Ukraine aktuell: "Frieden, Sieg, Ukraine"
4. Juni 2022Das Wichtigste in Kürze:
- Selenskyj zeigt sich siegesgewiss
- Russische Armee sammelt sich vor Slowjansk
- Austausch gefallener Soldaten
- Guterres fordert Ende der Gewalt in der Ukraine
- Schweiz blockiert Waffenexporte
100 Tage nach dem russischen Überfall auf sein Land hat der ukrainische Präsident den Glauben an den Sieg beschworen. Es gebe drei Worte, für die sein Land kämpfe: Frieden, Sieg, Ukraine, sagt Wolodymyr Selenskyj in seiner täglichen Videoansprache. Die Aufnahme wurde unter freiem Himmel vor seinem Amtssitz in Kiew gemacht.
Bis zu ihrem Angriff auf das Nachbarland habe die russische Armee als zweitstärkste der Welt gegolten, sagt der Staatschef. "Was ist von ihr geblieben? Kriegsverbrechen, Schande und Hass." Die Ukraine aber habe bestanden, sie bestehe und werde bestehen.
Russische Armee nimmt nächste Großstadt ins Visier
In den Kampfgebieten des Donbass zieht die russische Armee nach Angaben des ukrainischen Generalstabs starke Kräfte für einen Angriff auf Slowjansk zusammen. Das ukrainische Militär spricht von bis zu 20 russischen Bataillons-taktischen Gruppen (BTG). Das sind Kampfeinheiten mit gepanzerter Infanterie, Artillerie und Luftabwehr, sie zählen 600 bis 800 Soldaten.
Die Großstadt Slowjansk gehört zum ostukrainischen Verwaltungsgebiet Donezk, dessen vollständige Eroberung sich Russland in dem seit 100 Tagen währenden Krieg auf die Fahnen geschrieben hat. Die Stadt liegt außerdem im Rückraum des seit Tagen umkämpften Sjewjerodonezk im Gebiet Luhansk.
Russische Raketenattacke auf ukrainische Artillerieschule
Das russische Militär hat nach eigenen Angaben ein Zentrum getroffen, an dem Artillerie-Soldaten an westlicher Waffentechnik ausgebildet werden. "Mit hochpräzisen Luft-Boden-Raketen wurde ein Schlag gegen ein Artillerieausbildungszentrum der ukrainischen Streitkräfte im Raum Stezkiwka im Gebiet Sumy geführt", sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Moskau. In dem Zentrum seien Soldaten in der Handhabung der westlichen Haubitze M777 unterrichtet worden.
Die russische Regierung kritisiert seit Monaten die westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine. Nach Ansicht des Kremls wäre der Krieg ohne diese Rüstungshilfe schon beendet. Um diese Hilfe zu verringern, legt die russische Führung großen Wert auf die Vernichtung westlicher Waffen und die Bekämpfung von freiwilligen Kämpfern aus dem Ausland. Der Ministeriumssprecher fügte hinzu, dass im Gebiet Odessa im Süden der Ukraine "ein Lager ausländischer Söldner" durch einen Raketeneinschlag vernichtet worden sei.
Ukraine und Russland tauschen Leichen von Soldaten aus
Die Ukraine und Russland haben nach Behördenangaben aus Kiew der jeweils anderen Seite die Leichen von 160 Soldaten übergeben. Der Austausch sei am 2. Juni entlang der Frontlinie im Gebiet Saporischschja erfolgt, hieß es. Die Ukraine hatte Russland immer wieder aufgefordert, die getöteten Soldaten entgegenzunehmen, und der Führung in Moskau vorgeworfen, die eigenen Streitkräfte wie "Kanonenfutter" zu behandeln und sich nicht um eine würdige Beerdigung zu kümmern.
Nach ukrainischen Angaben laufen auch weiter Verhandlungen über den Austausch von Kriegsgefangenen auf beiden Seiten. In russischer Gewalt sind Tausende ukrainische Kämpfer, darunter die Verteidiger von Mariupol, die dort im Stahlwerk Azovstal die Stellung gehalten hatten, bis Kiew die Stadt im Mai aufgab.
Derzeit keine Chance für Verhandlungen
Die Ukraine will erst bei einer stärkeren Position im Krieg gegen Russland an den Verhandlungstisch zurückkehren. Für die Unterbrechung gebe es gute Gründe, solange in der Ostukraine schwere Gefechte stattfinden, sagte Chefunterhändler Dawyd Arachamija im ukrainischen Fernsehen. "Die Verhandlungen sollen fortgesetzt werden, wenn unsere Verhandlungsposition gestärkt ist."
Die Ukraine werde vor allem dadurch stärker, "dass die Waffen, die uns von internationalen Partnern ständig versprochen werden, endlich in ausreichender Menge eintreffen", sagte Arachamija. Der diplomatische Kontakt zwischen den Kriegsgegnern brach ab, als nach dem Abzug russischer Soldaten Gräueltaten in Kiewer Vororten wie Butscha bekannt wurden.
Guterres fordert Ende der Gewalt in der Ukraine
UN-Generalsekretär António Guterres hat nach 100 Tagen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine eine sofortige Einstellung der Gewaltanwendung angemahnt. Zugleich machte er sich für Verhandlungen stark, um den Konflikt zu lösen. Die Vereinten Nationen würden solche Bemühungen unterstützen. "Je eher sich die Parteien aufrichtig um eine Beendigung dieses Krieges bemühen, desto besser für die Ukraine, Russland und die Welt", schreibt Guterres.
