen seiner früheren Russland-Politik als damaliger Außenminister nicht willkommen war.
Merz wollte auch den ukrainischen Regierungschef Denys Schmyhal und Bürgermeister Vitali Klitschko treffen. Außerdem standen Begegnungen mit Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk und Oppositionspolitikern auf seinem Programm.
Scholz würde NATO-Beitritt Finnlands und Schwedens unterstützen
Deutschland würde eine Aufnahme Finnlands und Schwedens in die NATO mittragen, falls beide Länder dies beantragen sollten. Das sicherte Scholz den Regierungschefinnen Finnlands und Schwedens, Sanna Marin und Magdalena Andersson, zu. Den Entschluss müssten die nordeuropäischen Staaten für sich fassen, sagte der SPD-Politiker. "Für uns ist aber klar: Wenn sich diese beiden Länder entscheiden sollten, dass sie zur NATO-Allianz dazugehören wollen, dann können sie auf unsere Unterstützung rechnen."
Marin und Andersson hatten zuvor an Beratungen des Kabinetts im Gästehaus der Bundesregierung in Meseberg bei Berlin teilgenommen. In beiden Ländern gibt es seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine starke Bestrebungen, dem Verteidigungsbündnis beizutreten. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte ihnen eine zügige Aufnahme zugesagt, sollten sie einen Antrag stellen. Marin betonte, der russische Angriff auf die Ukraine habe die Sicherheitslage komplett verändert. "Es gibt kein Zurück." Ihr Land habe eine starke und moderne Armee, die jederzeit mit der NATO zusammenarbeiten könne. Andersson sagte zu einem möglichen Beitritt: "Alle Optionen liegen auf dem Tisch."
Macron telefoniert mit Kremlchef
Erstmals seit Ende März hat Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron mit seinem russischen Amtskollegen zum Krieg in der Ukraine telefoniert. "Ich habe Russland aufgefordert, seiner internationalen Verantwortung als Mitglied des UN-Sicherheitsrats gerecht zu werden und diesen verheerenden Angriff zu beenden", zitierte der Élyséepalast Macron. Er habe Putin gesagt, dass er über die Situation im Donbass und in Mariupol sehr besorgt sei. Das Gespräch habe mehr als zwei Stunden gedauert.
Der Kreml teilte mit, Putin habe Macron über die "Befreiung" der ukrainischen Hafenstadt Mariupol durch russische Truppen und über die erfolgreiche Evakuierung von Zivilisten aus dem belagerten Stahlwerk informiert. Putin habe beklagt, die europäischen Länder ignorierten den ukrainischen Beschuss von Ortschaften im Donbass. Der Westen hätte den Tod von Zivilisten etwa durch das Einstellen von Waffenlieferungen vermeiden können, hieß es. Moskau wirft Kiew immer wieder Angriffe gegen Zivilisten vor. Allerdings sehen sich russische Truppen ihrerseits dem Vorwurf ausgesetzt schwerste Kriegsverbrechen begangen zu haben.
Papst will nach Moskau reisen
Papst Franziskus ist nach eigenen Worten weiter bereit, Putin in Moskau zu treffen. Er habe die Nummer zwei im Vatikan, Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, nach 20 Tagen Krieg gebeten, dem Kremlchef die Nachricht zu überbringen, dass er gewillt sei, nach Moskau zu kommen, sagte das katholische Kirchenoberhaupt im Interview der italienischen Zeitung "Corriere della Sera".
"Wir haben noch keine Antwort und wir bestehen weiter darauf, auch wenn ich fürchte, dass Putin in diesem Moment das Treffen nicht durchführen kann und will", erklärte der 85-Jährige weiter. Er beklagte zudem die Brutalität des Krieges: "Vor 25 Jahren haben wir mit Ruanda dasselbe erlebt."
Einen Besuch in der Ukraine hält Franziskus derzeit nicht für möglich. "Ich kann derzeit nicht nach Kiew. Zuerst muss ich nach Moskau, zuerst muss ich Putin treffen", sagte der Argentinier. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und die Klitschko-Brüder hatten Franziskus bereits eingeladen, nach Kiew zu kommen.
