Ukraine aktuell: Moskau droht Verteidigern von Mariupol
17. April 2022Das Wichtigste in Kürze:
- Ukrainische Kämpfer in Mariupol bleiben
- Selenskyj droht mit Verhandlungsabbruch
- Russland zeigt Video mit "Moskwa"-Besatzung
- Ukrainischer Botschafter Melnyk kritisiert Ostermärsche
- EU-Kommisssion will schnelle Waffenlieferungen
Die in der Hafenstadt Mariupol kämpfenden ukrainischen Truppen wollen sich nicht ergeben. Die Einheiten, darunter 400 ausländische Söldner, hätten sich in dem Stahlwerk Asowstal verschanzt, sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow. Die Regierung in Kiew habe ihnen untersagt, die Waffen niederzulegen.
Zuvor hatte Moskau ein Ultimatum gestellt und den Soldaten im Fall einer Kapitulation zugesichert, sie würden am Leben bleiben. "Im Fall einer weiteren Gegenwehr werden sie alle vernichtet", sagte Konaschenkow. Nach russischen Angaben sollen in dem Werk etwa 2500 Kämpfer sein, die die Stadt gegen eine komplette Eroberung verteidigen wollen. Aus Kiew gab es dazu keine Angaben. Nach Kremlinformationen steht Mariupol mittlerweile fast vollständig unter russischer Kontrolle.
Der ukrainische Generalstab berichtete am Sonntagabend von russischen Raketen- und Bombenangriffen auf die Stadt, die vor dem russischen Einmarsch mehr als 400.000 Einwohner zählte. Bei den Angriffen kämen auch Überschallbomber vom Typ Tu-22M3 zum Einsatz. Besonders in der Nähe des Hafens und des Stahlwerks Asowstal gebe es Angriffsversuche.
Selenskyj droht mit Gesprächs-Stopp
Der Fall von Mariupol würde dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zufolge das endgültige Aus der Gespräche mit Russland zur Folge haben. Für beide Seiten wäre dies eine "Sackgasse, denn wir verhandeln weder über unsere Territorien noch über unsere Leute", sagte er.
Der ukrainische Regierungschef Denys Schmyhal sagte dem US-amerikanischen Fernsehsender ABC, die letzten Verteidiger der strategisch wichtigen Hafenstadt würden bis zum Ende kämpfen. Mariupol sei "immer noch nicht gefallen", betonte Schmyhal. "Wenn die Russen keine Verhandlungen wollen, werden wir bis zum Ende kämpfen, absolut. Wir werden nicht kapitulieren", fügte er hinzu. "Wir werden unser Land, unsere Familien, unseren Boden nicht verlassen."
Mariupol wird seit den ersten Tagen nach dem russischen Einmarsch am 24. Februar belagert. Inzwischen ist die einst über 400.000 Einwohner zählende Stadt im Südosten weitgehend zerstört, die humanitäre Lage ist katastrophal. Selenskyj sprach von zehntausenden Toten durch die Belagerung.
Fluchtkorridore geschlossen
In der Hauptstadt Kiew teilten die Behörden mit, dass es dort zuletzt weitestgehend ruhig geblieben sei. Anders als am Vortag habe es keine neuen Explosionen gegeben.
Die ukrainische Regierung hatte für Sonntag die Schließung der Fluchtkorridore aus den umkämpften Gebieten im Osten des Landes angekündigt. Es sei nicht gelungen, mit der russischen Armee eine Feuerpause für die Evakuierungsrouten zu vereinbaren, teilte Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschuk auf Telegram mit. "Wir scheuen keine Mühe, damit die humanitären Korridore so schnell wie möglich wieder geöffnet werden können."
Angebliches Video von "Moskwa"-Besatzung
Das russische Verteidigungsministerium hat ein Video veröffentlicht, das angeblich ein Treffen zwischen dem Chef der Marine und den Überlebenden des im Schwarzen Meer gesunkenen Kriegsschiffs "Moskwa" zeigt. In dem etwa 30 Sekunden langen Video sind einige Dutzend Männer in Marineuniform zu sehen, die stramm vor dem Chef der Marine, Nikolai Jewmenow, aufgereiht sind. Das Treffen soll in Sewastopol auf der annektierten Krim-Halbinsel stattgefunden haben.