Der Generalsekretär verlangte einen ungehinderten Zugang humanitärer Helfer zu allen Bedürftigen. Zudem sollten in den Kampfgebieten eingeschlossene Zivilisten evakuiert und die Zivilbevölkerung geschützt werden. "Der Konflikt hat bereits Tausende von Menschenleben gekostet, unsägliche Zerstörungen verursacht, Millionen von Menschen vertrieben, zu inakzeptablen Menschenrechtsverletzungen geführt und eine dreidimensionale globale Krise - Nahrungsmittel-, Energie- und Finanzkrise - ausgelöst, die auf die schwächsten Menschen, Länder und Volkswirtschaften einwirkt."
Bischofskonferenz zeigt sich solidarisch mit Ukrainern
Mit einer viertägigen Reise in die Ukraine haben Vertreter der Deutschen Bischofskonferenz ein Zeichen der Solidarität gesetzt. Wie die Bischofskonferenz in Bonn mitteilte, ging der Besuch mit der Segnung des Grundsteins einer Kirche im westukrainischen Radekhiv zu Ende. "Die Ukrainer kämpfen gegen die Invasion in ihrem Land. Sie verdienen den Beistand aller freiheitsliebenden Menschen", erklärte der Vorsitzende der Kommission Weltkirche der Bischofskonferenz, der Augsburger Bischof Bertram Meier. Er hat die Delegation geleitet.
Die katholischen Kirchenvertreter hatten in der Ukraine auch Schauplätze mutmaßlicher russischer Kriegsverbrechen besucht. Am Rande eines Massengrabes im Kiewer Vorort Butscha sprach Bischof Meier mit der stellvertretenden Bürgermeisterin. "Die Geschichten der Menschen von Butscha treffen ins Herz", sagte Meier. "Leider müssen wir davon ausgehen, dass Butscha kein Einzelfall ist, sondern stellvertretend für Verbrechen der russischen Besatzungspolitik an vielen Orten steht."
Die Schweiz blockiert Munition und Panzer für die Ukraine
Der Export von schweizerischen Waffen über Drittländer an die Ukraine wird von der Regierung in Bern nach wie vor unterbunden. Aufgrund "des neutralitätsrechtlichen Gleichbehandlungsgebots" könne man der Lieferung von Munition und Radschützenpanzern aus Deutschland und Dänemark an Kiew nicht zustimmen, erklärte der Bundesrat. Nach dem Kriegsmaterialgesetz könnten Ausfuhrgesuche nicht genehmigt werden, wenn sich das Empfängerland in einem internationalen bewaffneten Konflikt befindet.
Deutschland hatte in Bern angefragt, ob es 12.400 Patronen für den deutschen Flugabwehrpanzer Gepard an Kiew liefern dürfe. Außerdem ging es um die Weitergabe von 22 Radschützenpanzern des Typs Piranha III, die Dänemark ursprünglich in der Schweiz gekauft hatte und die seit ihrer Ausmusterung in Deutschland lagern.
Lettland lobt deutsche Ukraine-Politik
Lettlands Ministerpräsident Krisjanis Karins hält den deutschen Beitrag zur Bewaffnung der ukrainischen Armee für wichtig. Die Waffenlieferungen der Ampel-Koalition trügen dazu bei, dass die Ukraine den Krieg gegen Russland gewinne, sagt Karins der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Er sehe lediglich Defizite bei der Rhetorik der Bundesregierung, die manchmal unklar bleibe. Außerdem verteidigt der lettische Regierungschef das Teil-Embargo der EU gegen Öl aus Russland und betont, wie wichtig eine EU-Beitrittsperspektive für die Ukraine sei.
Lindner plant Ukraine-Reise
Bundesfinanzminister Christian Lindner will nach Medienangaben demnächst in die Ukraine reisen. Er folge damit einer Einladung seines ukrainischen Amtskollegen Serhiy Marchenko, schreibt die "Bild"-Zeitung.. Einen konkreten Zeitpunkt für die Reise in die Hauptstadt Kiew gebe es noch nicht.
Steuer auf Kriegsgewinne auch in Deutschland?
SPD-Chef Lars Klingbeil hat sich offen für den Vorschlag einer sogenannten Übergewinnsteuer gezeigt. "Eine Steuer auf Kriegs- und Krisengewinne ist ein Instrument, das auf dem Tisch liegt und das ich sehr überlegenswert finde", sagte der Vorsitzende der größten Regierungspartei den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Eine solche Steuer werde in Großbritannien und Italien bereits eingesetzt, die Europäische Kommission sei ebenfalls dafür. "Damit müssen wir uns in Deutschland natürlich auseinandersetzen."
Angesichts der milliardenschweren Entlastungspakete beschäftige er sich intensiv mit der Frage, "wie wir mit den Krisen- und Kriegsgewinnern umgehen, die von der derzeitigen Lage massiv profitieren", sagte Klingbeil. "Die müssen wir stärker zur Finanzierung des Gemeinwohls heranziehen."
rb/ack/kle/se (AFP, AP, dpa, epd, KNA, Reuters)
Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.