Der Papst sagte, er habe zu Kriegsbeginn mit Selenskyj gesprochen, mit Putin jedoch nicht. Stattdessen sei er damals zum russischen Botschafter am Heiligen Stuhl gegangen und habe eine Erklärung verlangt. "Ich wollte eine klare Geste machen, die die ganze Welt sieht." Den Vorsteher der russisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill, halte er nicht für den Richtigen, um Putin umzustimmen. "Ich habe 40 Minuten mit Kyrill über Zoom gesprochen. In den ersten 20 hat er mir mit einem Zettel in der Hand die Rechtfertigungen für den Krieg vorgelesen", schilderte Franziskus.
"Sie sind das Sprachrohr der Opfer"
Zum Welttag der Pressefreiheit hat Außenministerin Annalena Baerbock allen Journalistinnen und Journalisten gedankt, die in der Ukraine im Einsatz sind: "Ihre Arbeit ringt uns nicht nur großen Respekt ab, sie ist unersetzlich und zugleich lebensgefährlich." Mindestens zehn Medienschaffende seien in der Ukraine seit Beginn des russischen Angriffskriegs getötet worden.
Medienleute seien oft die ersten Zeugen und leisteten einen entscheidenden Beitrag zur Dokumentation von bewaffneten Kämpfen, sagte Baerbock. "Sie sind das Sprachrohr der Opfer, die sonst kein Gehör finden und nicht sichtbar wären, sie belegen Menschenrechtsverletzungen aber auch Kriegsverbrechen."
Weltweit sei die Presse- und Informationsfreiheit in Gefahr, so die Grünen-Ministerin weiter. Regierungen versuchten, diese einzuschränken, Debatten zu unterbinden, Fehlinformationen zu verbreiten, Journalistinnen und Journalisten einzuschüchtern oder gar verschwinden zu lassen.
Russland stellt Internet in Cherson-Region auf russische Infrastruktur um
Russland hat den Internetverkehr in der seit März besetzten ukrainischen Region Cherson nach Angaben der Organisation NetBlocks auf russische Kommunikationsinfrastruktur umgestellt. Nach einem fast vollständigen Internetausfall in der Region am Samstag würden nun die Verbindungen über das russische Internet statt über die ukrainische Telekommunikationsinfrastruktur geleitet und "unterliegen nun wahrscheinlich den russischen Internetvorschriften, der Überwachung und Zensur", schreibt die in London ansässige Organisation zur Überwachung der Cybersicherheit und Internetfreiheit auf ihrer Website. Russland hat eine Rückgabe der östlich von Odessa liegenden Seehafenstadt Cherson ausgeschlossen und will dort den Rubel als Zahlungsmittel einführen.
Berlin meldet mehr als 400.000 Flüchtlinge
Die Zahl der in Deutschland registrierten Geflüchteten aus der Ukraine hat die Zahl von 400.000 überschritten. Dies teilte das Bundesinnenministerium unter Berufung auf die Bundespolizei mit. Die Zahl lag demnach bei 400.632. "Überwiegend sind es Frauen, Kinder und alte Menschen", erklärte das Ministerium auf Twitter.
Weil nicht alle Ankömmlinge aus der Ukraine in Deutschland registriert sind, dürfte die tatsächliche Zahl deutlich höher liegen. Die Menschen erhalten in Deutschland vorübergehenden Schutz als Kriegsflüchtlinge und dürfen hier arbeiten. Künftig bekommen sie zudem die reguläre Grundsicherung - das ist etwas mehr als die bislang gewährte Zahlung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.
Fast 1,3 Millionen Ukrainer nach Russland gebracht
Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine sind nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau fast 200.000 Kinder und 1,1 Millionen Erwachsene aus dem Land nach Russland gebracht worden. Sie seien auf eigenen Wunsch evakuiert worden, teilt das Ministerium mit. Dagegen beschuldigt die Regierung in Kiew den Kreml, er habe seit Beginn des Krieges Tausende von Menschen gewaltsam nach Russland verschleppen lassen.
Großbritannien kündigt weitere Militärhilfen an
Der britische Premierminister Boris Johnson hat in einer Videoansprache vor dem ukrainischen Parlament weitere 300 Millionen Pfund (358 Millionen Euro) Militärhilfe für die Ukraine verkündet. Wie sein Büro in London mitteilte, soll das Unterstützungspaket Ausrüstung für die elektronische Kriegsführung, ein Radarsystem zur Abwehr von Artillerie, Störgeräte für GPS-Signale, die sonst eine Ortung erlauben, und Nachtsichtgeräte umfassen.