Es wären die ersten Bilder, auf denen mutmaßliche Besatzungsmitglieder der "Moskwa" nach dem Untergang des Schiffs am Donnerstag zu sehen sind. Das Flaggschiff der russischen Schwarzmeerflotte war zuvor nach ukrainischen Angaben mit Raketen beschossen worden. Moskau bestätigte diese Angaben nicht und erklärte, dass an Bord Munition explodiert sei. Das Schicksal der über 500 Besatzungsmitglieder der "Moskwa" ist weiter unklar.
Ex-Außenminister Gabriel stärkt Steinmeier den Rücken
Unterdessen spitzt sich der Streit um den geplatzten Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Kiew zu. Der frühere Bundesaußenminister Sigmar Gabriel verteidigte den Bundespräsidenten und griff den ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk scharf an. Steinmeier habe als früherer Außenminister gemeinsam mit der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel "mehr als alle anderen in Europa" dafür getan, die Ukraine zu unterstützen, schrieb Gabriel in einem Gastbeitrag für den "Spiegel".
Botschafter Melnyk hatte Steinmeier in einem Interview unter anderem vorgeworfen, "seit Jahrzehnten ein Spinnennetz der Kontakte mit Russland geknüpft" zu haben. "Spinnennetze dienen bekanntlich dem Fang und der anschließenden Verwertung der Beute", schrieb dazu Gabriel. "Auf den Punkt gebracht insinuiert dieser Vergleich, dass der frühere Kanzleramts- und Außenminister die Interessenvertretung Russlands in Deutschland mitorganisiert habe. Das ist wahrheitswidrig und bösartig."
Melnyk reagierte umgehend: Bösartig sei vor allem die "jahrelange Putin-freundliche Politik" gewesen, die Gabriel und seine "SPD-Kumpane" geführt hätten, schrieb er auf Twitter. Diese habe "den barbarischen Vernichtungskrieg" gegen die Ukraine "erst herbeigeführt". Er fügte hinzu: "Die Aufarbeitung kommt noch. Shame on you" (Schämen Sie sich).
Melnyk: Ostermärsche sind Parallelwelt
Der ukrainische Botschafter nahm auch Stellung zur Debatte über die Ostermärsche in Deutschland. Diese hätten weder etwas mit Ostern noch mit dem Frieden zu tun. Melnyk zufolge finden die Ostermärsche in einer "Parallelwelt" statt.
Seit Donnerstag gehen in einigen deutschen Städten Menschen für Frieden und Abrüstung auf die Straße. Sie protestieren in diesem Jahr insbesondere gegen den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, sie kritisieren aber auch Aufrüstung und Waffenlieferungen. Die Ostermärsche enden am Montag.
Von der Leyen: "Wer kann, sollte schnell liefern"
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen drängt die EU-Länder zu schnellen Waffenlieferungen an die Ukraine. "Für alle Mitgliedstaaten gilt, wer kann, sollte schnell liefern, denn nur dann kann die Ukraine in ihrem akuten Abwehrkampf gegen Russland bestehen", sagte von der Leyen der "Bild am Sonntag".
"Ich unterscheide nicht zwischen schweren und leichten Waffen", fügte die CDU-Politikerin hinzu. "Die Ukraine muss das bekommen, was sie zur Verteidigung braucht und was sie handhaben kann."
Medwedew warnt die EU
Russlands Ex-Präsident Dmitri Medwedew warf der EU-Kommissionspräsidentin vor, sein Land in den Bankrott treiben zu wollen. Das sei die "geheime Absicht der Masochisten aus Brüssel".
Medwedew warnte Europa außerdem davor, bei einer Zahlungsunfähigkeit Russlands selbst in große wirtschaftliche Schwierigkeiten zu geraten. "Die Zahlungsunfähigkeit Russlands könnte zur Zahlungsunfähigkeit Europas werden", schrieb der Vizechef des russischen Sicherheitsrats im Nachrichtenkanal Telegram.
Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
haz/hf/fab (dpa, afp, ap, rtr)