Die Briten gehören in Europa zu den größten Lieferanten von Rüstungsgütern an Kiew. Sie hatten vergangene Woche angekündigt, gepanzerte Fahrzeuge zur Flugabwehr zu schicken. Außerdem haben sie Tausende tragbare Panzer- und Flugabwehrraketen sowie Plastiksprengstoff geliefert. In den kommenden Wochen will die britische Regierung zudem Drohnen zum Transport schwerer Lasten auf den Weg bringen.
Waffen und Ausrüstung für mehr als 190 Millionen Euro
Die Bundesregierung hat in den ersten acht Kriegswochen Waffen und andere Rüstungsgüter im Wert von mindestens 191,9 Millionen Euro in die Ukraine geliefert. Das geht aus einer Antwort des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Sevim Dagdelen hervor. Vom ersten Kriegstag, dem 24. Februar, bis zum 19. April gab die Regierung danach grünes Licht für die Lieferung von Kriegswaffen für 120,5 Millionen Euro und für sonstige Rüstungsgüter im Wert von 71,4 Millionen Euro.
Zum Vergleich: Das kleine Estland hat nach Regierungsangaben bisher Militärhilfe im Wert von mehr als 220 Millionen Euro für die Ukraine geleistet. Die USA sagten der Ukraine seit Kriegsbeginn Waffen und Munition im Wert von mehr als 3,7 Milliarden US-Dollar (rund 3,5 Milliarden Euro) zu oder lieferten diese bereits.
Draghi verteidigt westliche Waffenlieferungen an die Ukraine
Der italienische Regierungschef Mario Draghi hat die Versorgung der Ukraine mit westlichen Waffen nochmals begründet. Man werde Frieden nur erreichen, wenn sich die Ukraine verteidigen könne, sagte er an die Adresse der Kritiker in seiner Heimat. "Sonst überlassen wir ein Land, dessen Einwohner, ein Volk, Kinder und Frauen den russischen Invasoren."
Die Parteichefs der Fünf-Sterne-Bewegung, Giuseppe Conte, und der Lega, Matteo Salvini, hatten sich gegen schwere Waffen für die Ukraine ausgesprochen - obwohl beide Parteien zu Draghis Regierung gehören.
Habeck sieht Öl-Embargo gegen Russland kommen
An diesem Dienstag werde die EU-Kommission Vorschläge für ein sechstes Sanktionspaket gegen Russland vorlegen, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck in den ARD-Tagesthemen. "Da wird sicherlich einiges zu Öl drin stehen."
Allerdings ist bislang unklar, unter welchen Bedingungen sehr stark von russischen Öllieferungen abhängige Länder wie Ungarn oder die Slowakei die benötigte Zustimmung zu einem EU-Einfuhrverbot geben könnten. Denkbar wären eine Übergangsfrist - etwa bis Anfang kommenden Jahres - oder Ausnahmeregelungen. Ungarn hat bislang alle EU-Sanktionen mitgetragen. Eigene Waffenlieferungen an die Ukraine lehnt die Regierung von Viktor Orban allerdings strikt ab.
Klitschko: "Blinder Pazifismus ist gefährlich"
Der frühere Profiboxer Wladimir Klitschko geht mit einem von deutschen Intellektuellen verfassten offenen Brief gegen Waffenlieferungen an die Ukraine hart ins Gericht. "Blinder Pazifismus ist genauso gefährlich wie glückselige Kriegstreiberei", schreibt der Bruder des Kiewer Bürgermeisters Vitali Klitschko in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Das "absolut Gute" sei "nicht der Frieden, sondern die Freiheit und die Gerechtigkeit". Um diese zu verteidigen, müsse man kämpfen.
Die Feministin Alice Schwarzer und andere Prominente wie der Schriftsteller Martin Walser hatten in dem am Freitag veröffentlichten Brief an Bundeskanzler Scholz appelliert, weder direkt noch indirekt schwere Waffen an die Ukraine zu liefern, um dem russischen Präsidenten Wladimir Putin kein Motiv für eine Ausweitung des Krieges auf die NATO-Staaten zu geben. Sie forderten Anstrengungen für einen raschen Waffenstillstand und einen "Kompromiss, den beide Seiten akzeptieren können".
jj/uh/nob/sti/se/rb (dpa, afp, rtr, kna, epd)
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